Magersucht "ANOREXIA NERVOSA"

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    ANOREXIA NERVOSA
    Magersucht


    Geschichte
    Das Vorkommen von AN ist seit dem Mittelalter dokumentiert. Halmi berichtet von der Erkrankung der 1245 geborenen Prinzessin Margaret von Ungarn. Sie wurde von ihrem Vater aufgrund eines Gelübdes Nonnen zur Erziehung übergeben, später änderte er seine Absichten und wollte sie mit einem geeigneten Thronnachfolger verheiraten. Margaret bemühte sich dann, sich so unattraktiv wie möglich zu machen. Sie begann zu fasten und arbeitete bis zur Erschöpfung. Im Refektorium bediente sie die anderen, und fastete selbst, während ihre Mitschwestern aßen. Ihr Körper wurde als armselig beschrieben, sie starb schließlich im Alter von 26 Jahren. Aus den erhaltenen Unterlagen geht ihr Fasten, ihre Weigerung, das Körpergewicht im Normalbereich zu halten sowie die Kombination von Überaktivität mit extremer Magerkeit als eindrucksvolle historische Dokumentation der diagnostischen Kriterien der AN hervor.


    Inzidenz, Prävalenz, Prognose
    AN ist häufig, die Prävalenzrate wird bei Frauen zwischen 14 und 18 Jahren mit 1:800 bis 1:100 angegeben,
    95% aller AN-Patientinnen sind Frauen, der Erkrankungsgipfel liegt zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr.
    Die Letalität wird in Längsschnittuntersuchungen zwischen 5 und 18% angegeben. Die Prognose bei Spontanverläufen ist schlecht. Neben der hohen Letalität chronifiziert die Anorexie bei etwa 40%, bei 20-30% kommt es zu einer "Spontanheilung" bezogen auf den Gewichtsverlust, schwere Störungen im psychischen und sozialen Bereich bleiben jedoch bestehen. In den letzten Jahrzehnten nahm die Behandlung von Pat mit AN stark zu. Die Zunahme der Prävalenz dürfte auch auf eine stärkere Betroffenheit niedererer sozialer Schichten und des ländlichen Raumes zurückzuführen sein.
    Die Prävention durch "Anti-Diät Kampagnen" wird in Österreich von der Arbeitsgruppe um G. Rathner (Psychotherapeutische Abteilung, Univ.-Kinderklinik Innsbruck, Leitung: aoUP Dr. B. Mangold) getragen.


    Einleitung
    Als Anorexia nervosa (AN) bezeichnet man eine schwere Krankheit, gekennzeichnet durch eine Verweigerung ausreichender Nahrungsaufnahme. Dies führt zu einem bedrohlichen Zustand von Unterernährung. AN ist, wenn die PatientInnen einmal bis zu einer medizinischen Einrichtung gelangt sind, eine "ins Auge springende" Krankheit. Die klinischen Merkmale sind leicht erkennbar, die Behandlung soll sofort beginnen. Die Erfassung der familiären und individuellen Zustände in seelischer und organischer Richtung soll parallel gehen und nicht von "Ausschlußdiagnostik" geprägt werden. Bei uns wird am Ende des Erstgespräches unser Behandlungskonzept erläutert und die Patientin in fast allen Fällen stationär aufgenommen.


    Klinische Merkmale der AN
    1. Untergewicht
    2. fühlt sich nicht krank
    3. fühlt sich zu dick



    Definition
    AN ist gekennzeichnet durch einen absichtlich selbstherbeigeführten und/oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust. Die Patienten weigern sich, das Körpergewicht über einem minimalen, auf Alter und Körpergröße bezogenem Gewicht zu halten. Ferner bestehen eine intensive Furcht vor dem Dickwerden, eine ausgeprägte Form der Körperwahrnehmungsstörung, sowie bei Mädchen die (meist sekundäre) Amenorrhoe.



    Diagnostische Kriterien für AN nach DSM-III-R
    (demUS-amerikanischen, psychiatrisch-diagnostischen Klassifikationssystem in der 3. revidierten Fassung, 1987)


    1. Das Körpergewicht wird absichtlich unter dem der Körpergröße und dem Alter entsprechendenden Minimum gehalten. Das heißt, es kommt zu einem Gewichtsverlust auf ein Gewicht von 15% oder mehr unter dem zu erwartenden Gewicht, oder es kommt während der Wachstumsperiode zu einem Ausbleiben der erwarteten Gewichtszunahme mit der Folge eines Gewichtes von mindestens 15% unter dem erwarteten Gewicht.


    2. Starke Angst vor Gewichtszunahme oder vor dem Dickwerden, obgleich Untergewicht besteht.


    3. Störung der eigenen Körperwahrnehmung hinsichtlich Gewicht, Größe oder Form, d.h. die Person berichtet sogar im kachektischen Zustand, sich "zu dick zu fühlen", oder ist überzeugt, ein Teil des Körpers ist "zu dick".


    4. Bei Frauen aussetzen von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Menstruationsszyklen.

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    Einmal editiert, zuletzt von Saskia ()

  • Diagnostische Kriterien für AN nach ICD-10
    (dem Klassifikationssystem der Weltgesundheitsorganisation fürKrankheiten in der 10. Fassung, 1991)


    1. Tatsächliches Körpergewicht ist um 15% unter dem Erwarteten;
    oder Quetelets-Index (Körpergewicht in kg /Körpergröße2) von 17,5 oder darunter.


    2. Der Gewichtsverlust ist selbst herbeigeführt durch
    a. Vermeidung von hochkalorischen Speisen und


    mindestens einen der folgenden Punkte:
    b. selbst induziertes erbrechen
    c. selbst induziertes abführen
    d. übertriebene körperlich Aktivität
    e. Gebrauch von Appetitzüglern und/oder Diuretika


    3. Körperschema-Störung
    4. Endokrine Störung
    5. Pubertäre Entwicklung verzögert


    Als Nebensymptom kann es zu einer ausgeprägten Obstipation kommen.
    Mit der Zeit treten bei starkem Untergewicht Probleme wie Hypothermie, Bradykardie, Hypotension, Ödeme, Lanugobehaarung auf.
    Etwa ein Drittel der Patientinnen war vor Beginn der Erkrankung leichtübergewichtig.
    Die Gedanken kreisen ständig um eine Restriktion der Nahrungsaufnahme. Die Beschäftigung mit Nahrung, mit Essen und mit Dicksein füllen den Tag aus. Sie stellen kalorienarme Diäten zusammen, sie essen immer alleine.
    Es besteht keine Krankheitseinsicht.
    Screening -Programm
    Wir verwenden zur Suche nach einer möglichen, zugrundeliegenden organischen Erkrankung, sowie zur Evaluation der krankheitsbedingten Probleme ein Screening -Programm mit folgenden Laboruntersuchungen:


    Differentialblutbild
    Blutsenkungsgeschwindigkeit, Nüchternblutzucker
    Elektrolyte (Na+, K+, Ca++, Cl-, PO4++ [Na+ erhöht bei Flüssigkeitseinschränkung, K+ erniedrigt bei Erbrechen, Ca++ erniedrigt bei längerdauernder AN, Cl- erniedrigt bei Erbrechen, PO4++ erniedrigt bei längerdauernder AN]
    Alkalische Phosphatase, Harnstoff, Kreatinin, Harnsäure, GOT, GPT, Gamma-GT,
    Gesamteiweiß, EW-Elektrophorese,
    Serum-Zink,
    Lipidstatus [Fredrikson Typ IIa],
    Säure-Basen-Haushalt [metabolische Azidose],
    Hämatokrit,
    Schilddrüsenparameter (fT3, fT4, TSH),
    Eisen, EBK,
    Quick


    Ultraschalluntersuchung des Ovars [Follikelanzahl, Größe]
    Osteodensitometrie [Dichte erniedrigt]
    Harnuntersuchung [spez. Gewicht erhöht]


    Der Wert dieses Screeningprogrammes ist diskutabel, da wir zugrundeliegende organische Erkrankungen nicht durch dieses Routineprogramm, sondern durch spezifischere Untersuchungen entdeckt haben (z.B.: intestinale Tuberkulose), andererseits AN assoziierte Störungen vielleicht einer genaueren Evaluation bedürften (z.B. Hormonstatus)


    Differentialdiagnosen und Begleiterkrankuungen
    Folgende Erkrankungen sind als Differentialdiagnosen der AN in Betracht zuziehen:
    1. Psychiatrische:
    Depressionen, Zwangssyndrome, Somatisierungssyndrom,


    2. Interne Krankheiten:
    Chronisch-konsumierende Erkrankungen, Hirntumoren (Hypophysenvorderlappen), Darmerkrankungen (Mb. Crohn, Malabsorption, stenosierende Prozesse).


    Bei all diesen Störungen kommt es nie zu dercharakteristischen Angst vor dem Dickwerden.


    Folgende pädiatrische Probleme traten bei uns darüberhinaus auf:
    Spannungspneumothorax,
    Enteritis bei Malabsorption durch Zottenatrophie und Motilitätsstörung bei längerdauerndem Hunger,
    Peronäuslähmung.


    Psychische Konstellation
    Eine Reihe von psychopathologischen Symptomen treten bei AN häufig auf.
    Viele Patientinnen werden als perfektionistische Musterkinder beschrieben, angepaßt, leistungsorientiert, gewissenhaft, gefügig ("Herzeigkinder").
    Auslösend können familiäre Spannungen sein, Verlusterlebnisse, Hänseleien wegen des Körperbaues, pubertätsbedingte Situationen.
    Der eigene Wunsch nach Verselbständigung und Trennung von der Familie kann das Gleichgewicht des Familiensystemsgefährden und wird durch die Erkrankung abgewehrt.
    Rollenunsicherheit bezüglich der sexuellen Identität kommt vor, ebenso kann die positive Identifikation mit der Mutter gestört sein.
    Die Übernahme der weiblichen Rolle bei leistungsorientiert aufgewachsenen Mädchen, kann zur Identifikation mit der Rolle des Vaters führen, die als interessanter erlebt wird. Daraus - und aus einer ästethischen Freude -wird das Ausbleiben der Menstruation angenehm erlebt. Diese Annehmlichkeit darf nicht durch Hormonsubstitution behindert werden. Lediglich die östrogenabhängige Osteoporose und der Densitätsverlust dürfen am Besten mittels perkutaner Östrogensubstitution (25æg/die-nach Evaluation) behandelt werden.


    Durch übertrieben zwanghaft-kontrollierendes Figurbewußtsein und ritualisiertes Eßverhalten können Gefühle der Macht und Stärke, die auf andere Weise im Familienverband nichterreicht werden können, erlebt werden.
    Die Patientinnen geraten oft in soziale Isolation. Die Isolation im Klassenverband wird oft durch Ehrgeiz kompensiert.

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  • Familienbild
    In der Familie existiert häufig die Regel über negative Gefühle (Spannungen, Wut, Angst, Machtlosigkeit, Überforderung,.. ) nicht zu sprechen. Diese Gefühle werden durch dauernde Beschäftigung mit Eßkontrolle nicht wahrgenommen. Auch positive Gefühle (Freude, Geborgenheit, usf.) können oft nicht mehrwahrgenommen werden. Im Vordergrund steht der Kampf um Autonomie, der Kampf des Geistes gegenden Trieb, das Gefühl der Autonomie: Es ist ein subjektives Hochgefühl mit dem Krankheitsgewinn der eigenen Vollkommenheit, die auf reiferer Ebene nicht erreichbar erscheint.



    Therapie
    Nach Stellung der Diagnose erläutern wir den Patientinnen und deren Eltern die unbedingte Notwendigkeit einer Behandlung. Dies kann schwierig sein, da sich die Patientinnen subjektiv gesund fühlen und ihre Abmagerung als die gute Lösung ihrer Probleme darstellen. Sowohl den Patientinnen als auch den Angehörigen muß der Ernst der Krankheit und das Konzept der Behandlungdargestellt werden. Es geht darum, den Betroffenen das Gefühl zu geben, daß diese Krankheit verstehbar ist und daß es Hilfsmöglichkeiten gibt. Wir erläutern Ihnen unsere Behandlungsgrundsätze und schließen mit den Patientinnen und deren Eltern einen schriftlichen Behandlungsvertrag ab.



    Organisatorisches Grundprinzip
    Wichtiges organisatorisches Grundprinzip ist die Trennung der unterschiedlichen Aufgaben in der Betreuung anorektischer Patientinnen durch unterschiedliche Personen. Das sind:
    1. Ärztliche Betreuung und Gewichtsmanagement
    2. Einzeltherapeutische Betreuung
    3. Familientherapie
    Sinn: Die Trennung ist deshalb erforderlich, weil die somatische Behandlung Konsequenz und Strenge erfordert, die den verständnisvollen psychotherapeutischen Zugang behindern würde. Auch das, was in Einzeltherapiestunden besprochen wird, darf nicht den Eltern mitgeteilt werden, es wäre einVertrauensbruch in der Beziehung zu der Patientin. Zur Vermeidung dieser negativen Interaktionen mit der Familientherapie kommt es zu einer personellen Trennung. Eine gute Kooperation und Kommunikation im gesamten Team ist notwendig. Genaue Absprache und Einhaltung der Regeln durch alle, sonst werden die Teammitglieder von den Patientinnen gegeneinander ausgespielt. All dies gelingt meist nur auf Spezialstation.

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  • Behandlungsrichtlinien der AN als Grundlage des Behandlungsvertrages
    Maßnahmen zur Steigerung des Körpergewichtes bei AN


    1. Festlegung des Ziel (=Entlassungs-)gewichtes bei der stat. Aufnahme des Kindes durch den aufnehmenden Arzt, den Psychologen und das Team in einem gemeinsamen Gespräch mit Eltern und Kind.
    (Zur Festlegung des Zielgewichts verwenden wir die COLE - Slide rule, die nach den Tanner & Whitehouse-Standards, 1984 erstellt wurde, sowie das prämorbide Gewicht)


    2. Anfertigung einer Gewichtskurve durch den Patienten, auf der vom Patienten täglich das Körpergewicht eingetragen wird.


    3. Tägliches Abwiegen vor dem Frühstück (Feststellung des IST-Gewichts).


    4. Erforderliche Gewichtszunahme pro Tag: 100 g (Sollkurve).


    5. IST-Gewicht weniger als 1 kg unter dem SOLL-Gewicht: Bettruhe und 500 ml Nutrison per os angeboten, zusätzlich zum Nahrungsangebot.


    6. IST-Gewicht 1 kg und mehr unter dem SOLL-Gewicht: Bettruhe und Dauermagensonde (1500-2500 ml Nutrison per Tropf), zusätzlich zum täglichen Nahrungsangebot.


    7. Nach Erreichen des Zielgewichtes: Entlassung aus der stationären Behandlung.


    8. Nach der Entlassung erfolgen zuerst wöchentliche Kontrollen des Gewichts (in zeitlichem Zusammenhang mit den Terminen der Einzeltherapie). Stationäre Wiederaufnahme bei Unterschreiten eines bestimmten Gewichts (zumeist 1 - 2 kg unter dem Entlassungsgewicht).


    Der Vertrag definiert die Krankheit über das Gewicht und nicht, wie oft, als Eßproblem. Allen Beteiligten, auch den Eltern, wird die Regel mitgeteilt, daß es verboten ist, über das Essen zu sprechen. Entscheidend ist, daß das vereinbarte Gewicht im Bereich eines Normalgewichtes liegt, jedenfalls über dem Gewicht, das zum Zeitpunkt des Sistierens der Menstruation bestanden hat.


    Gewichtskurve
    Nun wird gemeinsam mit den Patientinnen eine "Gewichtskurve" auf Millimeterpapier gezeichnet.
    [Blockierte Grafik: http://www.trojovsky.net/alex/anorexia/img/ankurve.jpg]
    Ausgehend vom Aufnahmegewicht wird eine Linie gezeichnet, wobei für jeden Tag eine minimale Zunahme von 100 g festgelegt ist. Eine parallele Linie wird 1kg unter dieser Liniegezeichnet.


    Konsequenzen aus dem Vertrag:
    Täglich in der Früh werden die PatientInnen gewogen, und der Gewichtswert in die Kurve eingezeichnet. Diese Eintragung entscheidet jeweils, wie der Tag verbracht wird.
    Aus dem "Vertrag" kann die PatientIn schon von Anfang an ersehen welche Konsequenzen welches Gewicht (nicht welches Verhalten!) hat.
    Liegt das aktuelle Gewicht über der "Sollinie", ist die Patientin in "Freiheit". Das heißt, das sie an allen Stationsaktivitäten teilnehmen darf.
    Liegt das Gewicht unter der Sollinie, hat die Patientin Bettruhe, sie darf (außer zu Psychotherapiestunden) das Bett nichtverlassen. Die Patientinnenwerden im Bett gewaschen.
    Das Essen wird ans Bett gebracht, zusätzlich wird täglich eine Flasche (1/2 Liter) einer energiereichen Ernährungslösung angeboten, d.h. zum Bett gestellt. Ob die Patientinnen normale Nahrung, oder die Zusatznahrung essen, oder nicht, wird allerdings weder kontrolliert noch kommentiert. Reste oder die gesamte Mahlzeit werden nach der Essenszeit einfach weggetragen.


    Liegt das Gewicht ein Kilo oder mehr unter der Sollkurve, erhält die Patientin Ernährung über eine Nasenmagensonde. Die Patientin erhält dabei eine Ernährung mit einem Energiequotienten von 50-60 Kcal/kg Körpergewicht und einer Menge von 1500ml/m2 Körperoberfläche/24h.
    Als Sonde verwenden wir eine weiche Duodenalsonde. Die Applikation erfolgt am leichtesten in halbaufrechter Lage. Die korrekte Lage der Sonde ist durch Aspiration von Magensaft und Messung des pH der Flüssigkeit (Lackmuspapier verfärbt sich von blau zu rot) zu überprüfen.
    Die Verabreichung der Nährlösung erfolgt am einfachsten durch eine Pumpe, etwa einen "Nutromaten", mit der die Ernährungslösung portionsweise zugeführt wird. Die Gaben pulsatil alle 2 Stunden ermöglichen eine zwischenzeitliche physiologische Magenentleerung. Das erspart das Gefühl der ununterbrochenen Magenfüllung und den Wunsch zu erbrechen. Bei manchen Patientinnen die zum Erbrechen neigen ist es günstiger, die Intervalle zu verlängern.
    Essen ist den Patientinnen auch mit liegender Sonde erlaubt, die normale Ernährung wird ans Bett gebracht. Wenn es nicht gegessen wird, wird es ohne Kommentar weggeräumt.


    Durch diesen Vertrag und unsere Sichtweise wird die Krankheit von einem Eß- zu einem Gewichtsproblem umdefiniert. Daher kann Essen oder dessen Verweigerung nicht als Druck- oder Kommunikationsmittel eingesetzt werden. Das Verstecken von Essen, Erbrechen, Weiterschenken, etc. ist mit keiner Sanktion verbunden.
    Die Vorteile sind:
    Klarheit fürPatienten, Angehörige und Team.
    Keine Aufforderung zu symptombezogenen Strafen.
    Steuerbar und absehbar für die Kinder.
    Vermeidung des Themas Essen, sowohl in der Einzeltherapie, als auch im Stationsalltag.


    Zielsetzung des Vertrages ist die größtmögliche Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Patienten hinsichtlich ihrer Nahrungsaufnahme. Gefordert wird lediglich die Teilnahme an den gemeinsamen Mahlzeiten mit den anderen Kindern der Station (außer bei Bettruhe), ohne daß auf den Patienten bezüglich seiner Nahrungsaufnahme Druck ausgeübt und auf besondere Nahrungspräferenzen eingegangen wird.
    Verstecken von Nahrung, Lügen über die Menge der aufgenommenen Ernährung, Tricks, um Schwestern und Ärzte zu betrügen u.ä.m. kommen kaum mehr vor. Das Erreichen des vereinbarten Gewichtes liegt in alleiniger Verantwortung der Patientin, die Folge des von ihr erreichten Gewichtes ist von ihr jederzeit voraussehbar.


    Schwierigkeiten für das Pflegepersonal:
    Am Schwierigsten fällt es anfangs meist, das Thema Essen zu vermeiden, und nichtgegessenes Essen ohne Kommentar und ohne Vorwurf zurückzutragen.
    Der Umgang mit den Patientinnen erfolgt konsequent, aber liebevoll.
    Die Patientinnen schaffen es, die Teammitglieder gegeneinanderauszuspielen. ("Sie sind so lieb", "die andere Schwester erlaubt mir aber...") Die Beachtung der "Gegenübertragung", der eigenen Gefühle (Von Mitleid zuZorn und Ablehnung -"wenn sie wollte, könnte sie"-) ermöglicht es, auf dieses Verhalten der Patientinnen nicht mit Distanzierung und Ablehnung zu antworten.

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  • Einzelpsychotherapeutische Betreuung
    Die einzelpsychotherapeutische Betreuung erfolg von Anfang der Behandlung an.
    Die Basis ist eine eigene Bezugsperson, die die Patientin stützt und in ihrer subjektiven Unsicherheitakzeptiert und die es ermöglicht, in der Beziehung zu ihr neue Beziehungsmuster kennenzulernen.
    Typische Themen zu Beginn der Therapie sind: Regeln einhalten müssen, schlimm sein dürfen, einen eigenen Platz einnehmen. Es treten Angstgefühle auf, die Patientinnen erleben Hilflosigkeit, aber auch aggressive Impulse (auch gegen das Behandlungsregime).
    Schwierig ist es, weil die Patientinnen fast immer über Essen reden wollen.
    Gesprächspsychotherapeutische Verfahren können deshalb schwierig sein. Suggestiven Verfahren (z.B.: Katathym-imaginative Psychotherapie) und körpertherapeutischen Methoden (Konzentrative Bewegungstherapie, Tanztherapie, usf.) kann es gelingen, einen direkten Zugriff auf die Körperwahrnehmuungsstörung und die körperbezogene Identität zu haben. Dadurch kann es gelingen die Körperwahrnehmungsstörung in die Therapie einzubeziehen, die Patientinnen erreichen eine größere Leib-seelische Beweglichkeit.
    Kreative Ausdruckstherapie kann die PatientInnen aus ihrer Enge, Starrheit, und Einsamkeit lösen, ohne dabei ihre Abwehrhaltung zu verstärken. Gefühle von Macht, Stärke, und Wichtigkeit werden anders erlebbar gemacht als durch Essensverweigerung.
    Innerpsychische Vorgänge werden durch gestalterische Techniken dargestellt. Zuerst zweidimensional (in Zeichnungen), später dreidimensional (Handpuppen, Tonarbeiten) ermöglichen die kommunikative Auseinandersetzungen mit der sozialen Umwelt. In einem weiteren Schritt kommt es zur Auseinandersetzung mit dem eigenem Körper: Konzentrative Bewegung und Rollenspiel führen zu einer Entfaltung einer dynamischen Körpersprache. Die Wahrnehmung des Körperschemas ändert sich. Zusammenhänge zwischen intrapsychischen Vorgängen und sozialen Beziehungen werden erleb- und gestaltbar.


    Eine Gefahr in der Psychotherapie ist der unsachgerechte Umgang mitÜbertragungen. In der Einzelpsychotherapie entwickelt sich oft eine intensive positive Übertragung, eine phantasierte Liebe. Eine Überweisung deshalb kann als Abschieben gewertet werden und ist nicht ungefährlich.

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  • Familientherapie
    Systemische Familientherapie, wie sie von P. Watzlawick, S. Minuchin und MaraSelvini-Pallazoli entwickelt und beschrieben wurde, sieht nicht die Patienten als behandlungsbedürftig an, sondern die familiären Beziehungen. Nicht die Patientin lernt außerhalb der Familie Essen und kommt dann in die selbe Umgebung, in der sie krank geworden ist, zurück, sondern die Ausdrucksformen und Regeln werden derart geändert, daß in der Familie Kommunikation und Konflikte direkt ausgedrückt werden können, und daß kein Symptom mehr nötig ist. Nicht Einzelpersonen werden geändert, sondern die "Spielregeln" innerhalb des Systems.
    Essen bedeutet für Patientinnen Machtverlust und Gesichtsverlust. Veränderung der Regeln innerhalb der Familie kann zu einer deutlichen Verbesserungen der Symptomatik der Patientinnen führen.
    Günstig, aber nicht Bedingung, für die Therapie ist, daß alle im Haushaltlebenden Personen zur Therapie kommen.


    Außer den so wichtigen Veränderungen innerhalb der familiären Kommunikation ist die Kooperation mit der Familie zur Stützung der gesamten Therapie notwendig und entscheidend für die Prognose. Bei Unzufriedenheit der Eltern kommt es häufiger zu Therapieabbrüchen. Tödlicher Ausgang der Erkrankung ist in der Literatur häufiger bei Patientinnen beschrieben, bei denen kein Kontakt zur Familie hergestellt werden konnte. Die Einzeltherapie muß gegenüber der Familie gestützt werden. Die im Rahmen der Entwicklung der Patientin auftretenden Konflikte mit den Eltern werden von diesen häufig auf die Einzeltherapie zurückgeführt, und es kann vorkommen, daß die Eltern den Besuch derEinzeltherapie behindern oder verbieten.

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  • Medikamentöse Therapie
    Laxantien: Gegen Obstipation, die prämorbid oft schon besteht und bei der wieder normalisierten Nahrungzufuhr ein noch größeres Problem darstellen kann. Wir verwenden meist Gleitmittel (Paraffinum liquidum), oder Lactulose (Laevolac), in Kombination mit Phosphatklysmen (z.B.: Klysmol).
    Appetitsteigernde Medikamente: Cyproheptadin (z.B.: Periactin) wirkt appetitanregend. Dies hat auf die Prognose der AN keinen Einfluß, doch zeigt es sich, daß die stat. Behandlungsdauer verkürzt werden kann. Remschmidt et al., 1987 zeigte, daß die besten Resultate bei der AN-Behandlung einem stationären Aufenthalt von 42 Tagen folgten.
    Vitamine: Multivitaminpräparat über 20 Tage
    Zink: Vor allem bei chronischer AN, sowie bei anorektischen Patientinnen, die sich vegetarisch ernähren, kommt es häufig zu Zinkmangel. Ob diese Patientinnen von der Zink-Gabe profitieren ist jedoch umstritten.
    Psychopharmaka: Antidepressiva führen zu keiner Verbesserung der AN, doch zeigen einige Patientinnen alle Symptome einer Depression. Manche profitieren zusätzlich zur Psychotherapie von Antidepressiva.
    Hormone: Östrogen als Pflaster in einer Dosierung von 25æg/die zur Osteoporoseprophylaxe bei Amenorrhoe von mehr als 3 Monaten.

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  • Nachbetreuung
    Auch die Nachbetreuung erfolgt getrennt durch die unterschiedlichen Betreuungspersonen:


    1. Gewichtskontrolle: Bei der Entlassung wird ein Wiederaufnahmsgewicht festgelegt. Dieses liegt an unserer Abteilung meist 1-2kg unter dem Zielgewicht. Zuerst wöchentlich, später in steigenden Zeitabständen kommen die Patientinnen an unsere Station zur Wägung, das aktuelle Gewicht wird in die Ambulanzkarte eingetragen. Dies ist gleichzeitig eine Möglichkeit Kontakt zuhalten. Abzuraten ist vom Wiegen an anderer Stelle, und durch unbekannte Personen. Liegt das tatsächliche Gewicht unter dem vereinbarten Wiederaufnahmsgewicht kommt es zu einer sofortigen stationären Aufnahme entsprechend dem Schema bis zum neuerlichen Erreichen des Entlassungsgewichtes.


    2. Fortführung der Psychotherapie
    a. Einzeltherapie
    Weiterführung bei gleichem Therapeut wie stationär. Eine Überweisung funktioniert oft nicht, es kommt häufig zu einem Therapieabbruch. Möglich ist der Beginn der Einzeltherapie bei einem niedergelassenem Therapeuten schonwährend des stationären Aufenthaltes
    b. Familie
    Die ambulante Betreuung wird bis zu einer Stabilisierung des Gewichtsverlaufes und der Ablösung aus der Psychotherapie fortgesetzt.


    3. Behandlungsende Nach den anfänglichen ersten Kilos ist zwar die akute Lebensgefahr gebannt, doch die der Krankheit zugrundeliegenden Denkmuster sind unverändert geblieben. Das Zielgewicht muß jedenfalls über dem Gewicht sein, bei dem die Menstruation sistierte. Für viele Patientinnen ist die "50-kg Grenze" ein wichtiger Punkt. Keinesfalls sollte eine Ernährung mittels Infusionstherapie versucht werden.

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  • und zum guten schluss hab ich das noch gefunden.........


    Monolog einer Magersüchtigen


    Ja, fresst nur! Ja, genau! Rein mit der Wurstsemmel. Mmm, dass ihr schön fett werdet.Fett, fett, fett. Wie wär’s denn mit noch einer Semmel? Vielleicht mit doppelt soviel Wurst, hä? Ihr seid ja völlig abnormal, komplett gestört! Nun ja, Hauptsache ich bin nicht so verfressen, oder? Wenigstens eine, die versteht um was es wirklich geht. Aber ich werde euch das alles noch übermitteln und ihr werden mir glauben, auch wenn es jetzt noch nicht danach aussieht und die, die es nicht tun, werden alle noch an ihrer Fettheit zu Grunde gehen. Jawohl, das werden sie! Ach, ihr beneidet mich oder warum schielt ihr sonst so herüber, während ihr euch voll stopft? Ganz grün seid ihr schon vor Neid. Wie ich es schaffe dazusitzen und beim Essen zuzuschauen, während ich nur an einer Wasserflasche nippe? Ist es das was ihr euch fragt? Ich schaffe es eben, weil ich stark bin. Ich besiege den Hunger. Ganz alleine, ohne jegliche Hilfe kämpfe ich gegen ihn an. Ich meine, zwei Kilo in vier Tagen, das ist doch der beste Beweis dafür, dass ich es kann. Und ich will nicht aufhören. Meine Mission ist noch nicht zu Ende. Ja, ich sehe ja ein, dass ich wahrscheinlich gar nicht mehr aufhören könnte, aber ich will ja nicht aufhören! Das kapiert ihr wieder nicht. Aber wenn ich es erst geschafft habe, euch zu überzeugen, dass ihr mitmachen müsst, dass ich euer Idol sein soll, dann werdet ihr mich verstehen. Nun seid ihr alle noch zu dumm und zu fett, aber das wird sich ändern. Ganz bestimmt. Ich mache weiter wie bisher und ihr schließt euch mir an, dann wäre meine Mission erfüllt.
    Irene Hokanson

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