FEEN und ELFEN-Märchen

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    Die Fee auf dem Hof


    Die Alte stand vornübergeneigt in den Zwiebeln. Sie wandte sich wie selbstvergessen um, nach einem Geräusch, einem Vogellaut. Gerade da fiel es ihr ein. Mit einem Mal, so leicht, wie ein Tautropfen vom Blatt gleitet, kam es ihr in den Sinn. Jetzt passte alles. Das Bild stand klar vor ihr, als hätte sie in blitzschneller Wendung die ganze Welt in einem Spiegel aufgefangen. Kein Zweifel: Hier auf dem Hof war ein Fremder.


    Drei Zwiebelknollen in ihren Händen; feucht, kühl, lehmig und fremd. Mit einem Finger streifte sie Erdkrumen ab; die fielen unbeachtet zu Boden. Auf dem kurzen Weg vom Garten zum Haus schnurrte ihr eine Katze entgegen.


    Endlich rückte alles zurecht. Hinter ihrem Rücken machte sich ein Eindringling zu schaffen. Doch wie sie so in einem fort dachte, stieß die Alte gleich wieder auf einen neuen Eimer quecksilbrig aufblinkenden Fragen. Die Katzen zum Beispiel. Sie schleckten die Milch nicht mehr von der Scherbe, sie drängten sich um die alte Schüssel. Wann war die ihr nur verloren gegangen? Von woher wieder ausgegraben? Und die zwei blaugefiederten Vögel. Sie nisteten unter dem Stalldach und waren doch längst über der Zeit. Es schien, als ob ständig einer der beiden in ihre Nähe hüpfte. Wollten ihr die zwei Gesellen ein ganzes Gesangbuch an traurigen Weisen lehren? Das waren geduldige und zugleich starrsinnige Lehrer. Und schließlich: der sauber gekehrte Platz vor dem Haus. Den querten von Mal zu Mal seltsame Fährten. Was kringelte da einer nachts in den Staub?


    Viel länger, als ein Schößling braucht, um im Kirchhof bis zur Höhe der Dachgaube zu wachsen, um so vieles länger schon lebten Bauer und Bäuerin allein auf dem Hof.


    Vor vielen Jahren, als man die Kilometersteine noch aus Granit schlug, war die breite Straße am Tal vorbei über die Hügel gezogen worden. Das Dorf lag seither wie am Rande der Welt. Das Gehöft fand sich noch ein gutes Stück weiter.


    Drei Kinder hatte der Bauer an diesem vergessenen Ort gezeugt. Das erste in einer Winternacht, im Dunkel murmelnd, geschwätzig vor Glück. Das zweite an einem Märztag, weil die Sonne so hell gleißte. Und weil die Frau, ein violetter Schatten in der halb geöffneten Tür, weil damals die Frau ihn mit langem Blick hinein in das Haus sog. Beide Kinder blühten auf, spielten heiter, waren immer zufrieden, verstarben ganz plötzlich. So schnell, dass man hinterher nicht sagen konnte, welches der beiden zuerst. Oben im Wald zweigt ein Pfad ab zur Kuppe. Da liegen die zwei schon so lang nebeneinander. In einem umzäunten Karree. Das Kreuz mit den Namen berührt bald wieder die Erde.


    Für das dritte Kind, einen Jungen, mußte der Bauer einen Abend, eine ganze Nacht lang flüstern, schmeicheln, betteln. Das Ungeborene trug sich nicht leicht. Es hüpfte und sprang schon im Bauch, als wollte es durchgehn. Nur hinaus in die Welt und dann fort.


    "Immer fort", dachte die Alte, als sie abends Brot in die Suppe schnitt. "Immerzu fort."
    Zwei Teller standen auf dem Tisch. Die Frau wartete, bis sich der Mann auf seinen Platz schob und rückte, dann erst gab sie den Schnittlauch auf. Wie alles hinab rieselte, immer so gleichmäßig fort. Jahr um Jahr fiel glatt durch ein Sieb. Was bleibt zurück? Schau selbst und schütt es dir nur in die Hand: Ein paar graue Steine.


    "Da ist etwas mit dem Hof."
    Der Alte horchte kaum auf, war mit sich selber beschäftigt. Die Frau erklärte: "Die blauen Vögel. Fliegen so frech in die Stube."
    "Blau? Hast nie gesagt, dass sie blau sind", erwiderte der Alte.
    "Und zwischen den Bohnen. Da versteckt sich ein Kraut. Das glimmert nachts. Hab‘s ausgerissen, gleich, wie ich’s sah. Aber es wächst immerzu nach. Hab dran gerochen. Davon gekostet. Da musst ich gleich den ganzen Tag weinen."
    Der Alte wies stumm auf den Brotlaib; die Frau gehorchte. Wie sie die feuchtgraue Scheibe in Streifen schnitt, ein letzter Anlauf: "Gestern abend. War das Vieh plötzlich im Stall. Schon versorgt. Du warst so lang draußen im Wald. Ich hab drinnen Fisolen gezupft. Das Vieh. Das versorgt einer für uns."
    Der Alte saß ganz klein, ganz in sich gesackt. In die Stube flossen Schatten und Stille ein wie dunkles Wasser. Der Bauer blieb stumm. Er nickte bisweilen am Tisch ein, noch vor dem letzten Bissen.
    "Ich wollt gern wissen, was da ist auf dem Hof", durchschnitt die Bäuerin nach einer Weile das Dunkel.
    "Ach, Weib", sagte endlich der Alte. " Das wird sie wohl sein. Das wird die Gute Frau vom Wald sein."


    An diesem Abend hielten sich beide fest umschlungen. "Halt mich noch fester", sagte die Bäuerin. "Ich hab solche Angst".
    "Ich hab Dich stets gehalten, so stark ich nur konnte. Das weißt du. Aber bald muss ich auslassen."
    "Halt mich doch fester, immerzu fester. Lass mich nicht allein."
    "Ach Frau. Meine Zeit ist gekommen. Die Gute Frau aus dem Wald zeigt es uns an."
    "Lass mich nie los. Nie." So bat die Frau.
    Die beiden saßen vor dem Haus, auf der Bank gleich neben der Treppe. Es wurde Nacht.


    fortzetzung folgt

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Fortzetzung


    "Einmal, da wusst ich ja schon, dass es dich gibt. Einmal, an einem gar nicht besonderen Tag, da hatt ich zu tun. Sah dich auf einmal so deutlich vor mir. Grad wie eine Erscheinung. Du standst da. Vor der offenen Haustür, mit einem Blecheimer. Einen Eimer Wasser hattest Du an die Hüfte gestemmt. Die blaue Tür, davor dein aufleuchtendes Haar. Und der feste Blick, mit dem du mich ansahst."
    Die Alte lächelte.
    "Darum also hast Du mir den großen Blecheimer geschenkt. Zur Hochzeit; ausgerechnet. Was haben wir uns alle gewundert!"
    "Und darum hab ich die Haustür noch im ersten Jahr blau angestrichen."


    Am Tag nach dieser Unterhaltung fuhr der Bauer hinaus. An der Grenze, am Zaun hielt er den Wagen an. Und er wartete in der Sonne; starr und entschlossen. Wie einer eben dasitzt, dem das Warten alle Hoffnung ersetzt.
    „Da geht es jetzt fort und ich will doch nicht weiter. Will die Linie noch nicht überschreiten. Noch stehe ich diesseits."
    Wie er so saß, sich nicht rühren wollte, da kam doch etwas näher und auf ihn zu.
    "Nun gibt es dich also", sagte der Alte. "Die Gute Frau aus dem Wald. Was man so alles erzählt. Du kommst auf den Hof, um zu helfen. Da muss bald einer weichen. Ach, glaub mir, ich zieh so ungern fort."
    "Du brauchst nicht gleich gehn", erwiderte die Waldfrau. "Lass dir Zeit. Bring vorher noch alles in Ordnung."


    Am Nachmittag zerschlug die Bäuerin den blauen Topf, scheuchte das Vogelpaar hoch hinauf in die Bäume, stapfte durch den Garten, einen Rechen in der Hand. Sie bellte und geiferte und heulte und schrie. Der Mut verließ sie auf den Stufen zum Haus. Ganz taub wurden ihr Beine und Leib. Sie sank hin, versteinert im Zorn. Etwas berührte sie. Ihr Mann war endlich heimgekehrt. Es war wiederum Abend geworden.


    In diesen Nächten schlief der alte Bauer so heiter wie leicht. Immerfort musste er lachen im Traum. Er lachte sich Nacht für Nacht wach, doch sobald er aufschreckte, krampfte ihm das Herz. So unerbittlich und hart. Und das wehe Gefühl pochte heftig und immer so fort, als hätte es ein eigenes Leben. Da lag der Bauer beklommen im Bett und dachte: "Mein armes gefangenes Herz. Es will hinaus, das Weite suchen." Schnell schob er sich an den Rücken der Bauersfrau, schloß sein trauriges Herz fest ein zwischen ihrem Leib und dem seinem.


    An einem schönen Morgen sagte schließlich der Alte zur Frau: "Mir wird kalt. Lass uns ein wenig in der Sonne aufwärmen." Er ließ sich hinausführen, sie setzen sich auf die Bank, hielten sich steif und gerade, saßen da mit geschlossenen Augen. Die Hand der Bäuerin ruhte in seiner. Etwas Leichtes kam auf, Fingerspitzen ertasteten ihn sacht, griffen nach seiner freien Hand. "Mein Schicksal. Es liegt darin." Das sagte der Alte, dann überkam ihm ein nachtschwarzer Schlaf.


    Die Menschen sehen nur das, was schon in ihrem Kopf ist. Darum erschien die Gute Frau der alten Bäuerin als dunkles Wesen, gekleidet in einem knöchellangen, weiten Gewand. Die Alte nickte ihr zu wie einer guten Bekannten. Zusammen wuschen die Fee und die Alte den Leichnam des Bauern, kleideten ihn mit frischer Wäsche, schmückten die Totenstube aus. Zum Begräbnis fuhr endlich der Sohn und Erbe aus der Stadt vor.


    Der war anfangs in sich gekehrt und bitter. Bald aber fand er mehr und mehr mit der Mutter zu bereden. Und wann immer die Gute Frau ihn etwas hieß, tat er es eifrig. Ihm war, als sei er nach langer Fahrt endlich ans Ziel angekommen.


    Einmal studierte er gebannt, wie sich ein weißes Würmchen auf einem Staudenblatt ringelte und nach und nach vorschob zum Blattrand. Als es
    abglitt und fiel, da fing der Mann es vorsichtig auf. Er setzte den kleinen Wurm sachte ins Gras. Beim nächsten Hinsehn war das Geschöpf schon verschwunden. Der Mann dachte: "Sie kommt vom Land und ich fange an, diesen Fleck Erde zu lieben. Aber in Wirklichkeit liebe ich vielleicht in allen Dingen hier diese Frau."


    Ein andermal lauschte der Sohn, wie seine Mutter und die Gute Fee in der Kammer zusammen Wäsche sortierten.
    "So ist also Liebe?"
    "Ist dir das neu?"
    "Ich verspüre soviel. Doch nicht das, was er fühlt."
    "Mein Kind, er fühlt es nicht, er lebt es. Sein ganzes Glück steckt er in sein Unglück mit Dir."
    "Dein Kind, das bin ich nun nicht. Bin ja selbst so alt wie der Wald."
    "Bist dennoch mein Kind. Bist ja noch so dumm."
    Die Fee lachte laut auf.
    "Sieh, mein Bündel an Pflichten. Dein Sohn zählt gewiß nicht dazu."
    "Du hast Angst."
    "Wer weiß. Vielleicht. Er geht mir zu nah."
    Die Alte erschrak.
    "Wenn du ihn nicht magst, lass ihn los. Sonst bleibt er für immer gefangen."
    "Bin ja selbst ganz verstrickt. Ich kann ihn nicht lassen. Er ist doch mein Schatz."
    Der Sohn in seinem Versteck presste die Hände an die Schläfen.


    So sehr hatte er Angst, ihr zu missfallen, dass seine Stimme brüchig wurde und leise.
    "Wo ich lebe, ändert sich alles. Tag für Tag. Hier find ich die selben alten Steine wieder, so wie ich sie als Kind aufgelesen habe und am Rain aufgeschichtet."
    "Und das ist schlecht?", wollte die Gute Frau von ihm wissen.
    Wie konnte er das beurteilen? Was außer ihr sonst noch war auf der Welt, war ihm egal. Er hätte diese Frau ums Leben gern erkannt, doch fand er keine Instanz, bei der er sein kleines Leben dafür hätte eintauschen können. Er wollte sie sich für immer einprägen und merken und seine Liebe machte ihn deshalb nicht blind, sondern scharfsichtig. Sie war so dünn. Zweimal musste man hinschaun und er konnte sich dennoch nicht satt sehn.


    "Ob das so schlecht ist? Wenn die Zeit stehen bleibt? Ach, wie sehr würd ich das wünschen. Erzähl ein wenig von Dir", bat der Mann. Die Gute Frau blieb stumm. Wer sie wohl war? Wo sie hauste? Manchmal wehte der Wind sein kleines Würmchen zu ihm. Oft blieb die Fee aus. Der Mann fand sie mal hier, mal dort auf dem Hof. Blieb sie fort, trübte es ihm den Tag ein.


    Sie traf ihn, um bald wieder zu gehen. Sie hielt ihn fest und verstieß ihn zugleich. Ihre Stimme wurde hart. Gleich würde er wieder hören, dass ihr wahrer Platz anderswo sei. Manchmal verlor ihre Stimme allen Klang. Dann hätte er sich am liebsten in den Brunnen gestürzt, nur um seine liebe Fee von sich zu erlösen.


    War sie verschwunden, wollte er lieber nicht wissen, wo sie sich aufhielt. Sah er sie wieder, wußte er nichts Besseres als bebend vor Eifersucht zu erforschen, von wem sie sich gerade losgerissen hatte.


    Gestern war für ihn ein Freudentag gewesen, ein Glückstag über lange Stunden hinweg. Hand in Hand waren sie losgezogen. Der Mann hatte ausführlich und gestenreich vom schönen Leben in der Stadt erzählt. Und wie gern er die dünne Frau dort einmal sähe. Dann hatten sie am Fluß gelagert, hatten Kirschen gegessen, gemeinsam geträumt und leise miteinander gesprochen. Doch irgendwann war sie wieder wortlos aufgestanden. Im Wald verschwunden, vom Schatten verschluckt.


    In der Nacht lag er wach. Wenn er sie doch herbeirufen, sie herbeiwünschen könnte. Sich bei ihr einmal Gehör verschaffen. Doch er ahnte: Wenn man sagen kann, dass es noch soviel zu sagen gibt, macht Reden keinen Sinn. In seiner Not fügte er Splitter vom Tag zusammen.


    I
    So fass ich die Kirsche
    Am Stiel mit den Kuppen von Daumen und Index
    Gerade so
    Ihr Gewicht
    Ihre feste und nachgiebige Haut
    Ein Anliegen
    wo mein Empfinden und eine dunkle Wölbung sich messen


    II
    Meine Kirschengabe
    Die Frau am Stiel wartet geduldig
    Bis ich ihn wieder nehme und löse
    Von ihren Lippen
    Aus dem weißen Gitter der Zähne


    Dann sind wir unverbunden
    Die dünne Frau spuckt den Kern aus und
    Ich schnippe den Stiel in den Fluss.


    III
    Mit Dir ist gut essen
    Dein Speichel spült, die Zunge schiebt
    Eine Herzkugel von Deiner Kammer in meine
    Diese Kirsche blutet schnell aus doch
    Die Frucht unser Liebe ist Liebe


    Du Gute Frau
    Ich säe den Tag in Dein trauriges Herz
    Kirschsteine pflanz ich in mein trauriges Herz


    Soviel Glück im Unglück
    Wie mag unser Glück sein


    An einem traumhaft wirren, traumhaft schönen Tag las er diese Zeilen seiner Fee vom Bauernhof vor. Sie rasteten an einem Waldsee. Ein blauer Spiegel auf zartgrünem Grund, umschattet von dunklem Nadelgehölz. Zu seinen Worten bemerkte sie weiter nichts. Er betrachtete ihr schmales Gesicht, inständig, mit aller Aufmerksamkeit, so genau er vermochte. Und wann immer es ihm für eine Zeit gelang, seine Gute Frau zu fassen, da entglitt ihm die lichthelle Gestalt. Quecksilbrig, mühelos. Sie entschlüpfte ihm. Er würde sie niemals erkennen. Selbst wenn er sie besser verstand, mehr von ihr wusste als jedes andere Wesen auf dieser lichtlosen Welt.


    "Du, leg Dich auf den Bauch. Streck dich aus. Ich will mich Dir auf den Rücken legen und ruhn." So bat sie ihn.
    Er spürte ihren leichten Körper, spürte ihren warmen Atem an seinem Nacken.
    Sie war tatsächlich auf ihm eingeschlafen. Jetzt, in dieser Minute, da wurde er so glücklich wie niemals zuvor in all den Lebensjahren. Er beruhigte sich, schlief bald selber ein. Und er träumte. Dass alle Welt, dass die Menschen so wunderlich, so komisch wären. Immerzu musste er im Traum darüber lachen, immerzu fort.


    Und wie er innerlich lachend aufwachte, allein, verwirrt, da war ihm, als ob ein leichter Druck von seinen Schultern genommen wäre. Doch nur, um sogleich abgelöst zu werden durch einen neuen, gnadenlosen, niemals enden wollenden Druck auf sein Herz. Denn wie er so aufwachte, da war er allein.


    Die alte Bauersfrau verlor in diesem Sommer ihren Mann. Sie verließ auch den Hof. Doch dies tat sie zusammen mit ihrem Sohn. Bevor er die Mutter in den Wagen setzte und mit in die Stadt nahm, in der Stunde vor dem endgültigen Abschied, da machte er ein paar Aufnahmen. Vom Haus. Der blauen Tür. Vom Garten. Die Abzüge zeigte er später niemandem. Er schaut sie nicht einmal selbst an. Doch im Kuvert mit den Bildern steckt auch sein Gedicht über ein Kirschenessen am Fluss. Und diesen Umschlag trägt er stets bei sich.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Himmelblau und Lupine 


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    Die Fee Lupine hatte das Unglück, fünf Tage in jeder Woche eine außerordentlich häßliche kleine Person zu sein; in den beiden übrigen hätte sie das Modell zu einer Liebesgöttin abgeben können. Es ist noch immer etwas, wöchentlich zwei schöne Tage zu haben, woferne man sie benutzen kann. Aber für Lupinen ging dieser Vorteil durch einen andern Umstand verloren, und das war, daß sie, so wie sich ihre Figur änderte, auch eine andere Denkart und andere Gesinnungen bekam. In ihren fünf häßlichen Tagen war sie sanft, zärtlich, gutherzig, gefühlvoll, mit einem Worte: liebenswürdig, wenn man es mit einer widerlichen und zurückstoßenden Außenseite sein könnte. Sie war in dieser Zeit die gefälligste, die verbindlichste Person von der Welt und tat ihr möglichstes, um irgendeinen Genie, Zauberer oder auch nur einen bloßen Sterblichen aufzutreiben, der edel genug wäre, sich von wahren und soliden Verdiensten, von Vollkommenheiten des Geistes und Herzens, ohne einen Zusatz von körperlichen Reizungen, einnehmen zu lassen; aber leider! wo findet man solche Männer in der Welt? Bei allem dem muß man sich nicht einbilden, als ob die gute kleine Fee darum eine Kokette gewesen wäre; sie tat es bloß, weil es nun einmal geschrieben stand, daß sie ihre ursprüngliche Gestalt, welche sehr liebreizend gewesen war, nicht eher wiederbekommen würde, bis sie einen Mann fände, dem sie in ihrer Häßlichkeit eine wahre Liebe einzuflößen vermochte. So stand es in dem Buche des Schicksals geschrieben, einem Buche, das jedermann kennt, wiewohl kein Mensch jemals darin gelesen hat. Wie die gute Lupine zu diesem Unglück gekommen, wird wohl niemand erst fragen, der ein wenig in der Feerei bewandert ist. Natürlicherweise hatte sie sich's durch eine hartnäckige Sprödigkeit gegen irgendeinen häßlichen, boshaften, abscheulichen Zauberer zugezogen, welcher mächtiger als sie. So etwas versteht sich von selbst; und gleichwohl gibt es Leute, denen man alles sagen muß und die gleich ungehalten über euch werden, wenn ihr ihnen das Vergnügen machen wollt, etwas zu erraten, das sich von selbst versteht. Lupine hatte, wie gesagt, auch zwei Tage in der Woche, wo sie zum Entzücken schön war. Sie besaß in dieser kurzen Zeit alle Reizungen und Annehmlichkeiten, womit Schönheit und Jugend die Sinne bezaubern können; und wäre es in ihrer Gewalt gestanden, die nehmlichen Gesinnungen und das nehmliche Betragen, womit sie in den Tagen ihrer Häßlichkeit so wenig ausrichtete, beizubehalten: welches Herz hätte gegen sie aushalten können? Aber sobald sie schön wurde, wurde sie auch albern, eitel, übermütig und, mit einem Worte: unausstehlich; ihr hochmütiges Wesen, ihre Kälte, ihr Eigensinn, ihre Geringschätzung anderer, ihr Mangel an Geschmack und Empfindung, kurz, alle ihre Manieren, stießen einen jeden wieder zurück, den ihre Figur angezogen hatte; und man brauchte sie nur reden zu hören oder sich mit ihr einzulassen, um in wenig Augenblicken die gute Meinung von ihr zu verlieren, die man gewöhnlich von einer schönen Person hat und worin man sich so ungern betrogen findet. Es war eine von den Bedingungen, von welchen ihre Wiederherstellung in den vorigen Stand abhing, daß es ihr nicht erlaubt war, weder denen, die sie anbeteten, wenn sie schön war, noch denen, deren Herz sie als häßlich gerne gewonnen hätte, zu entdecken, daß sie unter beiderlei Gestalt die nehmliche Person sei. Man glaubte bei Hofe (die Rede ist vom Hofe der Feenkönigin), es seien zwei Lupinen, eine schöne und eine häßliche. Dieser Hof ist ein Land, wo man zuweilen alles und noch mehr sieht, als zu sehen ist, dafür aber auch zuweilen die auffallendsten Dinge übersieht, so daß viele Zeit verstrich, ohne daß man die Bemerkung machte, daß die beiden Lupinen sich nie zugleich sehen ließen. Inzwischen hatte die kleine Fee fünf Tage in jeder Woche hintereinander den Verdruß, sich von eben den Liebhabern verachtet und verspottet zu sehen, die in den beiden übrigen Tagen alles in der Welt darum gegeben hätten, sie ebenso liebenswürdig und gefällig zu finden, als sie schön und reizend war. Diese Lage ist traurig genug; auch war es Lupine nicht wenig, und sogar noch mehr in den Tagen, wann sie schön, als in denen, wann sie häßlich war: woraus sich schließen läßt, daß es noch besser ist, mit Verstand und Empfindung häßlich, als mit aller möglichen Schönheit eine Gans zu sein. So stund es indessen mit der guten Fee, als das Schicksal sie mit einer Mannsperson zusammenbrachte, die aus einerlei Ursache ebenso übel behandelt worden war. Es war ein junger Prinz (wie man leicht denken konnte), aber was man so leicht nicht erraten hätte, ist, daß er sich «Himmelblau» nennen ließ: teils, weil seine Augen von dieser Farbe waren, teils, weil er sich den ganzen Sommer durch in himmelblauen Schielertaft zu kleiden pflegte und diese Art von Zeug eine Zeitlang zur Mode gemacht hatte. Er war ursprünglich einer von den Adonissen gewesen, die das Vorrecht haben, den Weibern den Kopf zu verrücken, ohne daß sie recht sagen könnten, warum. Sobald sich einer von diesen privilegierten Herren sehen läßt, so sind die alten Feen gemeiniglich nicht die letzten, welche Jagd auf sie machen; wiewohl mit so schlechtem Erfolge, daß sie längst von dieser kleinen Schwachheit geheilt sein sollten, wenn man sich von einer Schwachheit, die man gerne hat, heilen ließe. Die erste Fee, die sich über Himmelblaus Grausamkeit zu beklagen hatte, nahm ihre Rache auf der Stelle. Sie tat ihm, wie der Zauberer Lupinen getan hatte: der ganze Unterschied war, daß Himmelblau nur für zwei Tage in der Woche mit der vollständigsten Häßlichkeit begabt war, in den fünf andern aber seine angeborne Schönheit behielt. Im übrigen war es mit ihm wie mit Lupinen: häßlich hatte er alle nur ersinnliche Vorzüge des Geistes und Herzens; aber sobald er wieder schön wurde: weg war Seele, Witz, Geschmack und Empfindung; er wurde so kalt und gleichgültig wie eine Bildsäule, sah ohne Gefühl, sprach ohne zu denken, kurz, wurde so albern und abgeschmackt, daß er mit aller seiner Schönheit kaum erträglich war. Die beiden Tage, wo Himmelblau unter dem Namen Magotin häßlich und gefühlvoll war, waren gerade dieselben, wo Lupine verurteilt war, schön und gleichgültig zu sein; die fünf Tage hingegen, wo sie häßlich und geistvoll war, waren diejenigen, an welchen sich der Prinz im Besitz aller Reizungen und aller Kälte einer schönen Statue befand. In diesem letztern Stande mußte er Liebe einflößen, um jemals daraus befreit zu werden; und was für ihn das mißlichste war, es mußte wahre Liebe und die Liebhaberin eine Dame von Verstand und vortrefflichem Charakter sein. In diesem Stücke war er würklich schlimmer daran als die Fee. Eine häßliche Person kann durch die Schönheit ihrer Seele gefallen; aber daß ein verständiges Frauenzimmer einen gefühllosen Gecken bloß um seiner Figur willen liebgewinne, scheint beinahe eine Unmöglichkeit. Die Übereinstimmung in Himmelblaus und Lupinens Schicksalen brachte noch eine andere hervor, die man leicht voraussehen konnte. Der Prinz wurde in den zwei Tagen, wo er Magotin war, sterblich in Lupinen verliebt, die dann just ihre zwei schönen Tage hatte; und sie begegnete ihm so unartig und verächtlich, als man es von einem Charakter wie der ihrige erwarten kann. Aber dafür kam auch, sobald die zwei Tage vorbei waren, die Reihe an den Prinzen. Lupine wurde dann wieder auf fünf Tage das häßlichste Geschöpf von der Welt; und der schöne Himmelblau nahm mit seiner Gestalt und seinem Namen auch seine Eiskälte und sein verächtliches Bezeugen wieder an. Die arme Fee gab alle ihre Blicke und Seufzer umsonst bei ihm aus; sie schien nur desto häßlicher zu werden, je zärtlicher sie aussah und je mehr sie zu gefallen suchte. Bei allem dem sah sich der schöne Himmelblau bald genug von dem Gedränge verlassen, das seine Figur anfangs um ihn her gemacht hatte. Koketten und Prüden, die davon geblendet worden waren und sich viel von ihm versprochen hatten, wurden seiner Kälte und unhöflichen Gleichgültigkeit überdrüssig; die einzige Lupine, die keine Wahl hatte, hielt bei ihm aus. Sie hatte dann doch wenigstens das Vergnügen, allein bei dem, was sie liebte, zu sein und keine Nebenbuhlerin zum Zeugen der Gleichgültigkeit, womit ihr begegnet wurde, zu haben; und das ist kein geringer Trost. Wenn diese Gleichgültigkeit nicht abnahm, so schien sie doch auch nicht zuzunehmen; und auch das ist ein Trost: die Liebe nährt sich von dem leichtesten Anschein von Hoffnung; und Hoffnung ist vielleicht der größte Zauber der Liebe. Auch in diesem Stücke hatte es Himmelblau schlimmer, wenn die Reihe an ihn kam, häßlich zu sein. Lupine, sowenig Unterhaltung auch ihre Liebhaber bei ihr fanden, behielt doch immer einen kleinen Hof von Anbetern um sich.

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    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Die Eigenliebe der Mannsleute scheint von einer zähern und hartnäckigern Natur zu sein als der Damen ihre, und es braucht eine weit längere Zeit, bis ein Liebhaber, der das Unglück hat zu mißfallen, sich's gesagt sein läßt. Und wenn denn auch einem die Geduld ausging, so stellten sich immer wieder zwei neue dafür ein, die ihren eignen Verdiensten und Gaben mehr zutrauten und desto hitziger wurden, das Abenteuer zu versuchen, je mehr Vorgänger dabei verunglückt waren. Himmelblau-Magotin hatte also immer die Demütigung auszustehen, daß ihm unter allen seinen Nebenbuhlern am schlimmsten mitgespielt wurde. Freilich besaß er, zu seinem Glücke, soviel Verstand, daß er noch immer besser als ein andrer davonkam; aber litt er darum weniger? Ein so stürmischer Hof, wie Lupinens, hatte oft genug lauter neue Gesichter aufzuweisen: der einzige Magotin hielt sie alle aus; keine Mißhandlung konnte ihn ermüden, geschweige zum Abzug bewegen. Anfangs gab niemand darauf acht; aber da es lange genug gewährt hatte, bemerkte man es endlich. Man zog ihn darüber auf, er hielt fest. Seine Beständigkeit schien ein Wunder; die Damen stellten ihre Betrachtungen darüber an: man beschloß Mitleiden mit ihm zu haben und, wo möglich, seine Figur zu vergessen, wenn man ihm auch mit geschlossenen Augen Audienz geben müßte. Man begriff, es müßte was Außerordentliches hinter ihm stecken; kurz, er wurde Mode; und eh' man eine Hand umkehrte, war keine Dame von einer gewissen Gattung, die sich nicht eine sehr ernsthafte Angelegenheit daraus gemacht hätte, diesen Liebhaber der schönen Unerträglichen zu entführen. Denn unter diesem Namen war Lupine in ihren zwei schönen Tagen bekannter als unter ihrem eigenen.


    (Christoph Martin Wieland)

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    Das Kind, das mit den Feen ging


    Östlich der alten Stadt Limerick, ungefähr zehn irische Meilen unterhalb des Gebirgszuges, der unter der Bezeichnung »Die Slieveelim Hügel« bekannt ist, verläuft eine sehr alte und enge Straße. Sie verbindet Limerick und die Straße nach Tipperary mit der Straße nach Dublin und führt durch Sumpf und Weide, über Berg und Tal, an mit Stroh gedeckten Hütten und dachlosen Schlössern vorbei, an die zwanzig Meilen.
    Am Fuß jenes Gebirges., das ich schon erwähnte, gibt es ein Wegstück, das besonders einsam ist. Für mehr als drei irische Meilen kommt man durch eine völlig verlassene Landschaft. Ein weites schwarzes Moor, flach wie ein See, eingefaßt von Unterholz, breitet sich zur Linken aus, wenn man nordwärts reist., und die ungleichmäßige Linie der Gebirgskette, die man zur Rechten sieht, Hügel mit Heide überwuchert und graue Felsen., die den Überresten einer Befestigung ähnlich sind, wird häufig unterbrochen durch Schluchten., die sich hier und dort zu felsigen und bewaldeten Tälern ausweiten. Eine dürftige Weide, auf der ein paar verstreute Schafe grasen, rahmt die einsame Wegstrecke über ein paar Meilen hin ein, und unter einem schlitzenden Hügel und zwei oder drei großen Eschen stand vor gar nicht langer Zeit die mit Stroh gedeckte Hütte der Witwe Mary Ryan.
    Arm war die Frau in einem armen Land. Das Strohdach hatte schon eine graue Färbung und hier und da Vertiefungen, die auf die Einwirkungen der Witterung hindeuteten. .Aber welch andere Gefahren auch drohen mochten, man war dagegen in diesem Haus wohlgeschützt. Rund um die Hütte stand ein halbes Dutzend Bergeschen, die die Hexen nicht mögen. An den abgeschabten Türbalken waren zwei Hufeisen genagelt, und über dem Türsturz wuchs Lauch, ein altes Heilmittel gegen viele Übel, mit dem man auch die Machenschaften des Bösen vorbeugend bekämpfen kann. War man durch die Tür eingetreten und hatten sich die Augen an das verschwommene Licht gewöhnt, so entdeckte man über dem mit einem Holzhimmel versehenen Bett der Witwe ihren Rosenkranz und ein Fläschchen mit Weihwasser. Hier gab es Schutz, und hier waren Bollwerke gegen das Vordringen außerirdischer und böser Mächte, an die man in der Familie ständig durch die Silhouette des Lisnavoura erinnert wurde, eines einsamen Hügels, den das »gute Volk«, wie die Feen nicht ganz zu Recht genannt werden, bewohnte.
    Der seltsame, kuppelartige Hügel erhob sich etwa eine halbe Meile vom Haus entfernt und wirkte wie eine Festung in der Gebirgslinie. Es war im Herbst. Mit der untergehenden Sonne fielen die Schatten des Hügels über die Hänge des Slieveelim bis in die Nähe der kleinen einsamen Hütte.
    Die Vögel sangen in den Zweigen der melancholischen Eschenbäume, deren Blattwerk schon dünn wurde. Die drei jüngeren Kinder der Witwe spielten auf der Straße, und ihre Stimmen vermischten sich mit dem Abendlied der Vögel. Nell, das älteste Mädchen, war im Haus, um sich um die Kartoffeln zu kümmern, die für das Abendessen gekocht wurden. Die Mutter war hinaus aufs Moor gegangen, um dort eine Last Torf zu holen. Es ist oder war jedenfalls eine menschenfreundliche Sitte unter den wohlhabenderen Leuten, beim Torfstechen immer einen kleinen Stapel für einen Armen mit aufzusetzen, der so Brennmaterial hatte, um seine Kartoffeln zu kochen und gut durch den Winter zu kommen.
    Moll Ryan kam einen steilen Pfad herauf, dessen Ränder mit Dornenbüschen überwuchert waren. Gebeugt von der Last kam sie durch die Tür herein und wurde von Nell begrüßt, die ihr auch dabei half, den Torf abzusetzen. Moll Ryan sah sich mit einem Aufatmen um, fuhr sich mit der Hand über die Stirn und stieß dann hervor:"Ich bin froh, daß es geschafft ist. Gott sei Dank! Wo sind denn die Kleinen, NeIl?" "Die spielen auf der Straße, Mutter. Hast du sie nicht gesehen, als du hereingekommen bist ?" "Nein. Es war niemand vor mir auf der Straße", sagte sie beunruhigt, "nicht eine Seele, Nell, warum hast du nicht mal ein Auge auf sie gehabt?" "Ach, sie werden auf dem Hof sein, oder hinter dem Haus. Soll ich sie hereinrufen ?" "Tu das, Mädchen, in Gottes Namen. Die Hennen kommen heim. Die Sonne geht gerade hinter dem Knockdoulan unter, und ich bin jetzt ja auch da"
    Also sprang das dunkelhaarige Mädchen nach draußen, lief zur Straße, schaute in diese und in die andere Richtung, aber ihre zwei kleinen Brüder, Con und Bill, und ihre kleine Schwester Peg waren nirgends zu sehen. Sie rief alle, aber aus dem Hof kam keine Antwort. Sie horchte, aber sie hörte auch nirgends ihre Stimmen. Über den Zauntritt stieg sie, schaute hinter das Haus überall war es still, und keines der Kinder zeigte sich.
    Sie schaute aufs Moor hinaus. Auch dort keine Kinder . Wieder horchte sie. Nichts. Sie wurde zornig, aber gleich darauf überkam sie ein anderes Gefühl, und sie wurde bleich im Gesicht. Sie schaute zu der mit Heidekraut überwucherten Kuppe des Lisnavoura, die nun in tiefem Purpurrot gegen den flammenden Himmel stand, an dem gerade die Sonne unterging. Wieder horchte sie, härte aber nichts als das Gezwitscher der Vögel in den Bäumen. Wie oft hatte sie am Feuer während des Winters Geschichten von Kindern gehört, die bei Einbruch der Nacht an abgelegenen Orten von Feen gestohlen worden waren! Sie wußte auch, daß diese Furcht ihre Mutter immer wieder plagte. Niemand weit und breit rief seine kleine Herde so früh ins Haus wie die ängstliche Witwe, nirgends in den sieben Kirchspielen wurde die Haustür so früh verriegelt wie hier. Bei alledem ist es kein Wunder, daß sich auch Nell besonders vor den Feen fürchtete. Sie starrte zum Lisnavoura wie in Trance hinüber, bekreuzigte sich immer wieder und flüsterte Gebete. Dann rief die Mutter von der Straße her. Sie antwortete und rannte vor die Hütte, wo sie die Mutter antraf. "Und wo in aller Welt sind die Kinder? Hast du sie irgendwo entdeckt?" rief Mrs. Ryan, während das Mädchen über den Zauntritt stieg.
    "Ach, Mutter. Sie sind gewiß nur ein Stück die Straße entlanggegangen. In ein paar Minuten werden sie zurück sein. Es ist wie mit den Ziegen. Sie springen hierhin und springen dahin." "Mag der Herr dir vergeben, Nell! Die Kinder sind fort. Entführt und keine Seele in unserer Nähe. Vater Tom gar drei Meilen fort. Was soll ich jetzt tun, wer wird uns, da es nun dunkel wird, helfen? Ist es zu fassen? Die Kinder sind fort!" "Still, Mutter, beruhige dich. Siehst du nicht. ..da kommen sie ja." Und dann begann sie in drohendem Ton zu schreien und winkte den Kindern zu, die auf der Straße daherkamen, die in einiger Entfernung durch eine Senke verlief, weshalb man sie wohl eine Weile nicht hatte sehen können. Sie kamen jetzt aus westlicher Richtung näher, von dort her, wo der gefürchtete Hügel von Lisnavoura lag. Aber es waren nur zwei Kinder, und eines von ihnen, das kleine Mädchen, weinte. Mutter und große Schwester liefen ihnen entgegen, jetzt noch mehr erschrocken als zuvor. "Wo ist Bill. ..wo ist er hin ?" fragte die Mutter atemlos, als sie nahe genug heran war. "Er ist fort. ..sie haben ihn mitgenommen. Aber sie haben gesagt, er wird bald wieder zurück sein", antwortete der kleine Con, der dunkelbraunes Haare hatte. "Er ist fort mit den großen Damen", plapperte des kleine Mädchen. "Was denn für Damen. ..und wohin ? Ach mein Liebling, haben sie es doch geschafft. Wo ist er? Wer hat ihn mitgenommen? Von was für Damen sprecht ihr denn? In welche Richtung sind sie denn gefahren?" rief sie. "Ich konnte nicht sehen, wo sie hinfuhren, Mutter. Aber es war mir, als ob sie gegen den Lisnavoura hin fuhren." Unter wilden Ausrufen rannte die verängstigte Frau allein gegen den Hügel hin, klatschte in die Hände und rief laut den Namen des verlorengegangenen Kindes. Erschreckt sah Nell, die es nicht wagte, der Mutter zu folgen, ihr nach. Sie brach in Tränen aus, und ihre Geschwister stimmten in ihr Wehklagen und Weinen ein. Es wurde dunkler. Es war längst über die Zeit, zu der sie sonst sicher unter dem Dach der Hütte saßen. Nell führte die beiden Geschwister ins Haus, hieß sie sich vor das Torffeuer setzen, während sie in der offenen Tür stehenblieb und voller Furcht die Heimkehr ihrer Mutter abwartete.


    fortzetzung folgt

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Nach langer Zeit kam die Mutter. Sie trat ein, setzte sich ans Feuer und weinte jämmerlich. "Soll ich die Tür verriegeln, Mutter?" fragte Nell. " Ja, tu das. ..habe ich nicht heute abend schon genug verloren, ohne daß die Tür offenstand. Aber zuvor bespreng dich mit Weihwasser und bring das Fläschchen her, damit ich für mich und die Kleinen auch einen Hauch davon nehmen kann. Ich frag' mich, ob all das passiert wäre, hättest du die Kleinen mit Weihwasser besprengt, bevor sie gegen Abend nach draußen liefen. Kommt alle her, Kinder, kommt zu mir. Ich will euch festhalten, so daß niemand euch mir fortnehmen kann. Und dann sollt ihr mir erzählen -der Herr sei zwischen uns und dem Unglück! -, was geschah, und wer es war, der unseren Billy mit fortnahm."
    Als die Tür verriegelt war, erzählten die Kinder, einander häufig unterbrechend, oft aber auch von einer Zwischenfrage der Mutter unterbrochen, jene seltsame Geschichte, die ich später zusammenhängend in meine Sprache brachte.
    Die drei Kinder der Witwe Ryan spielten, wie ich schon sagte, auf der alten engen Straße vor der Tür. Der kleine Bill oder Leum, etwa fünf Jahre alt, mit hellblondem Haar und blauen Augen, war ein sehr hübscher Junge, gesund und mit jenem Blick ernster Einfachheit, den man bei Stadtkindern gleichen Alters nur selten finden wird. Seine Schwester Peg, ungefähr ein Jahr älter, und sein Bruder Con, wiederum ein Jahr älter als das Mädchen, waren gleich ihm mit auf der Straße.
    Unter den großen Eschenbäumen, deren Blätter abzufallen begannen, und im Licht der Oktobersonne, die sich anschickte unterzugehen, spielten die Kinder ausgelassen und versunken, und manchmal blickten sie dabei nach Westen, zu dem Hügel von Lisnavoura hin. Plötzlich wurden sie von einer aufgeregten Stimme in schrillem Tonfall von hinten angerufen und ihnen befohlen, aus dem Weg zu gehen. Sie wandten sich um. Sie blickten auf etwas, das sie nie zuvor gesehen hatten. Es war ein Wagen, bespannt mit vier Pferden, die schnaubten und ungeduldig wieherten, während sie herankamen. Die Kinder, die schon fast unter ihren Hufen waren, sprangen eilig zur Seite, und zwar gegen die Tür der Hütte hin.
    Die Kutsche war von altmodischer Art, reichverziert und prunkvoll, und die Kinder, die nie etwas anderes gesehen hatten als einen Torwagen oder eine alte Chaise, die auf dem Weg von Killaloe hier vorbeigekommen waren, kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Geschirre und das Zaumzeug waren scharlachrot mit Schnallen und Schließen aus Gold. Die Pferde waren gewaltig groß, schneeweiß, mit prächtigen Mähnen, und wenn sie sich schüttelten, dann war es, als ob Rauch durch die Luft wirbele. Auch die Kutsche selbst sprühte von Farben und vergoldeten Beschlägen und Ornamenten. Es gab Beifahrer in Livree mit dreieckigen Hüten, und der Kutscher trug eine große Perücke, so wie Richter sie aufsetzen.
    All diese Diener wirkten sehr klein und irgendwie unpassend zu den riesigen Pferden der Equipage. Sie hatten scharfe Gesichtszüge, kleine, ruhelose, wild dreinblickende Augen, und um ihre Münder spielte ein schlaues, boshaftes Lächeln, vor dem die Kinder Angst bekamen.
    Der kleine Kutscher schimpfte. Seine kleinen wütenden Perlaugen schienen aus ihren Höhlen herausspringen zu wollen, während er die Peitschenschnur um den Kopf der Pferde wirbeln ließ, bis es aussah, als sei da ein Feuerstrahl in der Luft . "Weg frei für die Prinzessin!" brüllte der Kutscher mit bebender Stimme.
    "Weg frei für die Prinzessin", piepsten die Beifahrer gegen die Kinder hin und knirschten dann mit den Zähnen. Die Kinder waren so verschreckt, daß sie ganz bleich wurden. Aber eine süße Stimme, die aus dem offenen Fenster der Kutsche drang, beruhigte sie und gebot dem Schimpfen der Diener Einhalt. Eine schöne und sehr vornehm aussehende Dame lächelte den Kindern zu, und alle empfanden das Licht dieses Lächelns als angenehm. "Diesen Jungen da, mit den goldenen Haaren, glaube ich", sagte die Dame und sah Leum mit ihren großen Augen an. Das Oberteil der Kutsche war fast völlig aus Glas, und so konnten die Kinder sehen, daß drinnen noch eine andere Frau mitfuhr, die ihnen nicht so gut gefiel.
    Es war eine schwarze Frau, mit einem wundervollen langen Hals, um den sie viele Ketten aus Perlen verschiedener Farbe trug. Auf dem Kopf hatte sie einen Turban aus Seide, die in allen Farben des Regenbogens changierte, und zusammengehalten wurde dieser Kopfputz von einem goldenen Stern. Das Gesicht diese schwarzen Frau sah fast aus wie bei einem Totenkopf, hohe Wangenknochen, große starre Augen, bei denen das Weiße, gleich der Farbe ihrer Zähne, einen strahlenden Kontrast zu ihrer Haut bildete. Sie lehnte sich zu der schönen Frau hinüber und schien ihr etwas zuzuflüstern .
    "Ja, den Jungen mit dem goldenen Haar, würde ich meinen", wiederholte die Dame. Und ihre Stimme kam den Kindern süß wie der Klang einer Silberglocke vor, ihr Lächeln luckte sie an wie das Licht einer Zauberlampe, während sie sich aus dem Fenster lehnte und ihre blauen Augen mit einem Blick bewundernden Wohlgefallens auf dem blonden Jungen ruhten. Der kleine Billy lächelte zurück, und als sie sich noch weiter vorbeugte und ihre mit Juwelen geschmückten Arme zu ihm ausstreckte, hielt er ihr seine kleinen Hände entgegen. Wie sie einander berührten, wußten die anderen Kinder nicht zu beschreiben, wohl aber erzählten sie, daß sie ausgerufen habe: "Komm und gib mir einen Kuß, mein Liebling!" Dann hob sie ihn hoch, und er schien an ihrem kleinen Finger zu hängen, leicht wie eine Feder, und sie setzte ihn auf ihrem Schoß ab und bedeckte ihn mit Küssen.


    fortsetzung folgt

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Jetzt waren die Kinder furchtlos, ein jedes wäre nur zu gern wie ihr kleiner Bruder bei der schönen Dame im Wagen gewesen. Nur eines war ihnen etwas unheimlich und machte ihnen Angst, und das war die schwarze Frau. Sie führte ein Seidentaschentuch an die Lippen, und dann stopfte sie sich Lage um Lage dieses Taschentuchs, das scheinbar endlos war, in den Mund, um das Lachen zu dämpfen, in das sie verfallen war, und von dem sie geschüttelt wurde. Dabei schauten aber ihre Augen unheimlicher und bösartiger denn je zuvor drein.
    Aber dann blickten die Kinder alle wieder zu der Dame hin, weil sie eben so schön war. Sie fuhr fort, den kleinen Jungen auf ihren Knien zu küssen und zu streicheln. Sie lächelte den Kindern zu und hielt dabei einen großen braunen Apfel zwischen den Fingern. Die Kutsche fuhr jetzt wieder langsam an, und mit einem Nicken, das wohl dazu einladen sollte, die Frucht zu holen, ließ sie den Apfel auf die Straße rollen. Er rollte neben die Räder. Die Kinder liefen dem Apfel nach. Die Dame warf einen zweiten Apfel und dann noch einen und noch einen.
    Immer wenn eines der Kinder gerade glaubte, einen der Äpfel greifen zu können, fiel er in ein Loch oder in einen Graben. Dann sahen sich die Kinder um, und immer noch warf die vornehme Dame Äpfel aus dem Fenster, die über die Straße rollten. Diese Jagd nach den Äpfeln setzte sich fort, bis sie, ohne sich dies jedoch recht bewußt zu machen, an eine Straßenkreuzung kamen, wo der Weg nach Owney abzweigt.
    Es hatte den Anschein, daß dort die Pferdehufe und das Gefährt einen wunderbaren Staub aufwirbelten, und eine Staubwolke, wie sie auch an ruhigen Tagen manchmal entsteht, schien sich zu bilden. Sie hüllte die Kinder für einen Moment ein und trieb dann wirbelnd gegen den Lisnavoura hin. Inmitten dieses Wirbels aber fuhr die Kutsche. Plötzlich aber war statt ihrer nur noch Stroh in der Luft, und einige welke Blätter segelten über das Straßenpflaster. Im seIben Augenblick verschwand der obere Rand des untergehenden Sonnenballs hinter dem Hügel von Knockdoula, und es wurde Zwielicht. Die Kinder spürten die Veränderung wie einen Schock -und der Anblick des runden Gipfels des Lisnavoura, der jetzt aus der Nähe auf sie niedersah, verstärkte dieses Gefühl noch. Sie riefen den Namen des Bruders, aber ihre Schreie verhallten ohne Antwort. Gleichzeitig meinten sie eine tiefe Stimme sagen hören: "Geht heim!"
    Sie schauten sich um, aber da war niemand. Sie fürchteten sich, und Hand in Hand -das kleine Mädchen wild weinend und der Junge grau wie Asche im Gesicht -, liefen sie heim, so rasch sie konnten, um, wie wir gehört haben, ihre seltsame Geschichte zu erzählen.
    Mollv Ryan sah ihren Sohn nie wieder. Aber seine früheren Spielgefährten bekamen ihn wieder zu Gesicht. Manchmal, wenn die Mutter fort war, um bei der Heuernte eine Kleinigkeit zu verdienen und Nelly Kartoffeln für das Mittagessen wusch oder an dem kleinen Bach, der durch die Senke in der Nähe des Hauses fließt, Kleidungsstücke säuberte, schaute Billys hübsches Gesicht zur Tür herein und lächelte sie schweigend an. Und wenn sie dann hinrannten und ihn mit einem Freudenschrei umarmen wollten, zog er sich vorsichtig nach draußen zurück; folgten sie ihm aber dorthin, dann war nirgends eine Spur von ihm.
    Dies geschah oft, und jedesmal waren die Umstände seines Erscheinens ein wenig anders. Manchmal schaute er länger ins Haus, manchmal kürzer, manchmal streckte er die Hand aus, bewegte den Finger zu einer lockenden Geste und winkte den Geschwistern, ihm zu folgen. Aber immer lächelte er, und nie sagte er ein Wort. Und immer war er verschwunden, wenn die anderen die Tür erreichten. Allmählich wurden die Besuche seltener, und nach etwa acht Monaten hörten sie ganz auf, und der kleine Billy, den man nun ganz verloren gab, galt als Toter.
    An einem Wintermorgen, anderthalb Jahre nach seinem Verschwinden, machte sich seine Mutter bald nach dem ersten Hahnenschrei nach Limerick auf, um dort Geflügel auf dem Markt zu verkaufen. Das kleine Mädchen lag neben ihrer älteren Schwester, die noch fest schlief . Plötzlich, im grauen Morgenlicht, sah die Kleine, wie sich die Tür öffnete. Billy kam herein und zog die Tür vorsichtig hinter sich zu. Es war immerhin hell genug, um zu erkennen, daß er barfuß war, abgerissen aussah, bleich und abgemagert. Er ging geradewegs auf das Feuer zu, beugte sich über die Glut und schien sich wärmen zu wollen.
    Die Kleine stieß ihre große Schwester voller Schrecken an und flüsterte: "Wach auf, Nelly, Billy ist heimgekommen!" Nelly schlief fest weiter, aber der kleine Junge, dessen Hände fast die Glut berührten, wandte sich um und schaute, so schien es der Kleinen jedenfalls, sich ängstlich um. Dann schlich er sich auf Zehenspitzen wieder zur Tür zurück und ging fast lautlos nach draußen. Danach wurde der kleine Junge nie mehr gesehen.
    Feendoktoren, wie man die Leute nennt, die in solchen Fällen probate Gegenmittel verkaufen, taten, was sie konnten - vergebens. Pater Tom kam und versuchte es mit jenen Mitteln, die die Kirche zu Gebote hat. Auch das blieb erfolglos.
    Für Mutter, Bruder und Schwestern war der kleine Billy tot. Andere, die von Menschen geliebt worden waren, lagen in geweihter Erde, auf dem alten Kirchhof von Abington, mit einem Stein an der Stelle, an der die Überlebenden niederknien und ein Gebet für den Frieden der Seele des Toten sprechen können. Für den kleinen Billy gab es keine solche Stelle, es sei denn, man hätte den alten Hügel von Lisnavoura dafür genommen, der bei Sonnenuntergang einen langen Schatten bis vor die Tür der Hütte wirft, oder das weiße Mondlicht, das in späteren Jahren seinen Bruder an ihn erinnerte, wenn dieser von der Messe oder dem Markt zurückkam, seufzte und ein Gebet für den kleinen Billy sprach, verlorengegangen vor so langer Zeit und nie mehr gesehen seither.


    (Märchen aus Irland)

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

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    Die letzte Perle



    Das war ein reiches Haus, ein glückliches Haus. Alles darin, Herrschaften wie Dienende und gleichzeitig auch ihre Freunde waren glückselig und fröhlich; heute war ein Erbe geboren, ein Sohn, und Mutter und Kind befanden sich wohl. Die Lampe in dem behaglichen Schlafzimmer war halb überdeckt; schwere seidene Gardinen von kostbaren Stoffen hingen fest zugezogen vor den Fenstern. Der Teppich war dick und weich wie Moos; alles war wie geschaffen zum Schlummer, zum Schlafe, zum köstlichen Ruhen, und dem gab sich auch die Pflegerin hin, sie schlief, und das konnte sie mit ruhigem Gewissen; denn alles war gut und in seiner Ordnung.
    Des Hauses Schutzgeist stand am Kopfende des Bettes; über das Kind an der Mutter Brust hin breitete es sich reich, gleichsam wie ein Netz funkelnder Sterne aus, jeder Stern war eine Perle des Glückes. Des Lebens gute Feen, alle hatten sie dem Neugeborenen ihre Gaben gebracht. Hier funkelten Gesundheit, Reichtum, Glück und Liebe, kurz alles, was Menschen sich auf dieser Erde nur wünschen können. "Alles ist nun gebracht und geschenkt!" sagte der Schutzgeist. "Nein" ertönte eine Stimme dicht daneben; das war des Kindes guter Engel. "Eine Fee hat ihre Gabe noch nicht gebracht, aber sie bringt sie, bringt sie einmal, ob auch Jahre darüber vergehen werden. Die letzte Perle fehlt." "Fehlt? Hier darf nichts fehlen, und ist es wirklich so, so laß uns gehen und sie suchen, die mächtige Fee, laß uns zu ihr gehen."
    "Sie kommt, sie kommt einmal. Ihre Perle muß dabei sein, um den Kranz zusammenzubinden." "Wo wohnt sie? Wo ist ihre Heimat? Sage es mir ich gehe und hole die Perle." "Du willst es", sagte des Kindes guter Engel. "Ich führe Dich zu ihr, wo sie auch zu treffen sein mag. Sie hat keine bleibende Stätte, sie kommt zu des Kaisers Schloß und zu dem ärmsten Bauer, an keinem Menschen geht sie spurlos vorüber, allen bringt sie ihre Gabe, sei sie eine Welt oder ein Spielzeug. Auch diesem Kinde wird sie begegnen. Du denkst, die Zeit ist gleich lang, aber nicht gleich nützlich. Nun wohl, laß uns gehen, die Perle zu holen, die letzte Perle zu diesem Reichtum."
    Und Hand in Hand schwebten sie zu der Stätte, die zu dieser Stunde die Heimat der Fee war. Es war ein großes Haus mit düsteren Gängen, leeren Zimmern und seltsam stille; eine Reihe von Fenstern stand offen, damit die rauhe Luft recht herein dringen könne; die langen weißen, niederhängenden Gardinen bewegten sich im Luftzuge. Mitten auf dem Fußboden stand ein offener Sarg und in diesem ruhte die Leiche einer Frau in den besten Jahren. Die herrlichsten frischen Rosen lagen über sie hingebreitet, so dass nur die gefalteten feinen Hände sichtbar waren und das im Tode verklärte, edle Antlitz mit der Weihe hohen, edlen Ernstes vor Gott. Am Sarge standen Mann und Kinder, eine ganze Schar war es; das Kleinste saß auf dem Arme des Vaters, sie brachten ihr das letzte Lebewohl dar. Der Mann küßte ihre Hand, die Hand, die nun wie welkes Laub war, und die sie alle vorher mit Kraft und Liebe gehegt und gepflegt hatte. Schwere, bittere Tränen fielen in großen Tropfen zu Boden; aber nicht ein Wort wurde gesprochen. Das Schweigen hier barg eine Welt von Schmerz in sich. Und stille schluchzend gingen sie fort. Ein Licht stand da, die Flamme bewegte sich im Windzuge, der ausgebrannte Docht ragte lang und rotglühend empor. Fremde Leute traten ein; sie legten den Deckel über die Tote, sie schlugen die Nägel fest und dumpf dröhnten die Hammerschläge durch des Hauses Stuben und Gänge, dröhnten durch die blutenden Herzen.
    "Wohin führst Du mich?" fragte der Schutzgeist. "Hier wohnt keine Fee, deren Perle zu den besten Gaben des Lebens gehört!" "An dieser Stätte wohnt sie, hier in dieser heiligen Stunde", sagte der Schutzengel und zeigte in eine Ecke, und dort, wo in den Tagen ihres Lebens die Mutter zwischen Blumen und Bildern gesessen hatte, wo sie als des Hauses gütige Fee liebevoll dem Manne, den Kindern und den Freunden zugenickt hatte, wo sie als des Hauses Sonnenstrahl Freude verbreitete und des Ganzen Herz und Stütze war, da saß nun eine fremde Frau in langen seidenen Kleidern. Die Trauer war es, Herrscherin nun und Mutter an der Toten statt. Eine brennende Träne rollte in ihren Schoß nieder und verwandelte sich in eine Perle; sie funkelte in allen Farben des Regenbogens, und der Engel nahm sie, und die Perle leuchtete wie ein Stern in siebenfarbigem Glanze.
    "Die Perle der Trauer, die Letzte, die nicht fehlen darf. Durch sie erhöht sich der anderen Glanz und Macht. Siehst Du den Schein des Regenbogens hier, des Bogens Schein, der Himmel und Erde miteinander verbindet? Für jedes unserer Lieben, das uns stirbt, haben wir im Himmel einen Freund mehr, nach dem wir uns sehnen. In der Erdennacht blicken wir zu den Sternen empor, der Vollendung entgegen! Betrachte die Perle der Trauer, in ihr liegen die Schwingen der Seele, die uns von hinnen tragen.


    (Hans-Christian Andersen)

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  • Die Feen

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    Es war einmal eine Witwe, die hatte zwei Töchter: die Ältere glich ihr so sehr in ihrem Wesen und in ihrem Äußeren, daß man bei ihrem Anblick die Mutter zu sehen glaubte. Beide waren sie so widerwärtig und so hochmütig, daß man nicht mit ihnen auskommen konnte. Die jüngere dagegen war in ihrer Sanftmut und Freundlichkeit das wahre Ebenbild ihres Vaters; darüber hinaus war sie eines der schönsten Mädchen, das man sich denken konnte. Wie man nun gemeinhin sein Ebenbild liebt, so war diese Mutter ganz vernarrt in ihre ältere Tochter und hegte gleichzeitig eine tiefe Abneigung gegen die jüngere. Sie ließ sie in der Küche essen und ohne Unterlaß arbeiten.


    So mußte dieses arme Kind unter anderem zweimal täglich eine gute halbe Meile vom Hause entfernt Wasser schöpfen gehen und einen großen Krug bis zum Rande gefüllt heimtragen. Eines Tages, als sie zu dem Brunnen gegangen war, trat eine arme Frau auf sie zu und bat sie, ihr zu trinken zu geben. »Gerne, liebes Mütterchen«, sagte das schöne Mädchen, spülte seinen Krug, schöpfte ihr an der klarsten Stelle des Brunnens Wasser und bot es ihr dar, wobei sie den Krug stützte, damit sie leichter trinken konnte.


    Nachdem die gute Frau getrunken hatte, sagte sie zu ihr: »Ihr seid so schön und so gut und so freundlich, daß ich Euch gern ein Geschenk machen möchte. (Es war nämlich eine Fee, die die Gestalt einer armen Bäuerin angenommen hatte, um zu prüfen, wie weit die Freundlichkeit des jungen Mädchens ginge.) Ich verleihe Euch die Gabe«, fuhr die Fee fort, »daß bei jedem Wort, das ihr sprecht, eine Blume oder ein Edelstein aus Eurem Munde fällt.«


    Als das schöne Mädchen nach Hause kam, schimpfte seine Mutter, weil es sich so lange am Brunnen aufgehalten hatte. »Ich bitte um Verzeihung, liebe Mutter«, sagte das arme Mädchen, »daß ich so lange ausgeblieben bin.« Als sie aber diese Worte sprach, fielen ihr zwei Rosen, zwei Perlen und zwei große Diamanten aus dem Mund. »Was sehe ich da«, sagte die Mutter ganz erstaunt, »ich glaube, ihr fallen Perlen und Diamanten aus dem Munde! Wie kommt denn das, meine Tochter?« (Es war das erste Mal, daß sie sie ihre Tochter nannte.) Da erzählte ihr das arme Kind ganz harmlos, was ihr begegnet war, nicht ohne eine Unzahl von Diamanten auszustreuen. »Wahrhaftig«, sagte die Mutter, »da muß ich meine Tochter hinschicken. Da, Fanchon, seht nur, was aus dem Munde Eurer Schwester fällt, wenn sie spricht; wäre es nicht schön für Euch, wenn Ihr auch diese Gabe hättet? Ihr müßt nur zum Brunnen gehen und Wasser schöpfen, und wenn Euch eine arme Frau um einen Trunk bittet, ihr recht freundlich zu trinken geben.« »Wie sieht denn das aus? Zum Brunnen gehen?« entgegnete das unfreundliche Mädchen. »Ich will, daß Ihr dorthin geht«, versetzte die Mutter, »und zwar sofort. « Sie ging, doch ließ sie nicht ab zu murren. Sie nahm die schönste silberne Karaffe, die im Hause war, und kaum war sie am Brunnen angelangt, als sie aus dem Walde eine prächtig gekleidete Dame hervortreten sah, die sie bat, ihr zu trinken zu geben. Es war dieselbe Fee, die ihrer Schwester erschienen war, sie hatte jedoch die Erscheinung und Kleidung einer Prinzessin angenommen, um zu prüfen, wie weit die Unfreundlichkeit dieses Mädchens ginge.


    »Bin ich denn hierher gekommen, um Euch zu trinken zu geben?« sagte sie unfreundlich und hochmütig, »ich habe wohl diese silberne Karaffe eigens mitgenommen, um der gnädigen Frau zu trinken zu geben? So hört einmal gut zu: trinkt doch aus dem Brunnen, wenn Ihr Durst habt.« »Ihr seid nicht gerade freundlich«, versetzte die Fee, ohne zornig zu werden, »nun gut, wenn Ihr so unhöflich seid, will ich Euch die Gabe verleihen, daß Euch bei jedem Wort, das Ihr sprecht, eine Schlange oder eine Kröte aus dem Mund fällt.«


    Als die Mutter ihre Tochter erblickte, rief sie: »Wie war's, meine Tochter?« »So war's, Mutter«, entgegnete das unfreundliche Mädchen, indem es zwei Vipern und zwei Kröten ausspie. »Um Himmels willen«, schrie die Mutter, »was sehe ich? Daran ist deine Schwester schuld: ich will es ihr heimzahlen!« Und augenblicklich eilte sie davon, um sie zu schlagen. Das arme Mädchen aber entfloh und konnte sich im nahen Wald verstecken. Dort traf es der Sohn des Königs, der von der Jagd heimkehrte, und da er es so schön fand, fragte er es, was es hier so alleine triebe und warum es weine. »Ach, gnädiger Herr, meine Mutter hat mich aus dem Hause gejagt.« Der Königssohn, der fünf oder sechs Perlen und ebenso viele Diamanten aus seinem Munde fallen sah, bat es, ihm zu erzählen' wie es dazu gekommen sei. Es erzählte ihm alles, was sich zugetragen hatte. Der Königssohn verliebte sich in das Mädchen, und da er wohl bedachte, daß eine solche Gabe mehr wog als irgendeine andere Mitgift, nahm er es mit auf das königliche Schloß seines Vaters und heiratete es.


    Ihre Schwester indes zog sich solchen Haß zu, daß ihre eigene Mutter sie aus dem Hause jagte; und die Unglückliche irrte vergebens umher, um jemand zu suchen, der sie aufnahm, bis sie einsam an einem Waldrand den Tod fand.

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  • Die Feenkönigin auf dem Jauerling


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    Im Groisbachtal bei Spitz in der Wachau lag vor vielen Jahren tief im Waldesgrund eine einsame Mühle, die ein einsamer Müller mit seiner Frau und seinem dreizehnjährigen Töchterchen bewohnte. Die Müllerin lag seit Jahren krank darnieder; alle Ärzte, die der Müller mit großen Kosten von weit und breit hatte kommen lassen, waren sich darüber einig, daß das leiden der Frau unheilbar sei. Sorgenvoll zerbrach sich der arme Mann den Kopf, was er tun solle, um wenigstens die Schmerzen seiner lieben Ehefrau zu lindern. Unterdessen pflegte das heranwachsende Mädchen die kranke Mutter mit aufopfernder Liebe und suchte der Schmerzgequälten jeden Wunsch von den Augen abzulesen.


    Da hörte das Mädchen eines Tages, wie mitleidige Nachbarsleute ihrem Vater erzählten, es gebe wohl ein Mittel, die Kranke zu heilen; das sei das Wunderblümchen Widertod, das eine reine Jungfrau um Mitternacht beim Vollmondschein hoch oben auf dem Jauerling pflücken müsse. Es sei aber so selten, daß kaum ein Sonntagskind es finden würde.


    Das Mädchen überlegte nicht lange. Es liebte seine Mutter so heiß und innig, daß ihm kein Weg zu beschwerlich, kein Schrecken zu groß schien, ihn für seine Mutter nicht auf sich zu nehmen. Gleich in der nächsten Vollmondnacht stahl sich die Kleine aus dem Haus, stieg die Schlucht des Groisbaches hinan und kletterte im einsamen Wald die Hänge des Jauerlings empor, keiner Dornen und Disteln, keiner Felsen und Schründe achtend, wenn sie auch ihre zarte Haut zerrissen und blutige Striemen ihr Gesicht bedeckten. Nur ein Gedanke erfüllte ihr ganzes Sinnen: ihr Mütterlein sollte wieder gesund werden.


    Unterdessen war der Mond immer höher gestiegen und ließ seine bleichen Strahlen durch das Geäst der Bäume spielen, die ganz plötzlich zurücktraten und eine weite Lichtung freigaben, in deren Mitte das verwunderte Mädchen ein herrliches Schloß erblickte. Zögernd trat die Müllerstochter an den prächtigen Bau heran. Da öffnete sich dessen prunkvolles Tor, eine wunderschöne Frau stand unter dem Torbogen und winkte dem Mädchen einzutreten. Durch einen blühenden Zaubergarten, in dem die lieblichsten Blumen standen und jubelnde Kinder fröhliche Spiele trieben, führte die Fee das Mädchen in einen glänzenden Saal.


    »Nun sag mir, mein Kind«, begann sie dort, indem sie sich auf einen funkelnden Thron niederließ, »was willst du von mir? Möchtest du bei mir bleiben? Soll ich Kinder herbeirufen, damit sie dich zu ihren Spielen einladen, Sag es ruhig, mein Kind, ich will dich gern in meinem Schloß behalten, du wirst es nicht bereuen.«


    Doch das Mädchen schüttelte ablehnend den Kopf. »Mein Mütterlein ist sehr krank«, lispelte es. »Ich möchte so gern, daß sie wieder gesund wird. Kannst du mir nicht das Blümlein Widertod geben, durch das sie allein Heilung findet?«


    Nochmals versuchte die schöne Feenkönigin, das Mädchen zum Bleiben zu bewegen. Aber alle Lockungen, alle Versprechungen, die Aussicht auf die herrlichsten Kleider, die schönsten Spiele konnten den Sinn des Kindes, das nur an seine kranke Mutter dachte, nicht ändern. Es bat die Feenkönigin, nicht zu zürnen, wenn es nicht bleibe, denn ohne sein Mütterchen hätten alle Herrlichkeiten der Welt nichts zu bedeuten.


    Da lächelte die erhabene Frau und sprach: »Du bist ein gutes Kind. Du sollst die Wunderblume haben. Dein Mütterchen wird wieder gesund werden, und du selbst wirst den Lohn für deine Kindesliebe und Treue in einem glücklichen Leben auf Erden finden. Nun geh und grüße deine Mutter von mir!«


    Das Mädchen wollte der gütigen Fee mit heißem Dank zu Füßen fallen, da schien deren Gestalt, der glänzende Saal und alles ringsum plötzlich zu versinken. Taumelnd schloß es die Augen, ihm war, als entfernten sich leise murmelnde Stimmen. Als es die Augen wieder öffnete, stand es auf der Lichtung mitten im Wald, Ruhe herrschte ringsum, nur der Mond über ihm schien lächelnd zu nicken: »Es war kein Traum, aber nun geh nach Hause, mein Kind!«


    Als es wieder heimkam, trat ihm schon unter der Tür gesund die geliebte Mutter entgegen, ein wenig bange nur, weil sie ihr liebes Kind vermißt hatte, das ihr nun fröhlich in die Arme flog.


    Der Segenswunsch der Feenkönigin ging auch an der Jungfrau in Erfüllung. Sie heiratete später einen braven Bürgerssohn und hatte viel Glück in ihrem Leben.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .


  • Im Inneren des über zweitausend Meter hohen Sonnwendjochs, das sich unweit des Städtchens Rattenberg am linken Innufer stolz in die Lüfte erhebt, wohnte einst eine stolze Fee, die Gebieterin des Berges und Schirmherrin alles Wildes, das sich an den Hängen und in den Felskluften des Gebirgsstockes tummelte.


    Einst zog ein junger Ritter aus der Burg Mehrnstein, die in der Nähe von Brixlegg stand, zur Jagd aus und kam bei der Verfolgung einer Gemse am linken Innufer bis an den Fuß des Sonnwendjochs heran, wo schon das Schutzgebiet der Bergfee seinen Anfang nahm. Plötzlich trat ihm eine hohe, königliche Gestalt entgegen und erhob warnend die Hand. »Was jagst du auf meinem Grund?« rief sie dem Jäger zu. »Weißt du nicht, daß alles Wild hier herum unter meinem Schutz steht? Ich bin die Herrin dieses Gebietes und wünsche nicht, daß einem meiner Tiere auch nur ein Haar gekrümmt wird.«


    »Verzeiht, edle Gebieterin«, erwiderte der Ritter, nachdem er sich gefaßt hatte, »ich wollte Euch nicht erzürnen; ohne zu wissen, daß ich Verbotenes tue, bin ich bis hierher vorgedrungen.« Der liebreizende Anblick der Herrscherin des Berges machte tiefen Eindruck auf den Ritter; auch die Fee fand Gefallen an der stattlichen Erscheinung des Jünglings. Sie gebot ihm, von der Verfolgung des Wildes für immer abzusehen, wenn er wünsche, daß sie ihm ihre Gunst schenken solle. Mit Freuden versprach es der Ritter.


    Darauf führte ihn die Fee in ihr Reich mitten im Berg. Da gab es viel Herrliches und Wunderbares zu schauen: glänzende Paläste, prunkvolle Säle mit kristallenen Decken und mit Wänden aus rötlich schimmerndem Marmor. Wundervolle Gärten mit nie verblühenden Bäumen, grünende Matten voll friedlich weidender Herden, silberklare Bächlein zogen sich weit durch das Innere des Berges.


    Die Fee schloß einen Herzensbund mit dem Ritter und steckte ihm zum Pfand ihrer Gunst ein Ringlein an den Finger. Oft ritt der Jüngling nun scheinbar zur Jagd aus, aber nie brachte er Beute mit sich; denn sein Weg führte ihn jedesmal in den Berg zu seiner geliebten Fee. Seine Freunde und Nachbarn wunderten sich; denn der Mehrnsteiner war ein geübter Jäger, der kein Wild verfehlte und schon manchen Bären oder Eber mit seinem Spieß erlegt hatte. Auch fiel es auf, daß er die umliegenden Burgen nie mehr besuchte und kein Auge für die zierlichen Edelfräulein in der Nachbarschaft hatte.


    Da geschah es einmal, daß der Burgherr auf Schloß Rattenberg ein Vermählungsfest gab, wozu er auch seinen Freund, den Mehrnsteiner, einlud. Dieser konnte die Einladung nicht gut ablehnen und erschien bei der Feier. Das aber sollte sein Unglück sein. Ein schönes Edelfräulein aus Innsbruck, das gleichfalls als Gast anwesend war, schmeichelte dem Ritter den Ring der Fee ab, den sie an seinem Finger glänzen sah. Von den lächelnden Augen und werbenden Worten der Schönen betört, gab der Jüngling den Ring her.


    Am nächsten Morgen freilich packten ihn Scham und Reue über seine Treulosigkeit Mit verlangendem Herzen eilte er an den Fuß des Sonnwendjochs, um die Fee um Vergebung für seine törichte Tat anzuflehen. Der Anblick eines weißen Rehs, das vor ihm über die Halde sprang, ließ seine alte Jagdlust wieder erwachsen. Er verfolgte das Tier bis zu einer Felswand, wo er bisher durch ein Klopfen mit dem Ringlein immer Einlaß in den Berg gefunden hatte. Aber diesmal nützte alles Pochen nichts; er hatte ja den Ring nicht mehr.


    Da stand plötzlich die Fee vor ihm, nicht zürnend, aber ernst und würdevoll; tiefe Trauer schien auf ihren Zügen zu liegen. Sie hielt das Ringlein in der Hand.


    »Du bist nicht treu«, sprach sie, »du schworst, stets nur an mich zu denken, den Ring nicht aus der Hand zu geben und nie mehr eines meiner Tiere zu verfolgen. Du hast dein Wort dreifach gebrochen; es wird dein Unglück sein. Leb wohl auf immer!«


    Die Fee war verschwunden, bestürzt starrte der Ritter die leere, kahle Felswand an. Kaum hatte er die Stelle verlassen, schoß mit donnerndem Getöse eine Mure von der steilen Bergwand nieder und verschüttete eine weite Strecke.


    Der Ritter soll nie mehr im Leben froh geworden sein. Später zog er aus dem Inntal fort; man sagt, er habe einen Zug nach dem Heiligen Land unternommen. Doch niemals kehrte er in die Heimat wieder.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Das verzauberte Einhorn 



     [Blockierte Grafik: http://www.engel-ohne-fluegel.info/LionsGate/bilder/Cam/einhorn.jpg


    Es war einmal ein kleines Mädchen,
    das verirrte sich bei einem Spaziergang
    während einer Ferienreise in Ungarn
    Es war heiß, unendlich heiß.
    Überall war Dürre.
    Es gab nur braune Wiesen und verdorrte Pflanzen.
    Das kleine Mädchen hatte großen Durst und suchte nach einen Brunnen.
    Aber jeder Brunnen, den es fand, war ausgetrocknet.
    Da hörte das Mädchen plötzlich ein Wasser rauschen.
    So schnell es konnte, folgte es dem Geplätscher.
    Und als es ein Bächlein sah, wollte das Mädchen sofort trinken, aber das Bächlein sprach:
    ,,Wenn du aus mir trinkst, wirst du ein Drache."
    Das Mädchen bekam Angst und trank nicht.
    Aber es war sehr durstig. So ging es weiter und fand wieder ein Bächlein. Das sprach:
    ,,Wenn du aus mir trinkst, wirst du ein Hase.
    " Das Mädchen trank wieder nicht.
    ,,Noch einmal kann ich dieser Versuchung nicht mehr widerstehen", dachte es sich, ,,ich will doch nicht sterben."
    Dann ging es weiter.
    Und wieder traf das Mädchen auf ein Bächlein.
    Auch das konnte sprechen, denn es sagte:
    ,,Wenn du aus mir trinkst, wirst du ein Einhorn."
    Aber dieses Mal konnte sich das kleine Mädchen nicht mehr zurückhalten.
    Es glaubte verdursten zu müssen.
    Und ohne zu zögern trank es in großen Schlucken das erfrischende Wasser.
    Plötzlich zuckten Blitze zur Erde und das kleine Mädchen wurde ein Einhorn.
    Im gleichen Augenblick sagte die Stimme:
    ,,Ha, ha, ha! Du hast die Probe nicht bestanden und konntest dich nicht beherrschen.
    Du wolltest nicht auf mein Bächlein hören jetzt bist du ein Einhorn!
    Aber weil ich so gütig bin, sage ich dir, wie du erlöst werden kannst:
    Jemand muss deinen Namen drei Mal sagen.
    Erst wenn du drei mal Lucianna genannt worden bist, wirst du wieder ein Mensch."
    Das Einhorn stand ganz erschrocken da.
    Es wollte kein Einhorn bleiben,denn das Mädchen hatte das Spiel mit seiner Schwester geliebt und sich auf die Feste mit Vater, Mutter Oma und Opa gefreut.
    Und so lief es ratlos herum.
    Da sah es plötzlich ein junges Ehepaar auf Fahrrädern.
    Das Einhorn erklärte ihnen, wie sie es erlösen könnten.
    Die Zwei rieten herum, aber sie konnten den Namen Lucianna nicht finden.
    Das nächste, dem das Einhorn begegnete,
    war ein taubstummer Mann, der es zwar freundlich streichelte, aber ihm auch nicht helfen konnte.
    Tage und Wochen durchstreifte nun das Einhorn die Gegend, ohne jemanden zu begegnen.
    Aber eines Tages, als es auf der Puszta weidete, sah es die Mütze seiner Schwester:
    Es war so aufgeregt, dass es nichts mehr tun konnte.
    Es stand und wartete.
    Und bald sah es auch seine Eltern und seine Schwester über die weite Grassteppe kommen.
    Sie hatten noch immer nicht die verzweifelte Suche nach ihrer kleinen Tochter aufgegeben.
    Sie waren schon überall in Ungarn gewesen, aber keiner konnte ihnen helfen.
    Als sie jetzt das Einhorn ansprach, erkannten sie nicht die Stimme der Gesuchten.
    Doch der Vater hatte Mitleid und bemühte sich sehr.
    Und weil er dabei immer an seine kleine Tochter dachte, fielen ihm nur Mädchennamen ein:
    ,,Heißt du Anne, Andrea, oder Berta, Bianca, Barbara oder Dora?"
    ,,Nein", sagte das Einhorn traurig.
    Dann fing die Mutter an die Namen, die sie kannte, aufzuzählen.
    Und auch sie nannte Namen von Mädchen:
    ,,Heißt du Lisa, Mirjam, Natalie oder Nadine?"
    Wieder winkte das Einhorn traurig ab.
    Da aber erinnerte sich die Mutter an die kleine Tochter, Tränen liefen ihr dabei über das Gesicht und sie schluchzte:
    ,,Lucianna, ach Lucianna, meine kleine Lucianna!"
    Und plötzlich zuckten Blitze zur Erde.
    Und das Einhorn verwandelte sich wieder in das kleine Mädchen.
    Nun war die Freude groß.
    Vater, Mutter Schwester und das kleine Mädchen Lucianna fuhren zurück nach Hause und blieben von nun an beieinander,so dass sich keines mehr verirren konnte.

  • Die stolze Föhre im Marchfeld





    Im Marchfeld stand vor langer Zeit ein uralter Baum, der wegen seines prächtigen Wuchses die »stolze Föhre« hieß. In diesem mächtigen Baum wohnte eine wunderschöne Fee, die tagsüber, in ein häßliches altes Weib verwandelt, am Fuß der Föhre saß und die Vorübergehenden anbettelte, um ihre Freigebigkeit zu erforschen. Kein Mensch vermutete in der triefäugigen Alten eine schöne, zauberkundige Fee.


    Damals wohnte in Marchegg ein geiziger Großbauer, der täglich mit seiner Magd, einer armen Waise, am Baum vorüberging, um seine Feldarbeit zu verrichten. Der Magd tat die alte Frau leid, und sie teilte mitleidig jeden Tag ihr Frühstücksbrot mit der armen Bettlerin. Den filzigen Bauer aber dünkte es schade um jede Brotkrume, die in den Schoß der Alten fiel, und er schnitt seiner Magd das Brot von Tag zu Tag kleiner vor, bis er ihr eines Tages gar keines mehr gab. So mußt das arme Ding seine Arbeit den ganzen Vormittag mit hungrigem Magen tun. Das schmerzte sie aber weniger als der Gedanke, daß die Alte unter dem Baum nun täglich ganz leer ausgehe. Sie weinte oft bittere Tränen darüber.


    Es begab sich nun eines Tages, daß der Großbauer zu einer Hochzeit ins Nachbardorf eingeladen wurde. Da er wußte, daß es dort gut zu essen und zu trinken geben werde, und die Sache keine Unkosten machte, ging der knauserige Filz beizeiten aus dem Haus, um nichts zu versäumen, aß und trank den ganzen Tag, was der Bauch hielt, und machte sich erst gegen Mitternacht auf den Heimweg, der ihn an der stolzen Föhre vorbeiführte. Wie war er überrascht, als er an ihrer Stelle einen herrlichen, hellerleuchteten Palast erblickte, aus dem muntere Tanzweisen ertönten! »Holla«, sagte sich der Bauer, »da muß ich doch nachsehen, was los ist. Vielleicht schaut für mich auch noch etwas heraus.«


    Er trat durch das weitgeöffnete Tor und gelangte in einen prunkvollen Saal, in dem eine Menge winziger Zwerge um eine liebliche Fee an einer überreich besetzten Tafel saß. Man lud den Bauer freundlich ein, an der Tafel Platz zu nehmen und zuzugreifen. Das ließ sich der habgierige Mann, der nie genug bekommen konnte, nicht zweimal sagen. Gleich war er dabei und hielt wacker mit. Zwischendurch steckte er noch ein, was in seinen Taschen Platz fand, um sich für den nächsten Tag auch noch mit den guten Bissen zu versorgen. Als die Fee nach einiger Zeit mit den Zwergen in den Tanzsaal schritt, beurlaubte sich der Bauer; denn vom Tanzen hielt er viel weniger als vom Essen.


    Daheim angelangt, erzählte er seinen Leute das wunderbare Erlebnis und zog zum Beweis der Wahrheit die mitgebrachten Kuchen und Braten und sonstigen Leckerbissen aus seinen Taschen hervor. Aber was war das? Nichts als Roßmist und Kuhfladen waren in den Säcken, und der Duft dieser Dinge war nichts weniger als einladend. Das laute Gelächter der Hausleute machte seinen Zorn nicht geringer, erbost warf er das Zeug seiner Magd in die Schürze. »Da hast du«, rief er höhnisch, »kannst meinetwegen morgen mit dem Bettlerweib teilen!«


    Wortlos ging die Magd in den Hof hinaus, um den Unrat in die Düngergrube zu leeren. Aber als sie eben die Schürze öffnen wollte, hörte sie es drinnen so merkwürdig klingeln. Verwundert hielt sie Nachschau, was das sein könnte, und fand die ganze Schürze voll mit klingenden, funkelnden Goldstücken. Hocherfreut lief sie sogleich zur Föhre - denn der Tag graute schon um ihren Schatz mit der armen Alten zu teilen. Aber siehe da! Aus dem häßlichen alten Weib war eine wunderschöne Fee geworden, die die mitleidige Maid liebreich an ihr Herz zog und so mit Reichtümern überhäufte und obendrein mit solcher Schönheit ausstattete, daß sie bald die Braut eines bildhübschen jungen Grafensohnes wurde, mit dem sie in glücklichster Ehe lebte.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Die Waldfee



    Vor langer Zeit lebte in einem kleinen Dorf des südlichen Burgenlandes ein hübscher, munterer Bursche namens Hans, dem alle Mädchen gut waren, so daß ihn jede gern zum Ehegatten genommen hätte. Der Jüngling war lieb und freundlich zu allen, aber das Heiraten wollte er sich noch überlegen. Schließlich verließ er das Dorf und hielt sich längere Zeit in der Fremde auf. Aber eines Tages kam er mit einem unbekannten Mädchen wieder angeritten, das ein blaues Kleidchen trug und von bezaubernder Schönheit war. Bald darauf feierte er Hochzeit mit der holden Schönen.


    Es lag ein geheinmisvolles Dunkel um sie; niemand wußte, woher sie stammte, und wenn man Hans fragte, zuckte er lächelnd die Achseln. Man redete bald im Dorf, daß die Frau eine Vila, eine gute Waldfee sei, die das Herz des jungen Burschen erobert habe. Manche glaubten zu wissen, Hans habe der Geliebten versprochen, ihre Herkunft geheimzuhalten, sie nie Vila zu rufen und sie auch nie aufzufordern, zu tanzen oder zu singen, sonst sei es mit dem Glück beider zu Ende.


    Die Jahre vergingen dem jungen Ehepaar in ungetrübter Freude; zwei liebe Kinder, die ihnen der Himmel beschert hatte, vermehrten ihr Glück. Es gab zwar Tage, an denen die junge Frau allein das Haus verließ und sich stundenlang im Wald aufhielt, aber Hans, der diese Gänge den Dorfbewohnern möglichst zu verheimlichen suchte, tat nie eine Frage und machte nie seiner Frau einen Vorwurf daraus. Freundlich ließ er sie gehen, und herzlich war sein Gruß, wenn sie zurückkam.


    Einmal kehrte Hans von einem weiten Weg nach Haus, und als er seine schöne Frau und seine beiden Kinder erwartungsvoll nach ihm ausschauen sah, begrüßte er sie jubelnd und rief im Überschwang der Freude seiner lieblich lächelnden Frau zu: »Oh, sing doch und tanz, liebe Vila, wie damals, als ich dich auf der Waldwiese sah!« Da trübten sich die lieblichen Gesichtszüge seiner Ehegattin, aber sie begann zierlich zu tanzen und mit leiser, wohlklingender Stimme ein Lied zu singen.


    Mit einemmal erinnerte sich Hans seines Versprechens. Mit raschem Griff suchte er die Gattin am Weitertanzen zu hindern; aber es war schon zu spät. Schluchzend warf sich die Frau in seine Arme und stöhnte: »Hans, Hans, warum hast du das getan? Nun ist's aus mit unserem Glück!« Wie ein Nebelhauch entschwand sie aus seinen Armen. Der Mann und die Kinder blieben allein zurück.


    Zwar war es Hans noch oft an nebeligen Abenden, als blicke die Waldfee durch das Fenster zu ihren Lieben herein, aber wenn er dann ins Freie eilte, um sie zu ergreifen, war es nur ein Nebelstreif, der ihm das geliebte Bild vorgetäuscht hatte.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

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