Märchen und Sagen

  • [Blockierte Grafik: http://www.schanigoarten.com/Seth/cindi.gif]



    Die unglückliche Prinzessin


    Es war einmal eine Königin, die hatte drei Töchter, und sie konnte sie nicht versorgen. Die Königin hatte großen Kummer, weil alle anderen jungen Mädchen heirateten, und ihre, die doch Königstöchter waren, sollten womöglich ohne Mann alt werden.


    Eines Tages ging eine Bettlerin am Schloß vorbei und bat um ein Almosen. Als sie die Königin so bedrückt sah, fragte sie, was ihr fehle und sie erzählte ihren Kummer. Darauf sagte die Bettlerin: »Höre was ich dir sage. Nachts, wenn deine Töchter schlafen, mußt du sie beobachten und sehen, wie sie liegen. Und das mußt du mir sagen. « Das tat die Königin. Nachts beobachtete sie die Mädchen und sah daß ihre älteste Tochter die Hände über dem Kopf hielt, die zweit gekreuzt über der Brust und die dritte zusammengelegt zwischen den Knien.


    Als am nächsten Tag die Bettlerin kam und sie fragte, erzählte sie ihr, was sie beobachtet hatte. Da sagte die Bettlerin zu ihr: »Hör mich, Frau Königin. Die dritte, die im Schlaf die Hände zusammen gelegt zwischen den Knien hielt, die hat das schlimme Schicksal. Und ihr Schicksal steht dem Schicksal der anderen im Wege.«


    Als die Bettlerin fortgegangen war, blieb die Königin in Gedanke versunken. »Ich will dir etwas sagen, Mutter«, sagte die jüngst Tochter zu ihr, »sorge dich nicht, ich habe gehört und verstanden daß ich auch für meine beiden Schwestern das Hindernis für ihr Heirat bin. Gib mir meine ganze Mitgift in Dukaten und nähe sie mir in den Saum meines Rockes und laß mich ziehen.«


    Die Königin wollte sie nicht ziehen lassen und sagte zu ihr: »Wohin willst du denn gehen, meine liebe Kleine?«, aber sie hörte nicht. Sie kleidete sich als Nonne und brach auf, nachdem sie von ihrer Mutter Abschied genommen hatte.


    Als sie durch das Tor des Schlosses davonging, kamen zwei Freie für ihre Schwestern hinauf.


    Die Unglückliche ging und ging, bis sie am Abend in ein Dorf kam Dort klopfte sie an die Tür eines Händlers und bat ihn, sie in seinem Haus die Nacht verbringen zu lassen. Der sagte ihr, sie möchte i seine Wohnung hinaufsteigen, aber sie lehnte ab und bestand darauf im Keller zu bleiben.


    In der Nacht nun kam ihre Schicksalsfrau und fing an, die Stoffe, die dort unten aufbewahrt wurden, in Fetzen zu reißen, und brachte alles durcheinander, obwohl das Mädchen sie inständig bat, Ruhe zu halten. Aber wie hätte die Schicksalsfrau darauf hören sollen? Sie drohte ihr vielmehr, daß sie auch noch sie selbst zerreißen würde.


    Als es Tag wurde, kam der Händler herab, um nach der Nonne zu sehen, aber als er all das Unheil sah, all seine Ware verdorben und alles auf den Kopf gestellt, sagte er zu dem Mädchen: »Oh, Frau Nonne! Was hast du mir Schlimmes angetan! Du hast mich zugrunde gerichtet! Was soll jetzt aus mir werden?«


    »Sei nur ruhig«, sagte sie und öffnete ihren Rocksaum und holte Golddukaten heraus und sagte zu ihm: »Genügt dir das?« - »Genug, genug.«


    Und so nahm sie Abschied von ihm und machte sich wieder auf den Weg. Sie ging und ging, bis sie wieder von der Nacht überrascht wurde und im Haus eines Glaswarenhändlers blieb.


    Dort wieder dasselbe. Sie bat, im Keller bleiben zu dürfen, und wieder kam nachts ihre Moira und ließ nichts heil.


    Am andern Morgen kam der Händler, um nach der Nonne zu schauen, und sah die Katastrophe. Er fing an zu schreien und zu klagen, aber als sie auch ihm die Hände mit Golddukaten füllte, gab er Ruhe und ließ die Nonne ziehen.


    Wieder machte sich die Unglückliche auf den Weg, bis sie zum Königsschloß jenes Landes kam. Dort verlangte sie, die Königin zu sehen, und bat sie, ihr Arbeit zu geben. Die Königin als kluge Frau, die sie war, merkte gleich, daß sich unter der Kutte eine Herrentochter verbarg, und fragte sie, ob sie die Perlenstickerei verstünde. Sie antwortete, daß sie sehr gut mit Perlen arbeiten könne, und so behielt die Königin sie bei sich. Aber als die Unglückliche saß und stickte, stiegen die Gestalten aus den Bildern von den Wänden herab, nahmen ihr die Perlen weg, quälten sie und ließen ihr keinen Augenblick Ruhe.


    Das alles sah die Königin und bekam Mitleid mit ihr, und oft, wenn die Mägde sich beklagten, daß nachts das Tafelgeschirr zerspränge, und behaupteten, daß jene es zerbräche, sagte die Königin zu ihnen: »Seid ihr still, seid still, denn sie ist eine Prinzessin und Herrentochter, aber die Arme hat ein böses Schicksal.«


    Schließlich sagte eines Tages die Königin zu ihr: »Höre, liebes Kind was ich dir sagen möchte. Auf diese Weise kommst du mit deinem Leben nicht zurecht, da dich deine Moira hetzt, du mußt vielmehr sehen, einen Weg zu finden, daß sie dir ein neues Schicksal zuteilt. « - »Aber was soll ich machen?« sagte das Mädchen. "Was muß ich denn tun, daß sie mir ein neues Schicksal zuteilt?«


    »Komm, ich will es dir sagen. Siehst du den hohen Berg, den man in der Ferne erkennt? Dort sind alle Schicksalsfrauen der Welt versammelt. Dort ist ihr Schloß, und das ist der Weg, den du nehmen mußt. Geh auf die Spitze des Berges, um deine Moira zu finden, und reiche ihr das Brot, das ich dir mitgeben werde. Dann sage zu ihr: >Liebe Moira, die du mir mein Schicksal zugeteilt hast, tausch es mir um<, und du darfst nicht fortgehen, was sie dir auch antun mag, sondern mußt zusehen, daß sie das Brot in ihren Händen behält.«


    So tat denn auch die Prinzessin. Sie nahm das Brot und machte sich auf den Weg, ging den Fußsteig, bis sie oben auf die Spitze des Berges kam. Sie klopft an die Gartenpforte, und ein wunderschönes, wohlgepflegtes Mädchen öffnet und tritt heraus. »Oh, du gehörst nicht zu mir«, sagt sie und geht wieder hinein.


    Nach kurzer Zeit kommt eine andere heraus, ebenso hübsch und schön. »Ich kenne dich nicht, mein liebes Mädchen«, sagte sie zur Prinzessin und ging fort.


    Es kam noch eine und noch eine, und viele traten heraus, aber keine erkannte sie als zu ihr gehörig, bis eine ungekämmte, zerlumpte, schmutzige an der Tür erschien. »Was willst du, Kind, warum bist du hierhergekommen?« sagte sie zur Prinzessin. »Pack dich, mach, daß du fortkommst, geh, ich werde dich töten!«


    Die Unglückliche gab ihr das Brot und sagte zu ihr: »Liebe Moira, die du mir mein Schicksal zugeteilt hast, tausch es mir um.« - »Weh dir! Geh zu deiner Mutter und laß dich noch einmal zur Welt bringen, laß dich an ihre Brust legen und dich in Schlaf singen, dann kannst du kommen, und ich werde dir dein Schicksal umtauschen.«


    Die anderen Moiren sagten zu der schlimmen: »Gib doch der Unglücklichen ein anderes Schicksal! Sie gehört zu dir und taumelt dahin und ist doch eine Königstochter. Gib es ihr, gib es ihr.«


    »Ich kann nicht, sie soll machen, daß sie fortkommt!« Und sie nimmt das Brot, wirft es ihr an den Kopf, und es rollt zu Boden.


    Das Mädchen hob es auf und trat wieder an sie heran und sagte zu ihr: »Nimm es, meine gute Moira, nimm es, und tausche mein Schicksal um.« Aber die trieb sie fort und warf sie mit Steinen.


    Zuallerletzt, war es der Zuspruch der einen Moira oder einer anderen, war es die Beharrlichkeit des Mädchens, die ihr das Brot reichte, mit einem Mal wurde die böse Moira anderen Sinnes und sagte zu ihr: »Gib es mir«, und griff nach dem Brot.


    Zitternd stand das Mädchen vor ihr, voll Furcht, sie würde es wieder von sich werfen, aber sie hielt es fest und sagte zur Prinzessin: »Höre, was ich dir sage! Nimm dieses Knäuel«, und sie wirft ihr ein Knäuel Seide zu, »und bewahre es gut. Du darfst es weder verkaufen noch verschenken, sondern wenn jemand es von dir haben will, darfst du es nur weggeben für das, was es selbst wiegt. Nun geh und mach deine Sache gut.«


    Das Mädchen nahm das Knäuel und ging zurück zur Königin. Jetzt störte sie nichts mehr.


    Im Nachbarland heiratete der König, und für das Kleid der Braut fehlte es an Seide, die genau zu dem Kleid passen mußte. Die Schloßleute fragten nun überall herum, ob sie irgend etwas Passendes finden könnten. Sie hatten gehört, daß im benachbarten Königreich ein Mädchen war, das ein Knäuel Seide besaß. Also gingen sie zu ihr und baten sie, mit dem Knäuel zum Schloß der Braut zu kommen, damit sie prüfen könnten, ob die Seide zum Kleid passe.


    Als sie angekommen waren, hielten sie das Knäuel an das Kleid und sahen, daß es ohne jeden Unterschied genau paßte. Da fragten sie das Mädchen, was sie verlange, denn sie wollten die Seide kaufen. Da antwortete sie, daß sie es nicht verkaufe, sondern nur aufwiegen ließe. Sie legten es also auf die Waage, und auf die andere Seite legten sie Dukaten, aber die Waage rührte sich nicht. Sie legten immer mehr Dukaten dazu, aber umsonst.


    Da stieg der Königssohn selbst auf die Waage, und so war die Seide aufgewogen. Nun sagte der Königssohn: »Da nun deine Seide soviel wiegt wie ich selbst, mußt du, damit wir das Seidenknäuel nehmen können, mich nehmen.«


    Und so geschah es, der Königssohn heiratete die Prinzessin, und sie feierten ein großes Fest und lebten gut und wir noch besser.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Es war vor Zeiten ein König, der hatte einen schönen Lustgarten hinter seinem Schloß, darin stand ein Baum, der goldene Äpfel trug. Als die Äpfel reiften, wurden sie gezählt, aber gleich den nächsten Morgen fehlte einer. Das ward dem König gemeldet, und er befahl, daß alle Nächte unter dem Baume Wache sollte gehalten werden. Der König hatte drei Söhne, davon schickte er den ältesten bei einbrechender Nacht in den Garten. Wie es aber Mitternacht war, konnte er sich des Schlafes nicht erwehren, und am nächsten Morgen fehlte wieder ein Apfel. In der folgenden Nacht mußte der zweite Sohn wachen, aber dem erging es nicht besser. Als es zwölf Uhr geschlagen hatte, schlief er ein, und morgens fehlte ein Apfel. Jetzt kam die Reihe zu wachen an den dritten Sohn; der war auch bereit, aber der König traute ihm nicht viel zu und meinte, er würde noch weniger ausrichten als seine Brüder; endlich aber gestattete er es doch. Der Jüngling legte sich also unter den Baum, wachte und ließ den Schlaf nicht Herr werden. Als es zwölf schlug, so rauschte etwas durch die Luft, und er sah im Mondschein einen Vogel daherfliegen, dessen Gefieder ganz von Gold glänzte. Der Vogel ließ sich auf den Baum nieder und hatte eben einen Apfel abgepickt, als der Jüngling einen Pfeil nach ihm abschoß. Der Vogel entfloh, aber der Pfeil hatte sein Gefieder getroffen, und eine seiner goldenen Federn fiel herab. Der Jüngling hob sie auf, brachte sie am andern Morgen dem König und erzählte ihm, was er in der Nacht gesehen hatte. Der König versammelte seinen Rat, und jedermann erklärte, eine Feder wie diese sei mehr wert als das gesamte Königreich "Ist die Feder so kostbar", erklärte der König, "so hilft mir die auch nichts, sondern ich will und muß den ganzen Vogel haben."


    Der älteste Sohn machte sich auf den Weg, verließ sich auf seine Klugheit und meinte den goldenen Vogel schon zu finden. Wie er eine Strecke gegangen war, sah er an dem Rande eines Waldes einen Fuchs sitzen, legte seine Flinte an und zielte auf ihn. Der Fuchs rief: "Schieß mich nicht, ich will dir dafür einen guten Rat geben ! Du bist auf dem Weg nach dem goldenen Vogel und wirst heute Abend in ein Dorf kommen, wo zwei Wirtshäuser einander gegenüberstehen. Eins ist hell erleuchtet, und es geht darin lustig her; da kehr aber nicht ein, sondern geh ins andere, wenn es dich auch schlecht ansieht." Wie kann mir wohl so ein albernes Tier einen vernünftigen Rat erteilen? dachte der Königssohn und drückte los, aber er fehlte den Fuchs, der den Schwanz streckte und schnell in den Wald lief. Darauf setzte er seinen Weg fort und kam abends in das Dorf, wo die beiden Wirtshäuser standen. In dem einen ward gesungen und gesprungen, das andere hatte ein armseliges, betrübtes Ansehen. Ich wäre wohl ein Narr, dachte er, wenn ich in das lumpige Wirtshaus ginge und das schöne liegen ließe. Also ging er in das lustige ein, lebte da in Saus und Braus und vergaß den Vogel, seinen Vater und alle guten Lehren.


    Als eine Zeit verstrichen und der älteste Sohn immer und immer nicht nach Haus gekommen war, so machte sich der zweite auf den Weg und wollte den goldenen Vogel suchen. Wie dem Ältesten begegnete ihm der Fuchs und gab ihm den guten Rat, den er nicht achtete. Er kam zu den beiden Wirtshäusern, wo sein Bruder am Fenster des einen stand, aus dem der Jubel erschallte, und ihn anrief. Er konnte nicht widerstehen, ging hinein und lebte nur seinen Lüsten.


    Wiederum verstrich eine Zeit, da wollte der jüngste Königssohn ausziehen und sein Heil versuchen, der Vater aber wollte es nicht zulassen. "Es ist vergeblich", sprach er, "der wird den goldenen Vogel noch weniger finden als seine Brüder, und wenn ihm ein Unglück zustößt, so weiß er sich nicht zu helfen; es fehlt ihm am Besten." Doch endlich, wie keine Ruhe mehr da war, ließ er ihn ziehen. Vor dem Walde saß wieder der Fuchs, bat um sein Leben und erteilte den guten Rat. Der Jüngling war gutmütig und sagte: "Sei ruhig, Füchslein, ich tue dir nichts zuleid !" "Es soll dich nicht gereuen", antwortete der Fuchs, "und damit du schneller fortkommst, so steig hinten auf meinen Schwanz." Und kaum hatte er sich aufgesetzt, so fing der Fuchs an zu laufen, und ging's über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen.


    Als sie zu dem Dorfe kamen, stieg der Jüngling ab, befolgte den guten Rat und kehrte, ohne sich umzusehen, in das geringe Wirtshaus ein, wo er ruhig übernachtete. Am andern Morgen, wie er auf das Feld kam, saß da schon der Fuchs und sagte: "Ich will dir weiter sagen, was du zu tun hast. Geh du immer geradeaus, endlich wirst du an ein Schloß kommen, vor dem eine ganze Schar Soldaten liegt; aber kümm're dich nicht darum, denn sie werden alle schlafen und schnarchen, geh mitten durch und geradewegs in das Schloß hinein und geh durch alle Stuben, zuletzt wirst du in eine Kammer kommen, wo ein goldener Vogel in einem hölzernen Käfig hängt. Nebenan steht ein leerer Goldkäfig zum Prunk, aber hüte dich, daß du den Vogel nicht aus seinem schlechten Käfig herausnimmst und in den prächtigen tust, sonst möchte es dir schlimm ergehen."


    Nach diesen Worten streckte der Fuchs wieder seinen Schwanz aus, und der Königssohn setzte sich auf. Da ging's über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Als er bei dem Schloß angelangt war, fand er alles so, wie der Fuchs gesagt hatte. Der Königssohn kam in die Kammer, wo der goldene Vogel in einem hölzernen Käfig stand, und ein goldener stand daneben; die drei goldenen Äpfel aber lagen in der Stube umher Da dachte er, es wäre lächerlich, wenn er den schönen Vogel in dem gemeinen und häßlichen Käfig lassen wollte, öffnete die Türe, packte ihn und setzte ihn in den goldenen. In dem Augenblick aber tat der Vogel einen durchdringenden Schrei. Die Soldaten erwachten, stürzten herein und führten ihn ins Gefängnis. Den andern Morgen wurde er vor ein Gericht gestellt und, da er alles bekannte, zum Tode verurteilt. Doch sagte der König, er wollte ihm unter einer Bedingung das Leben schenken, wenn er ihm nämlich das goldene Pferd brächte, welches noch schneller liefe als der Wind, und dann sollte er obendrein zur Belohnung den goldenen Vogel erhalten. Der Königssohn machte sich auf den Weg, seufzte aber und war traurig, denn wo sollte er das goldene Pferd finden ? Da sah er auf einmal seinen alten Freund, den Fuchs an dem Wege sitzen. "Siehst du", sprach der Fuchs. "so ist es gekommen, weil du mir nicht gehört hast ! Doch sei guten Mutes, ich will mich deiner annehmen und dir sagen, wie du zu dem goldenen Pferd gelangst. Du mußt gerades Weges fortgehen, so wirst du zu einem Schloß kommen, wo das Pferd im Stalle steht. Vor dem Stall werden die Stallknechte liegen, aber sie werden schlafen und schnarchen, und du kannst geruhig das goldene Pferd herausführen. Aber eins mußt du in acht nehmen: Leg ihm den schlechten Sattel von Holz und Leder auf und ja nicht den goldenen, der dabeihängt, sonst wird es dir schlimm ergehen." Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz aus, der Königssohn setzte sich auf, und es ging über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Alles traf so ein, wie der Fuchs gesagt hatte, er kam in den Stall, wo das goldene Pferd stand. Als er ihm aber den schlechten Sattel auflegen wollte, so dachte er: Ein so schönes Tier wird verschändet, wenn ich ihm nicht den guten Sattel auflege, der ihm gebührt. Kaum aber berührte der goldene Sattel das Pferd, so fing es an laut zu wiehern. Die Stallknechte erwachten, ergriffen den Jüngling und warfen ihn ins Gefängnis Am andern Morgen wurde er vom Gerichte zum Tode verurteilt; doch versprach ihm der König das Leben zu schenken und dazu das goldene Pferd, wenn er die schöne Königstochter vom goldenen Schlosse herbeischaffen könnte.


    Mit schwerem Herzen machte sich der Jüngling auf den Weg, doch zu seinem Glücke fand er bald den treuen Fuchs. "Ich sollte dich nun deinem Unglück überlassen", sagte der Fuchs, "aber ich habe Mitleiden mit dir und will dir noch einmal aus deiner Not helfen. Dein Weg führt dich gerade zu dem goldenen Schlosse. Abends wirst du anlangen, und nachts, wenn alles still ist, dann geht die schöne Königstochter ins Badehaus, um da zu baden. Und wenn sie hineingeht, so spring auf sie zu und gib ihr einen Kuß, dann folgt sie dir, und du kannst sie mit dir fortführen, nur dulde nicht, daß sie vorher von ihren Eltern Abschied nimmt, sonst kann es dir schlimm ergehen."


    Dann streckte der Fuchs seinen Schwanz, der Königssohn setzte sich auf, und so ging es über Stock und Stein, daß die Haare im Winde pfiffen. Als er beim goldenen Schloß ankam, war es so, wie der Fuchs gesagt hatte. Er wartete bis um Mitternacht, als alles in tiefem Schlaf lag und die schöne Jungfrau ins Badehaus ging, da sprang er hervor und gab ihr einen Kuß. Sie sagte, sie wollte gerne mit ihm gehen, sie bat ihn aber flehentlich und mit Tränen, er möchte ihr erlauben, vorher von ihren Eltern Abschied zu nehmen. Er widerstand anfangs ihren Bitten, als sie aber immer mehr weinte und ihm zu Fuß fiel, so gab er endlich nach. Kaum war die Jungfrau zu dem Bette ihres Vaters getreten, so wachte er und alle andern, die im Schlosse waren, auf, und der Jüngling ward festgehalten und ins Gefängnis gesetzt.


    fortzetzung folgt

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • Am andern Morgen sprach der König zu ihm: "Dein Leben ist verwirkt, und du kannst bloß Gnade finden, wenn du den Berg abträgst, der vor meinen Fenstern liegt und über welchen ich nicht hinaussehen kann, und das mußt du binnen acht Tagen zustande bringen. Gelingt dir das, so sollst du meine Tochter zur Belohnung haben." Der Königssohn fing an, grub und schaufelte ohne abzulassen, als er aber nach sieben Tagen sah, wie wenig er ausgerichtet hatte und alle seine Arbeit so gut wie nichts war, so fiel er in große Traurigkeit und gab alle Hoffnung auf. Am Abend des siebenten Tages aber erschien der Fuchs und sagte: "Du verdienst nicht, daß ich mich deiner annehme, aber geh nur hin und lege dich schlafen, ich will die Arbeit für dich tun." Am andern Morgen, als er erwachte und zum Fenster hinaussah, so war der Berg verschwunden. Der Jüngling eilte voll Freude zum König und meldete ihm, daß die Bedingung erfüllt wäre, und der König mochte wollen oder nicht, er mußte Wort halten und ihm seine Tochter geben.


    Nun zogen die beiden zusammen fort, und es währte nicht lange, so kam der treue Fuchs zu ihnen. "Das Beste hast du zwar", sagte er, "aber zu der Jungfrau aus dem goldenen Schloß gehört auch das goldene Pferd." "Wie soll ich das bekommen ?" fragte der Jüngling. "Das will ich dir sagen", antwortete der Fuchs, "zuerst bring dem Könige, der dich nach dem goldenen Schlosse geschickt hat, die schöne Jungfrau. Da wird unerhörte Freude sein, sie werden dir das goldene Pferd gerne geben und werden dir's vorführen. Setz dich alsbald auf und reiche allen zum Abschied die Hand herab, zuletzt der schönen Jungfrau, und wenn du sie gefaßt hast, so zieh sie mit einem Schwung hinauf und jage davon, und niemand ist imstande, dich einzuholen, denn das Pferd läuft schneller als der Wind."


    Alles wurde glücklich vollbracht, und der Königssohn führte die schöne Jungfrau auf dem goldenen Pferde fort. Der Fuchs blieb nicht zurück und sprach zu dem Jüngling: "Jetzt will ich dir auch zu dem goldenen Vogel verhelfen. Wenn du nahe bei dem Schlosse bist, wo sich der Vogel befindet, so laß die Jungfrau absitzen, und ich will sie in meine Obhut nehmen. Dann reit mit dem goldenen Pferd in den Schloßhof; bei dem Anblick wird große Freude sein, und sie werden dir den goldenen Vogel herausbringen. Wie du den Käfig in der Hand hast, so jage zu uns zurück und hole dir die Jungfrau wieder ab. Als der Anschlag geglückt war und der Königssohn mit seinen Schätzen heimreiten wollte, so sagte der Fuchs: "Nun sollst du mich für meinen Beistand belohnen." "Was verlangst du dafür ?" fragte der Jüngling. "Wenn wir dort in den Wald kommen, so schieß mich tot und hau mir Kopf und Pfoten ab." "Das wäre eine schöne Dankbarkeit !" sagte der Königssohn, "das kann ich dir unmöglich gewähren." Sprach der Fuchs: "Wenn du es nicht tun willst, so muß ich dich verlassen, ehe ich aber fortgehe, will ich dir noch einen guten Rat geben. Vor zwei Stücken hüte dich, kauf kein Galgenfleisch und setze dich an keinen Brunnenrand !" Damit lief er in den Wald. Der Jüngling dachte: Das ist ein wunderliches Tier, das seltsame Grillen hat. Wer wird Galgenfleisch kaufen ? ! Und die Lust, mich an einen Brunnenrand zu setzen, ist mir noch niemals gekommen. Er ritt mit der schönen Jungfrau weiter, und sein Weg führte ihn wieder durch das Dorf, in welchem seine beiden Brüder geblieben waren. Da war großer Auflauf und Lärmen, und als er fragte, was da vor wäre, hieß es, es sollten zwei Leute aufgehängt werden. Als er näher hinzukam, sah er, daß es seine Brüder waren, die allerhand


    schlimme Streiche verübt und all ihr Gut vertan hatten. Er fragte, ob sie nicht könnten freigemacht werden. "Wenn Ihr für sie bezahlen wollt" antworteten die Leute, "aber was wollt Ihr an die schlechten Menschen Euer Geld hingeben und sie loskaufen." Er besann sich aber nicht, zahlte für sie, und als sie freigegeben waren, so setzten sie die Reise gemeinschaftlich fort.


    Sie kamen in den Wald, wo ihnen der Fuchs zuerst begegnet war, und da es darin kühl und lieblich war und die Sonne heiß brannte, so sagten die beiden Brüder: "Laßt uns hier an dem Brunnen ein wenig ausruhen, essen und trinken !" Er willigte ein, und während des Gespräches vergaß er sich, setzte sich an den Brunnenrand und versah sich nichts Arges. Aber die beiden Brüder warfen ihn rückwärts in den Brunnen, nahmen die Jungfrau, das Pferd und den Vogel und zogen heim zu ihrem Vater. "Da bringen wir nicht bloß den goldenen Vogel", sagten sie, "wir haben auch das goldene Pferd und die Jungfrau von dem goldenen Schlosse erbeutet." Da war große Freude, aber das Pferd, das fraß nicht, der Vogel der pfiff nicht, und die Jungfrau, die saß und weinte.


    Der jüngste Bruder war aber nicht umgekommen. Der Brunnen war zum Glück trocken, und er fiel auf weiches Moos, ohne Schaden zu nehmen, konnte aber nicht wieder heraus. Auch in dieser Not verließ ihn der treue Fuchs nicht, kam zu ihm herabgesprungen und schalt ihn, daß er seinen Rat vergessen hatte. "Ich kann's aber doch nicht lassen", sagte er, "ich will dir wieder an das Tageslicht helfen." Er sagte ihm, er sollte seinen Schwanz anpacken und sich fest daran halten, und zog ihn dann in die Höhe. "Noch bist du nicht aus aller Gefahr", sagte der Fuchs, "deine Brüder waren deines Todes nicht gewiß und haben den Wald mit Wächtern umstellt, die sollen dich töten, wenn du dich sehen ließest." Da saß ein armer Mann am Weg, mit dem vertauschte der Jüngling die Kleider und gelangte auf diese Weise an des Königs Hof. Niemand erkannte ihn, aber der Vogel fing an zu pfeifen, das Pferd fing an zu fressen, und die schöne Jungfrau hörte Weinens auf. Der König fragte verwundert: "Was hat das zu bedeuten ?" Da sprach die Jungfrau: "Ich weiß es nicht, aber ich war so traurig, und nun bin ich so fröhlich. Es ist mir, als wäre mein rechter Bräutigam gekommen." Sie erzählte ihm alles, was geschehen war, obgleich die andern Brüder ihr den Tod angedroht hatten, wenn sie etwas verraten würde. Der König hieß alle Leute vor sich bringen, die in seinem Schlosse waren, da kam auch der Jüngling als ein armer Mann in seinen Lumpenkleidern, aber die Jungfrau erkannte ihn gleich und fiel ihm um den Hals. Die gottlosen Brüder wurden ergriffen und hingerichtet, er aber ward mit der schönen Jungfrau vermählt und zum Erben des Königs bestimmt.


    Aber wie ist es dem armen Fuchs ergangen ? Lange danach ging der Königssohn einmal wieder in den Wald. Da begegnete ihm der Fuchs und sagte: "Du hast nun alles, was du dir wünschen kannst, aber mit meinem Unglück will es kein Ende nehmen, und es steht doch in deiner Macht, mich zu erlösen." Und abermals bat er flehentlich, er möchte ihn totschießen und Kopf und Pfoten abhauen. Also tat er's, und kaum war es geschehen, so verwandelte sich der Fuchs in einen Menschen und war niemand anders als der Bruder der schönen Königstochter der endlich von dem Zauber, der auf ihm lag, erlöst war. Und nun fehlte nichts mehr zu ihrem Glück, so lange sie lebten.



    Gebrüder Grimm

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • Es war ein großer Krieg, und der König hatte viel Soldaten, gab ihnen aber wenig Sold, so daß sie nicht davon leben konnten. Da taten sich drei zusammen und wollten ausreißen. Einer sprach zum andern: »Wenn wir erwischt werden, so hängt man uns an den Galgenbaum: wie wollen wir's machen?« Sprach der andere: »Seht dort das große Kornfeld, wenn wir uns da verstecken, so findet uns kein Mensch: das Heer darf nicht hinein und muß morgen weiterziehen. « Sie krochen in das Korn, aber das Heer zog nicht weiter, sondern blieb rundherum liegen. Sie saßen zwei Tage und zwei Nächte im Korn und hatten so großen Hunger, daß sie beinah gestorben wären; gingen sie aber heraus, so war ihnen der Tod gewiß. Da sprachen sie: »Was hilft uns unser Ausreißen, wir müssen hier elendig sterben. « Indem kam ein feuriger Drache durch die Luft geflogen, der senkte sich zu ihnen herab und fragte sie, warum sie sich da versteckt hätten. Sie antworteten: »Wir sind drei Soldaten und sind ausgerissen, weil unser Sold gering war; nun müssen wir hier Hungers sterben, wenn wir liegenbleiben, oder wir müssen am Galgen baumeln, wenn wir herausgehen. « »Wollt ihr mir sieben Jahre dienen«, sagte der Drache, »so will ich euch mitten durchs Heer führen, daß euch niemand erwischen soll. «


    »Wir haben keine Wahl und müssen's annehmen«, antworteten sie. Da packte sie der Drache in seine Klauen, führte sie durch die Luft über das Heer hinweg und setzte sie weit davon wieder auf die Erde; der Drache war aber niemand als der Teufel. Er gab ihnen ein kleines Peitschchen und sprach: »Peitscht und knallt ihr damit, so wird so viel Geld vor euch herumspringen, als ihr verlangt: ihr könnt dann wie große Herrn leben, Pferde halten und in Wagen fahren; nach Verlauf der sieben Jahre aber seid ihr mein eigen. Dann hielt er ihnen ein Buch vor, in das mußten sie sich alle drei unterschreiben. »Doch will ich euch«, sprach er, »erst noch ein Rätsel aufgeben, könnt ihr das raten, sollt ihr frei sein und aus meiner Gewalt entlassen. Da flog der Drache von ihnen weg, und sie reisten fort mit ihren Peitschchen, hatten Geld die Fülle, ließen sich Herrenkleider machen und zogen in der Welt herum. Wo sie waren, lebten sie in Freuden und Herrlichkeit, fuhren mit Pferden und Wagen, aßen und tranken, taten aber nichts Böses. Die Zeit verstrich ihnen schnell, und als es mit den sieben Jahren zu Ende ging, ward zweien gewaltig angst und bang, der dritte aber nahm's auf die leichte Schulter und sprach: »Brüder, fürchtet nichts, ich bin nicht auf den Kopf gefallen, ich errate das Rätsel.« Sie gingen hinaus aufs Feld, saßen da, und die zwei machten betrübte Gesichter. Da kam eine alte Frau daher, die fragte, warum sie so traurig wären. »Ach, was liegt Euch daran, Ihr könnt uns doch nicht helfen. « »Wer weiß«, antwortete sie, »vertraut mir nur euern Kummer.« Da erzählten sie ihr, sie wären des Teufels Diener gewesen, fast sieben Jahre lang, der hätte ihnen Geld wie Heu geschafft, sie hätten sich ihm aber verschrieben und wären ihm verfallen, wenn sie nach den sieben Jahren nicht ein Rätsel auflösen könnten.


    Die Alte sprach: »Soll euch geholfen werden, so muß einer von euch in den Wald gehen, da wird er an eine eingestürzte Felsenwand kommen, die aussieht wie ein Häuschen, in das muß er eintreten, dann wird er Hilfe finden.« Die zwei traurigen dachten: »Das wird uns doch nicht retten«, und blieben sitzen, der dritte aber, der lustige, machte sich auf und ging so weit in den Wald, bis er die Felsenhütte fand. In dem Häuschen aber saß eine steinalte Frau, die war des Teufels Großmutter und fragte ihn, woher er käme und was er hier wollte. Er erzählte ihr alles, was geschehen war, und weil er ihr wohl gefiel, hatte sie Erbarmen und sagte, sie wollte ihm helfen. Sie hob einen großen Stein auf, der über einem Keller lag, und sagte: »Da verstecke dich, du kannst alles hören, was hier gesprochen wird, sitz nur still und rege dich nicht; wann der Drache kommt, will ich ihn wegen der Rätsel befragen: mir sagt er alles; und dann achte auf das, was er antwortet.« Um zwölf Uhr nachts kam der Drache angeflogen und verlangte sein Essen. Die Großmutter deckte den Tisch und trug Trank und Speise auf, daß er vergnügt war, und sie aßen und tranken zusammen. Da fragte sie ihn im Gespräch, wie's den Tag ergangen wäre und wieviel Seelen er kriegt hätte. »Es wollte mir heute nicht recht glücken«, antwortete er, »aber ich habe drei Soldaten gepackt, die sind mir sicher.« »Ja, drei Soldaten«, sagte sie, »die haben etwas an sich, die können dir noch entkommen.« Sprach der Teufel höhnisch: »Die sind mein, denen gebe ich noch ein Rätsel auf, das sie nimmermehr raten können. « »Was ist das für ein Rätsel?« fragte sie. »Das will ich dir sagen: In der großen Nordsee liegt eine tote Meerkatze, das soll ihr Braten sein; und von einem Walfisch die Rippe, das soll ihr silberner Löffel sein; und ein alter hohler Pferdefuß, das soll ihr Weinglas sein. « Als der Teufel zu Bett gegangen war, hob die alte Großmutter den Stein auf und ließ den Soldaten heraus. »Hast du auch alles wohl in acht genommen?«


    »Ja«, sprach er, »ich weiß genug und will mir schon helfen.« Darauf mußte er auf einem andern Weg durchs Fenster heimlich und in aller Eile zu seinen Gesellen zurückgehen. Er erzählte ihnen, wie der Teufel von der alten Großmutter wäre überlistet worden und wie er die Auflösung des Rätsels von ihm vernommen hätte. Da waren sie alle fröhlich und guter Dinge, nahmen die Peitsche und schlugen sich so viel Geld, daß es auf der Erde herumsprang. Als die sieben Jahre völlig herum waren, kam der Teufel mit dem Buche, zeigte die Unterschriften und sprach: »Ich will euch mit in die Hölle nehmen, da sollt ihr eine Mahlzeit haben; könnt ihr mir raten, was ihr für einen Braten werdet zu essen kriegen, so sollt ihr frei und los sein und dürft auch das Peitschchen behalten. « Da fing der erste Soldat an: »In der großen Nordsee liegt eine tote Meerkatze, das wird wohl der Braten sein.« Der Teufel ärgerte sich, machte »hm! hm! hm!« und fragte den zweiten: » Was soll aber euer Löffel sein?« »Von einem Walfisch die Rippe, das soll unser silberner Löffel sein.« Der Teufel schnitt ein Gesicht, knurrte wieder dreimal »hm! hm! hm!« und sprach zum dritten: »Wißt ihr auch, was euer Weinglas sein soll?« »Ein alter Pferdefuß, das soll unser Weinglas sein.« Da flog der Teufel mit einem lauten Schrei fort und hatte keine Gewalt mehr über sie; aber die drei behielten das Peitschchen, schlugen Geld hervor, soviel sie wollten, und lebten vergnügt bis an ihr Ende.


    Gebrüder Grimm

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • Es war einmal ein alter König, der war krank und dachte es wird wohl das Totenbett sein, auf dem ich liege. Da sprach er: "Laßt mir den getreuen Johannes kommen !" Der getreue Johannes war sein liebster Diener und hieß so, weil er ihm sein Leben lang so treu gewesen war. Als er nun vor das Bett kam, sprach der König zu ihm: "Getreuester Johannes, ich fühle, daß mein Ende herannaht, und da habe ich keine andere Sorge als um meinen Sohn. Er ist noch in jungen Jahren, wo er sich nicht immer zu raten weiß. Und wenn du mir nicht versprichst, ihn zu unterrichten in allem, was er wissen muß, und sein Pflegevater zu sein, so kann ich meine Augen nicht in Ruhe schließen." Da antwortete der getreue Johannes: "Ich will ihn nicht verlassen und will ihm mit Treue dienen, wenn's auch mein Leben kostet." Da sagte der alte König: "So sterb ich getrost und in Frieden." Und sprach dann weiter: "Nach meinem Tode sollst du ihm das ganze Schloß zeigen, alle Kammern, Säle und Gewölbe und alle Schätze, die darin liegen. Aber die letzte Kammer in dem langen Gange sollst du ihm nicht zeigen, worin das Bild der Königstochter vom goldenen Dache verborgen steht. Wenn er das Bild erblickt, wird er eine heftige Liebe zu ihr empfinden und wird in Ohnmacht niederfallen und wird ihretwegen in große Gefahren geraten; davor sollst du ihn hüten." Und als der treue Johannes nochmals dem alten König die Hand darauf gegeben hatte, ward dieser still, legte sein Haupt auf das Kissen und starb.


    Als der alte König zu Grabe getragen war, da erzählte der treue Johannes dem jungen König, was er seinem Vater auf dem Sterbelager versprochen hatte, und sagte: "Das will ich gewißlich halten und will dir treu sein, wie ich ihm gewesen bin, und sollte es mein Leben kosten." Die Trauer ging vorüber. Da sprach der treue Johannes zu ihm: "Es ist nun Zeit, daß du dein Erbe siehst, ich will dir dein väterliches Schloß zeigen." Da führte er ihn überall herum, auf und ab, und ließ ihn alle die Reichtümer und prächtigen Kammern sehen, nur die eine Kammer öffnete er nicht, worin das gefährliche Bild stand. Das Bild war aber so gestellt, daß, wenn die Türe aufging, man gerade darauf sah, und war so herrlich gemacht, daß man meinte, es leibte und lebte und es gäbe nichts Lieblicheres und Schöneres auf der ganzen Welt. Der junge König aber merkte wohl, daß der getreue Johannes immer an einer Tür vorüberging, und sprach: "Warum schließest du mir diese niemals auf ?" "Es ist etwas darin", antwortete er, "vor dem du erschrickst." Aber der König antwortete: "Ich habe das ganze Schloß gesehen, so will ich auch wissen, was darin ist", ging und wollte die Türe mit Gewalt öffnen. Da hielt ihn der getreue Johannes zurück und sagte: "Ich habe es deinem Vater vor seinem Tode versprochen, daß du nicht sehen sollst, was in der Kammer steht; es könnte dir und mir zu großem Unglück ausschlagen." "Ach nein", antwortete der junge König, "wenn ich nicht hineinkomme, so ist's mein sicheres Verderben. Ich würde Tag und Nacht keine Ruhe haben, bis ich's mit meinen Augen gesehen hätte. Nun gehe ich nicht von der Stelle, bis du aufgeschlossen hast."


    Da sah der getreue Johannes, daß es nicht mehr zu ändern war, und suchte mit schwerem Herzen und vielem Seufzen aus dem großen Bund den Schlüssel heraus. Als er die Tür geöffnet hatte, trat er zuerst hinein und dachte, er wolle das Bildnis bedecken, daß es der König vor ihm nicht sähe. Aber was half das ? Der König stellte sich auf die Fußspitzen und sah ihm über die Schulter. Und als er das Bildnis der Jungfrau erblickte, das so herrlich war und von Gold und Edelsteinen glänzte, da fiel er ohnmächtig zur Erde nieder. Der getreue Johannes hob ihn auf, trug ihn in sein Bett und dachte voll Sorgen: Das Unglück ist geschehen, Herr Gott, was will daraus werden ? Dann stärkte er ihn mit Wein, bis er wieder zu sich selbst kam. Das erste Wort, das er sprach, war: "Ach, wer ist das schöne Bild ?" "Das ist die Königstochter von goldenen Dache", antwortete der treue Johannes. Da sprach der König weiter: "Meine Liebe zu ihr ist so groß, wenn alle Blätter an den Bäumen Zungen wären, sie könnten's nicht aussagen; mein Leben setze ich daran, daß ich sie erlange. Du bist mein getreuester Johannes, du mußt mir beistehen." Der treue Diener besann sich lange, wie die Sache anzufangen wäre, denn es hielt schwer, nur vor das Angesicht der Königstochter zu kommen. Endlich hatte er ein Mittel ausgedacht und sprach zu dem König: "Alles, was sie um sich hat, ist von Gold, Tische, Stühle, Schüsseln, Becher, Näpfe und alles Hausgerät. In deinem Schatze liegen fünf Tonnen Goldes, laß eine von den Goldschmieden des Reiches verarbeiten zu allerhand Gefäßen und Gerätschaften, zu allerhand Vögeln, Gewild und wunderbaren Tieren, das wird ihr gefallen, wir wollen damit hinfahren und unser Glück versuchen." Der König hieß alle Goldschmiede herbeiholen, die mußten Tag und Nacht arbeiten, bis endlich die herrlichsten Dinge fertig waren. Als alles auf ein Schiff geladen war, zog der getreue Johannes Kaufmannskleider an, und der König mußte ein Gleiches tun, um sich ganz unkenntlich zu machen. Dann fuhren sie über das Meer und fuhren so lange, bis sie zu der Stadt kamen, worin die Königstochter vom goldenen Dache wohnte.


    Der treue Johannes hieß den König auf dem Schiffe zurückbleiben und auf ihn warten. "Vielleicht", sprach er, "bring ich die Königstochter mit, darum sorgt, daß alles in Ordnung ist, laßt die Goldgefäße aufstellen und das ganze Schiff ausschmücken." Darauf suchte er sich in sein Schürzchen allerlei von den Goldsachen zusammen, stieg ans Land und ging gerade nach dem königlichen Schloß. Als er in den Schloßhof kam, stand da beim Brunnen ein schönes Mädchen, das hatte zwei goldene Eimer in der Hand und schöpfte damit. Und als es das blinkende Wasser forttragen wollte und sich umdrehte, sah es den fremden Mann und fragte, wer er wäre. Da antwortete er: "Ich bin ein Kaufmann", und öffnete sein Schürzchen und ließ sie hineinschauen. Da rief sie: "Ei, was für schönes Goldzeug !" setzte die Eimer nieder und betrachtete eins nach dem anderen. Da sprach das Mädchen: "Das muß die Königstochter sehen, die hat so große Freude an den Goldsachen, daß sie Euch alles abkauft." Es nahm ihn bei der Hand und führte ihn hinauf, denn es war die Kammerjungfer. Als die Königstochter die Ware sah, war sie ganz vergnügt und sprach: .,Es ist so schön gearbeitet, daß ich dir alles abkaufen will." Aber der getreue Johannes sprach: "Ich bin nur der Diener von einem reichen Kaufmann. Was ich hier habe, ist nichts gegen das, was mein Herr auf seinem Schiff stehen hat, und das ist das Künstlichste und Köstlichste, was je in Gold gearbeitet worden ist." Sie wollte alles heraufgebracht haben, aber er sprach: "Dazu gehören viele Tage, so groß ist die Menge, und so viele Säle, um es aufzustellen, daß Euer Haus nicht Raum dafür hat." Da ward ihre Neugierde und Lust immer mehr angeregt, so daß sie endlich sagte: "Führe mich hin zu dem Schiff, ich will selbst hingehen und deines Herrn Schätze betrachten."


    Da führte sie der treue Johannes zu dem Schiffe hin und war ganz freudig, und der König, als er sie erblickte, sah, daß ihre Schönheit noch größer war, als das Bild sie dargestellt hatte, und meinte nicht anders, als das Herz wollte ihm zerspringen. Nun stieg sie in das Schiff, und der König führte sie hinein; der getreue Johannes aber blieb zurück bei dem Steuermann und hieß das Schiff abstoßen: "Spannt alle Segel auf, daß es fliegt wie ein Vogel in der Luft." Der König aber zeigte ihr drinnen das goldene Geschirr, jedes einzeln, die Schüsseln, Becher, Näpfe, die Vögel, das Gewild und die wunderbaren Tiere. Viele Stunden gingen herum, während sie alles besah, und in ihrer Freude merkte sie nicht, daß das Schiff dahinfuhr Nachdem sie das letzte betrachtet hatte, dankte sie dem Kaufmann und wollte heim, als sie aber an des Schiffes Rand kam sah sie, daß es fern vom Land auf hohem Meere ging und mit vollen Segeln forteilte. "Ach", rief sie erschrocken, "ich bin betrogen, ich bin entführt und in die Gewalt eines Kaufmannes geraten; lieber wollt ich sterben !" Der König aber faßte sie bei der Hand und sprach: "Ein Kaufmann bin ich nicht ich bin ein König und nicht geringer an Geburt als du bist. Aber daß ich dich mit List entführt habe, das ist aus übergroßer Liebe geschehen. Das erstemal, als ich dein Bildnis gesehen habe, bin ich ohnmächtig zur Erde gefallen." Als die Königstochter vom goldenen Dache das hörte, ward sie getröstet, und ihr Herz ward ihm geneigt, so daß sie gerne einwilligte, seine Gemahlin zu werden.


    Es trug sich aber zu, während sie auf dem hohen Meere dahinfuhren, daß der treue Johannes, als er vorn auf dem Schiffe saß und Musik machte, in der Luft drei Raben erblickte, die dahergeflogen kamen. Da hörte er auf zu spielen und horchte, was sie miteinander sprachen, denn er verstand das wohl. Der eine rief: "Ei, da führt er die Königstochter vom goldenen Dache heim." "Ja", antwortete der zweite, "er hat sie noch nicht." Sprach der dritte: "Er hat sie doch, sie sitzt bei ihm im Schiffe." Da fing der erste wieder an und rief: "Was hilft ihm das ! Wenn sie ans Land kommen, wird ihm ein fuchsrotes Pferd entgegenspringen, da wird er sich aufschwingen wollen, und tut er das, so sprengt es mit ihm fort und in die Luft hinein daß er nimmer mehr seine Jungfrau wiedersieht." Sprach der zweite: "Ist gar keine Rettung?" "O ja, wenn ein anderer schnell aufsitzt, das Feuergewehr, das in den Halftern stecken muß, herausnimmt und das Pferd damit totschießt, so ist der junge König gerettet. Aber wer weiß das ! Und wer's weiß und sagt's ihm, der wird zu Stein von den Fußzehen bis zum Knie." Da sprach der zweite: "Ich weiß noch mehr, wenn das Pferd auch getötet wird, so behält der junge König doch nicht seine Braut. Wenn sie zusammen ins Schloß kommen, so liegt dort ein gemachtes Brauthemd in einer Schüssel und sieht aus, als wär's von Gold und Silber gewebt, ist aber nichts als Schwefel und Pech. Wenn er's antut, verbrennt es ihn bis auf Mark und Knochen." Sprach der dritte: "Ist da gar keine Rettung ?" "0 ja", antwortete der zweite, "wenn einer mit Handschuhen das Hemd packt und wirft es ins Feuer, daß es verbrennt, so ist der junge König gerettet. Aber was hilft's ! Wer's weiß und es ihm sagt, der wird halben Leibes Stein vom Knie bis zum Herzen." Da sprach der dritte: "Ich weiß noch mehr, wird das Brauthemd auch verbrannt, so hat der junge König seine Braut doch noch nicht. Wenn nach der Hochzeit der Tanz anhebt und die junge Königin tanzt, wird sie plötzlich erbleichen und wie tot hinfallen, und hebt sie nicht einer auf und zieht aus ihrer rechten Brust drei Tropfen Blut und speit sie wieder aus, so stirbt sie. Aber verrät das einer, der es weiß, so wird er ganzen Leibes zu Stein vom Wirbel bis zur Fußzehe." Als die Raben das miteinander gesprochen hatten, flogen sie weiter, und der getreue Johannes hatte alles wohl verstanden, aber von der Zeit an war er still und traurig. Denn verschwieg er seinem Herrn, was er gehört hatte, so war dieser unglücklich; entdeckte er es ihm, so mußte er selbst sein Leben hingeben. Endlich aber sprach er bei sich: "Meinen Herrn will ich retten, und sollte ich selbst darüber zugrunde gehen."


    Als sie nun ans Land kamen, da geschah es, wie der Rabe vorher gesagt hatte, und es sprengte ein prächtiger fuchsroter Gaul daher. "Wohlan", sprach der König, "der soll mich in mein Schloß tragen", und wollte sich aufsetzen, doch der treue Johannes kam ihm zuvor, schwang sich schnell darauf, zog das Gewehr aus den Halftern und schoß den Gaul nieder. Da riefen die anderen Diener des Königs, die dem treuen Johannes doch nicht gut waren: "Wie schändlich, das schöne Tier zu töten, das den König in sein Schloß tragen sollte ! " Aber der König sprach: "Schweigt und laßt ihn gehen, es ist mein getreuester Johannes, wer weiß, wozu das gut ist !" Nun gingen sie ins Schloß, und da stand im Saal eine Schüssel, und das gemachte Brauthemd lag darin und sah nicht anders aus, als wäre es von Gold und Silber. Der junge König ging darauf zu und wollte es ergreifen, aber der Johannes schob ihn weg, packte es mit Handschuhen an, trug es schnell ins Feuer und ließ es verbrennen. Die anderen Diener fingen wieder an zu murren und sagten: "Seht, nun verbrennt er gar des Königs Brauthemd." Aber der junge König sprach: "Wer weiß, wozu es gut ist laßt ihn gehen, es ist mein getreuester Johannes !" Nun ward die Hochzeit gefeiert. Der Tanz hub an, und die Braut trat auch hinein, da harte der treue Johannes acht und schaute ihr ins Antlitz. Auf einmal erbleichte sie und fiel wie tot zur Erde. Da sprang er eilends hinzu, hob sie auf und trug sie in eine Kammer, da legte er sie nieder, kniete und sog die drei Blutstropfen aus ihrer rechten Brust und speite sie aus. Als bald atmete sie wieder und erholte sich, aber der junge König hatte es mit angesehen und wußte nicht, warum es der getreue Johannes getan hatte, ward zornig darüber und rief: "Werft ihn ins Gefängnis !" Am anderen Morgen ward der getreue Johannes verurteilt und zum Galgen geführt und als er oben stand und gerichtet werden sollte, sprach er: "Jeder, der sterben soll darf vor seinem Ende noch einmal reden, soll ich das Recht auch haben ?" "Ja", antwortete der König "es soll! dir vergönnt sein." Da sprach der treue Johannes: "Ich bin mit Unrecht verurteilt und bin dir immer treu gewesen, und erzählte, wie er auf dem Meer das Gespräch der Raben gehört und wie er, um seinen Herrn zu retten, das alles hätte tun müssen. Da rief der König: "Oh, mein treuester Johannes Gnade ! Gnade ! Führt ihn herunter !' Aber der treue Johannes war bei dem letzten Wort das er geredet hatte, leblos herabfallen und war ein Stein.


    Darüber trugen nun der König und die Königin großes Leid, und der König sprach: "Ach, was hab ich große Treue so übel belohnt !" und ließ das steinerne Bild aufheben und in seine Schlafkammer neben sein Bett stellen. Sooft er es ansah, weinte er und sprach: "Ach, könnt' ich dich wieder lebendig machen, mein getreuester Johannes !" Es ging eine Zeit herum, da gebar die Königin Zwillinge, zwei Söhnlein, die wuchsen heran und waren ihre Freude. Einmal, als die Königin in der Kirche war und die zwei Kinder bei dem Vater saßen und spielten, sah dieser wieder das steinerne Bildnis voll Trauer an, seufzte und rief: "Ach, könnt' ich dich wieder lebendig machen, mein getreuester Johannes !" Da fing der Stein an zu reden und sprach: "Ja, du kannst mich wider lebendig machen, wenn du dein Liebstes daran wenden willst' Da rief der König: "Alles, was ich auf der Welt habe, will ich für dich hingeben !" Sprach der Stein weiter: "Wenn du mit deiner eigenen Hand deinen beiden Kindern den Kopf abhaust und mich mit ihrem Blute bestreichst, so erhalte ich das Leben wieder." Der König erschrak, als er hörte, daß er seine liebsten Kinder selbst töten sollte, doch dachte er an die große Treue und daß der getreue Johannes für ihn gestorben war, zog sein Schwert und hieb mit eigner Hand den Kindern den Kopf ab. Und als er mit ihrem Blute den Stein bestrichen hatte, so kehrte das Leben zurück, und der getreue Johannes stand wieder frisch und gesund vor ihm. Er sprach zum König: "Deine Treue soll nicht unbelohnt bleiben", und nahm die Häupter der Kinder, setzte sie auf und bestrich die Wunde mit ihrem Blut, davon wurden sie im Augenblick wieder heil, sprangen herum und spielten fort, als war ihnen nichts geschehen.


    Nun war der König voll Freude, und als er die Königin kommen sah, versteckte er den getreuen Johannes und die beiden Kinder in einen großen Schrank. Wie sie hereintrat, sprach er zu ihr: "Hast du gebetet in der Kirche ?" "Ja", antwortete sie, "aber ich habe beständig an den getreuen Johannes gedacht, daß er so unglücklich durch uns geworden ist." Da sprach er: "Liebe Frau, wir können ihm das Leben wiedergeben. aber es kostet uns unsere beiden Söhnlein, die müssen wir opfern." Die Königin ward bleich und erschrak im Herzen, doch sprach sie: "Wir sind's ihm schuldig wegen seiner großen Treue." Da freute er sich, daß sie dachte, wie er gedacht hatte, ging hin und schloß den Schrank auf, holte die Kinder und den treuen Johannes heraus und sprach: "Gott sei gelobt, er ist erlöst, und unsere Söhnlein haben wir auch wieder !" und erzählte ihr, wie sich alles zugetragen hatte. Da lebten sie zusammen in Glückseligkeit bis an ihr Ende.

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • Das Mädchen, das auf das Brot trat



    Die Geschichte von dem Mädchen, das auf das Brot trat, um sich die Schuhe nicht zu beschmutzen, und dem es dann gar schlecht erging, ist wohlbekannt, sie ist geschrieben und sogar gedruckt.


    Inge hieß das Mädchen; sie war ein armes Kind, stolz und hochmütig; es war ein schlechter Kern in ihr, wie man sagt. Schon als ganz kleines Kind hatte sie ihre Freude daran, Fliegen zu fangen diesen die Flügel auszurupfen und sie so in Kriechtiere zu verwandeln. Später nahm sie den Maikäfer und den Mistkäfer, steckte jeden an eine Nadel, schob dann ein grünes Blatt oder ein kleines Stück Papier zu ihren Füßen hin, und das arme Tier faßte es und hielt es fest, drehte und wendete es, um von der Nadel loszukommen.


    "Jetzt liest der Maikäfer!" sagte Inge, sieh mal, wie er das Blatt wendet!" Mit den Jahren wurde sie eher immer schlechter als besser, aber hübsch war sie, und das war ihr Unglück, sonst wäre sie schon anders hergenommen worden, als sie es eben wurde.


    "Der Kopf braucht eine scharfe Lauge! Sagte ihre eigene Mutter. "Als Kind hast du mir oft auf der Schürze herumgetrampelt, ich fürchte, du wirst mir später aufs Herz treten. Und das tat sie auch.


    Sie kam aufs Land in Dienst zu vornehmen Leuten, und diese hielten sie wie ihr eigenes Kind, als solches ging sie auch gekleidet; gut sah sie aus, und der Hochmut nahm zu.


    Als sie etwa ein Jahr dort war, sagte ihre Herrschaft zu ihr: "Du sollst doch einmal deine Eltern besuchen, Inge!"


    Und Inge begab sich auch auf den Weg zu ihren Eltern, aber nur, um sich in der Heimat zu zeigen; dort sollten die Leute sehen, wie fein sie geworden war; doch als sie am Eingang des Dorfes anlangte und die jungen Burschen und Mädchen dort plaudernd stehen sah und auch ihre Mutter darunter erkannte, die auf einen Stein saß und sich ausruhte, vor sich ein Bündel Reisig, das sie im Wald gesammelt hatte, da kehrte Inge um, sie schämte sich, daß sie, die so fein angekleidet war, eine solch zerlumpte Frau, die Reisig auflas, zur Mutter hatte. Es reute sie gar nicht, daß sie umkehrte, sie war nur ärgerlich.


    Und wieder verstrich ein halbes Jahr. "Du solltest doch wieder einmal in deine Heimat gehen und deine alten Eltern besuchen, Inge!" sagte ihre Dienstherrin. "Ich schenke dir ein großes Weißbrot, das du ihnen geben kannst; sie werden sich gewiß freuen, dich wiederzusehen!"


    Und Inge zog ihren besten Staat und ihre neuen Schuhe an und hob die Kleider hoch und schritt gar vorsichtig einher, damit sie rein und nett um die Füße bleibe, und das konnte man ihr auch nicht verargen! Als sie aber dorthin gelangte, wo der Fußweg über das Moor führt und wo Lachen und Schmutz sind, warf sie das Brot in den Schmutz und trat darauf, damit sie mit reinen Schuhen hinüberkäme. Allein. wie sie so dastand, den einen Fuß auf dem Brot, den anderen in der Luft, um weiterzuschreiten, sank das Brot mit ihr tiefer und tiefer, sie verschwand ganz und gar, und nur eine große Lache, die Blasen warf, war zu sehen. Das ist die Geschichte.


    Aber wohin geriet Inge? Sie versank in den Moorgrund und kam zu der Moorfrau hinunter, die dort braut. Die Moorfrau ist die Base der Elfenmädchen, die bekannt genug sind, von denen man Lieder singt und die man abgemalt findet, aber von der Moorfrau wissen die Leute nur, daß sie es ist, die braut, wenn die Wiesen im Sommer dampfen. Hier in die Brauerei der Moorfrau hinab versank Inge, und dort ist es nicht lange auszuhalten. Die Schlammgrube ist ein helles Prunkgemach gegen die Brauerei der Moorfrau! Jedes Gefäß stinkt so, daß die Menschen davon ohnmächtig werden und dann stehen die Gefäße eng aneinander gepreßt und gibt es irgendeine kleine Öffnung zwischen ihnen, durch welche man sich hindurchdrängen könnte, so ist das doch nicht möglich, wegen all der nassen Kröten und fetten Schlangen, die sich hier förmlich verfilzen; hier hinab versank Inge; all das Ekelhafte, lebendige Gekrieche war so eisig kalt, daß ihr alle Glieder fröstelten, ja, daß sie immer mehr erstarrte. An dem Brot blieb sie fest hängen, und das Brot zog sie hinab, wie ein Bernsteinknopf einen Strohalm anzieht.


    Die Moorfrau war zu Hause, die Brauerei hatte an dem Tag Besuch, wie wurde besichtigt vom Teufel und seiner Großmutter, und des Teufels Großmutter ist ein altes, sehr giftiges Frauenzimmer, das nimmer müßig ist; sie reitet nie auf Besuch aus, ohne ihre Handarbeit mit sich zu führen, und die hatte sie denn auch hier bei sich. Sie nähte Leder für die Schuhe der Mensch, so daß diese immer umherwuzeln mußten und kein Sitzfleisch haben konnten; sie stickte Lügengewebe und häkelte unbesonnene Worte, die zur Erde gefallen waren, alles zum Schaden und Verderben. Ja, die konnte nähen, sticken und häkeln, die alte Großmutter"


    Sie gewahrte Inge, hielt ihr Brillenglas vors Auge und besah sich das Mädchen noch einmal: "Das ist ein Mädchen, das Fähigkeiten besitzt!" sprach sie, "und ich bitte mir die Kleine zur Erinnerung an meinen Besuch hier aus! Sie wird ein passendes Postament in dem Vorgemach meines Enkels bekommen!" Und sie bekam sie. Auf diese Weise kam Inge in die Hölle. Dahinein fahren die Leute nicht immer auf direktem Wege, aber sie können auf Umwegen hinkommen, wenn sie Fähigkeiten besitzen.


    Das war ein Vorgemach ohne Ende; es schwindelte einem wenn man vorwärts schaute, und es schwindelte einem, wenn man rückwärts schaute, und eine Schar von Verschmachtenden stand hier, die da harrte, daß ihnen das Tor der Gnade aufgetan werden sollte; sie hatte lange zu warten! Große, fette, watschelnde Spinnen spannen tausendjähriges Gewebe über ihre Füße hinweg, und dieses Gewebe schnitt ein wie Fußangeln und fesselte wie kupferne Ketten; und außerdem gärte noch eine ewige Unruhe in jeder Seele, eine Unruhe voll des Jammers. Der Geizige stand da und hatte den Schlüssel zu seinem Geldkasten vergessen, und der Schlüssel steckte darin, das wußte er. Ja, es wäre zu weitläufig, alle Arten der Peinigungen und des Jammers herzuzählen, die dort erlitten wurden. Inge empfand es als entsetzliche Pein, dort auf einem Postament stehen zu müssen; sie war gleichsam von unten an das Brot genagelt.


    "Das hat man davon, wenn man sich die Füße rein und sauber bewahren will!" sprach sie zu sich selber. "Seht mal, wie sie mich anglotzen!" Ja, freilich waren die Blicke aller auf sie gerichtet; ihre bösen Gelüste leuchteten ihnen aus den Augen und sprachen ohne Laute aus ihrem Mund, sie waren entsetzlich anzusehen.


    "Mich anzuschauen, muß ein Vergnügen sein!" dachte Inge, "ich habe ein hübsches Gesicht und schöne Kleider an!" und nun drehte sie die Augen, den Nacken konnte sie nicht drehen, der war zu steif dazu. Nein, wie war sie im Brauhaus der Moorfrau beschmutzt worden, das hatte sie nicht bedacht. Ihre Kleider waren wie mit Schleim berzogen, eine Schlange hatte sich in ihr Haar festgehangen und baumelte ihr am Rücken herab, und aus jeder Falte ihres Kleides guckte eine große Kröte hervor, die wie ein engbrüstiger Mops bellte. Das war sehr unangenehmen. "Aber die anderen hier unten sehen ja auch entsetzlich aus!" meinte sie, und damit tröstete sie sich selber.


    Das Schlimmste von allem war jedoch der gräßliche Hunger, den sie verspürte. Konnte sie sich denn nicht bücken und ein Stück von dem Brot brechen, auf welchem sie stand? Nein, der Rücken war steif, Arme und Hände waren erstarrt, ihr ganzer Körper war wie eine Steinsäule, nur die Augen konnte sie noch im Kopfe drehen, ringsherum drehen, so daß sie auch rückwärts zu schauen vermochte; das war ein häßlicher Anblick. Und dann kamen die Fliegen heran, die krochen über ihre Augen hin, hinüber und herüber, sie blinzelte mit den Augen, aber die Fliegen flogen nicht davon, denn fliegen konnten sie nicht, die Flügel waren ihnen ausgezupft; sie waren in Kriechtiere verwandelt worden; das war eine Pein, und dazu der Hunger, ja, zuletzt schien es ihr, als fräßen sich ihre Eingeweide selber auf und als würde sie inwendig ganz leer, ganz entsetzlich leer. "Wenn das länger andauern soll, dann halte ich es nicht aus!" sprach sie, aber sie mußte aushalten, und es dauerte immerfort.


    Da fiel eine heiße Träne auf ihren Kopf herab, rollte über ihr Antlitz und ihre Brust bis ganz auf das Brot, auf welchem sie stand, und es fielen mehr Tränen, viele noch. Wer weinte wohl über Inge? Hatte sie doch auf Erden noch eine Mutter! Die Tränen des Kummers, welche eine Mutter über ihr Kind weint, gelangen stets zu dem Kind, aber sie erlösen es nicht, sie brennen, sie vergrößern die Pein. Und nun dieser unleidige Hunger und die Qual, das Brot nicht erreichen zu können, auf welchem sie doch mit den Füßen stand! Sie hatte das Gefühl, als wenn ihr ganzes Inneres sich selber verzehrt habe, sie war wie ein dünnes, hohles Rohr, daß jeden Laut einsaugt; sie hörte deutlich alles, was oben auf der Erde von ihr gesprochen wurde, und was sie hörte, war hart und bös. Ihre Mutter weinte zwar sehr und war ihretwegen betrübt, aber sie sprach dessenungeachtet: "Hochmut kommt vor den Fall! Das war dein Unglück, Inge! Du hast deine Mutter sehr betrübt!"


    Ihre Mutter und alle oben auf der Erde wußten um die Sünde, die sie begangen hatte, wußten, daß sie auf das Brot getreten war, daß sie versunken und verschwunden war; der Kuhhirt hatte es vom Abhang, vom Moorweg aus gesehen.


    "Wie hast du doch deine Mutter betrübt, Inge!" sagte die Mutter; "Ja, ich hatte es schon geahnt!" "Wäre ich doch nie geboren!" dachte Inge dann, "Das wäre weit besser für mich gewesen. Wozu nützt es aber jetzt, daß meine Mutter weint?"


    Sie vernahm, wie ihre Herrschaft, die guten Leute, die sie wie Eltern gehegt und gepflegt hatten, jetzt sprachen und sagten: "Sie war ein sündhaftes Kind, sie hat die Gaben Gottes nicht geachtet, sondern sie mit Füßen getreten, die Tür der Gnade wird sich ihr nur langsam auftun!" "Sie hätten mich züchtigen, mir die Mucken austreiben sollen, falls ich welche gehabt habe."


    Sie hörte, daß ein ganzes Lied auf sei gereimt wurde, das Lied von dem hochmütigen Mädchen, das auf das Brot trat, damit ihre Schuhe rein blieben, und daß man das Lied im ganzen Lande sang.


    "Daß man deshalb so viel Böses hören muß und so viel leiden!" dachte Inge: "die anderen müßten auch ihrer Sünden wegen bestraft werden! Ja, dann wäre freilich viel zu bestrafen! Ach wie ich gepeinigt werde!" Und ihr Sinn verhärtete sich noch mehr als ihr Äußeres. "Hier unten in dieser Gesellschaft kann man nun einmal nicht besser werden! Und ich will auch nicht besser werden! Sieh, wie sie mich anglotzen!" Und ihr Sinn war voll Zorn und Bosheit gegen alle Menschen.


    "Jetzt haben sie endlich dort oben etwas zu erzählen! Ach, wie ich gepeinigt werde!" Und sie hörte auch, wie ihre Geschichte den Kindern erzählt wurde, und die Kleinen nannten sie die gottlose Inge, sie sei so häßlich, sagten sie, so garstig, sie müsse recht gepeinigt werden. Immerfort kamen harte Worte über sie aus Kindermund.


    Doch eines Tages, während Gram und Hunger im Innern ihres hohlen Körpers nagten und sie hörte, wie man ihren Namen nannte und ihre Geschichte einem unschuldigen Kind, einen kleinen Mädchen, erzählte da vernahm sie, daß die Kleine in Tränen ausbrach bei der Geschichte von der hochfahrenden putzsüchtigen Inge.


    "Aber kommt Inge denn nie mehr herauf?" fragte das kleine Mädchen. Und man antwortete: "Sie kommt nimmermehr herauf!" "Aber wenn sie nun "bitte, bitte" sagen, um Verzeihung bitten und es nie wieder tun würde!" "Dann wohl, doch sie will nicht um Verzeihung bitten!" hieß es hierauf. "Ich möchte so gern, daß sie es täte!" sagte die Kleine und war ganz untröstlich. "Ich will meine Puppe und all mein Spielzeug darum geben, wenn sie nur heraufkommen darf" Es ist zu schrecklich - die arme Inge!"


    Und diese Worte reichten bis in Inges innerstes Herz, sie taten ihr gleichsam wohl; es war das erste Mal, daß jemand sagte: "Die arme Inge!" und nichts von ihren Fehlern hinzufügte; ein kleines unschuldiges Kind weinte und bat um Gnade für sie, es wurde ihr dabei ganz sonderbar zumute, sie selber hätte jetzt gern geweint, aber sie vermochte es nicht, sie konnte nicht weinen, und das war auch eine Qual.


    Während Jahre dort oben verstrichen - unten, wo sie war, gab es keinen Wechsel -, hörte sie immer seltener Worte von oben, man sprach weniger von ihr. Da drang plötzlich eines Tages ein Seufzer zu ihrem Ohr: "Inge! Inge! Wie du mich betrübt hast! Ich habe es ja gesagt!" Es war ihrer sterbenden Mutter letzter Seufzer.


    Zuweilen hörte sie ihnen Namen von ihrer früheren Herrschaft nennen, und das waren sanfte Worte, wenn die Frau sagte: "Ob ich doch wohl jemals wiedersehe, Inge? Man weiß nicht, wohin man kommt!" Aber Inge sah wohl ein, daß ihre gute Dienstherrin nie hierher kommen könnte, wo sie war. So verstrich wiederum eine Zeit, eine lange, bittere Zeit.


    Da hörte Inge noch einmal ihren Namen nennen und sah über sich gleichsam zwei klare Sterne funkeln; es waren zwei sanfte Augen, die sich auf Erden schlossen. So viele Jahre waren seit damals verstriche, als das kleine Mädchen untröstlich war und über "die arme Inge" weinte, daß das Kind eine alte Frau geworden war, die Gott nun wieder zu sich rufen wollte; und gerade in dieser Stunde, in der die Gedanken alle aus des Lebens ganzem Tun wieder emportauchen, entsann sie sich auch, wie sie einst als kleines Kind recht wehmütig hatte weinen müssen bei der Geschichte von Inge. Jene Stunde und jener Eindruck wurden der alten Frau in ihrer Todesstunde dermaßen wieder lebendig, daß sie ganz laut in die Worte ausbrach: "Mein Gott und Herr, ob ich nicht auch, wie Inge, oft deine Segensgaben mit Füßen getreten und mir nichts Böses dabei gedacht habe. Ob ich nicht auch umhergegangen bin mit hochmütigem Sinn - du hast in deiner Gnade mich nicht sinken lassen, sondern mich aufrecht erhalten! Oh, lasse nicht ab, von mir in meiner letzten Stunde!"


    Und die Augen der Alten schlossen sich, und ihrer Seele Auge erschloß sich, das Verborgene zu schauen. Sie, in deren letzten Gedanken Inge so lebhaft zugegen gewesen war, sie sah jetzt auch, wie tief hinab Inge gezogen war, und bei dem Anblick brach die Fromme in Tränen aus; im Himmel stand sie wie ein Kind und weinte um die arme Inge. Und diese Tränen und Gebete klangen wie ein Echo hinab in die hohle, leere Hülle, welche die gefesselte, gepeinigte Seele umschloß, die nie erwartete Liebe von oben überwältigte sie: ein Engel Gottes weinte um sie! Weshalb ward ihr dies wohl vergönnt? Die gepeinigte Seele sammelte gleichsam in Gedanken jede Erdenhandlung, die sie verübt hatte, und sie, Inge, zitterte unter Tränen, wie sie solche niemals geweint hatte; Kummer über sich selber erfüllte sie, ihr war es, als können sich ihr die Pforte der Gnade nimmer öffnen, und als sie in Zerknirschung dieses erkannte, schoß leuchtend ein Strahl in den Abgrund zu ihr hinab, und zwar mit einer Kraft, die weit stärker war als die des Sonnenstrahls, durch den der Schneemann auftaut, den die Knaben hinstellen; und weit schneller als die Schneeflocke schmilzt und zu einem Tropfen wird, der auf die warmen Lippen des Kindes fällt, löste sich die versteinerte Gestalt Inges in Nebel auf, ein kleiner Vogel schwang sich im Zickzack des Blitzes hinauf in die Menschenwelt. Aber der Vogel war ängstlich und scheu gegen alles ringsum, er schämte sich seiner selbst, schämte sich vor allen lebenden Geschöpfen und suchte eiligst sich in ein finsteres Loch in einem alten, verwitterten Gemäuer zu verbergen, dort saß er und kauerte, zitternd am ganzen Körper, keinen Laut vermochte er von sich zu geben, er hatte keine Stimme; lange saß er, bevor er all die Herrlichkeit ringsum klar sehen und vernehmen konnte; ja, herrlich war es! Die Luft war frisch und mild, der Mond warf seinen klaren Schein über die Erde; Bäume und Gebüsch sandten Düfte aus, und gar traulich war es, wo er saß, sein Federgewand war ganz rein und fein. Nein, wie war doch alles Geschaffenen in Liebe und Herrlichkeit dargebracht! Alles, was sich in der Brust des Vogels regte, wollte sich hinaussingen, aber der Vogel vermochte es nicht, gern hätte er gesungen wie im Frühling der Kuckuck und die Nachtigall. Unser Herrgott, der auch den lautlosen Lobgesang des Wurmes vernimmt, hörte auch hier den Lobgesang, der sich in Gedankenakkorden erhob, so wie der Psalm im Innern Davids klang, bevor er zu Wort und Melodie wurde.


    Wochenlang regten diese lautlosen Lieder sich in Gedanken, sie mußten zum Ausbruch kommen, mußte es bei dem ersten Flügelschlag einer guten Tat, eine solche mußte getan werden!


    Das heilige Weihnachtsfest kam heran. Der Bauer pflanzte in der Nähe der Mauer eine Stange auf und befestigte daran eine Garbe Hafer, damit die Vögel in der Luft auch ein fröhliches Weihnachtsfest und eine gute Mahlzeit hätten, in dieser Zeit des Erlösers.


    Und die Sonne erhob sich am Weihnachtsmorgen und schien auf die Garbe, und zwitschernde Vögel in Scharen umflatterten die Futterstange, da klang es auch aus dem Mauerloch heraus: "Piep, piep!" Der schwellende Gedanke ward zum Laut, das schwache Piepen eine ganze Freudenhymne, der Gedanke einer guten Tat erwachte, und der Vogel schwang sich aus seinem Versteck heraus, im Himmel wußten sie schon, was das für ein Vogel war!


    Der Winter war streng, die Gewässer waren zugefroren, die Vögel und die Tiere des Waldes hatten knappe Futterzeiten. Unser kleiner Vogel schwang sich über die Landstraße dahin, und dort in dem Geleise der Schlitten fand er auch hin und wieder ein Körnchen, an den Haltestellen einige Brotkrümelchen, und er selber fraß nur wenig, aber er rief all die anderen verhungerten Sperlinge herbei, damit sie etwas Futter bekämen. Er flog in die Städte hinein, spähte ringsum, und wo eine liebe Hand Brot auf das Fensterbrett für die Vögel gestreut hatte, dort fraß er selber nur ein einzelnes Krümelchen, gab aber alles den anderen Vögeln.


    Im Verlauf des Winters hatte der Vogel so viele Brotkrümelchen gesammelt und den anderen Vögeln gespendet, daß sie zusammen das ganze Brot aufwogen, aus das Inge getreten hatte, damit ihre Schuhe rein blieben, und als das letzte Brotkrümelchen gefunden und gespendet war, wurden die grauen Flügel des Vogels weiß und breiteten sich weit aus.


    "Dort fliegt eine Seeschwalbe über das Wasser hin!" sagten die Kinder, die den weißen Vogel sahen; nun tauchte er in den See hinab, nun hob er sich empor in den klaren Sonnenschein, er glänzte, es war nicht möglich, zu sehen, wo er blieb; sie sagten, er sei geradewegs in die Sonne geflogen.



    Hans Christian Andersen

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Das Schneeglöckchen 


    Es ist Winterszeit, die Luft kalt, der Wind scharf, aber zu Hause ist es warm und gut; zu Hause lag die Blume, sie lag in ihrer Zwiebel unter Erde und Schnee.


    Eines Tages fiel Regen. Die Tropfen drangen durch die Schneedecke in die Erde hinab, rührten die Blumenzwiebel an und meldeten von der Lichtwelt über ihnen. Bald drang auch der Sonnenstrahl fein und bohrend durch den Schnee, bis zur Zwiebel hinab und stach sie.


    "Herein!" sagte die Blume.


    "Das kann ich nicht", sagte der Sonnenstrahl, "ich bin nicht stark genug, um aufzumachen; ich bekomme erst im Sommer Kraft."


    "Wann ist es Sommer?" fragte die Blume, und das wiederholte sie, so oft ein neuer Sonnenstrahl hinabdrang. Aber es war noch weit bis zur Sommerzeit. Noch lag der Schnee, und das Wasser gefror zu Eis - jede einzige Nacht.


    "Wie lange das doch dauert! Wie lange!" sagte die Blume. "Ich fühle ein Kribbeln und Krabbeln, ich muß mich recken; ich muß mich strecken. Ich muß aufschließen, ich muß hinaus, dem Sommer einen 'Guten Morgen' zunicken; das wird eine glückselige Zeit!"


    Und die Blume reckte sich und streckte sich drinnen gegen die dünne Schale, die das Wasser von außen her weich gemacht, die der Schnee und die Erde gewärmt und in die der Sonnenstrahl hineingestochen hatte. Sie schoß unter dem Schnee empor mit einer weißgrünen Knospe auf dem grünen Stengel, mit schmalen, dicken Blättern, die sie gleichsam beschützen wollten. Der Schnee war kalt, aber vom Lichte durchstrahlt, dazu so leicht zu durchbrechen, und hier traf sie auch der Sonnenstrahl mit stärkerer Macht als zuvor.


    "Willkommen! Willkommen!" sang und klang jeder Strahl, und die Blume erhob sich über den Schnee in die Welt des Lichtes hinaus. Die Sonnenstrahlen streichelten und küßten sie, bis sie sich ganz öffnete, weiß wie Schnee und mit grünen Streifen geputzt. Sie beugte ihr Haupt in Freude und Demut.


    "Liebliche Blume!" sang der Sonnenstrahl. "Wie frisch und leuchtend du bist! Du bist die erste, du bist die einzige, du bist unsere Liebe! Du läutest den Sommer ein, den schönen Sommer über Land und Stadt! Aller Schnee soll schmelzen, der kalte Wind wird fortgejagt! Wir werden gebieten. Alles wird grünen! Und dann bekommst du Gesellschaft, Flieder und Goldregen und zuletzt die Rosen; aber du bist die erste, so fein und leuchtend!"


    Das war eine große Freude. Es war, als sänge und klänge die Luft, als drängen die Strahlen des Lichts in ihre Blätter und Stengel. Da stand sie, fein und leicht zerbrechlich und doch so kräftig in ihrer jungen Schönheit. Sie stand in weißem Gewande mit grünen Bändern und pries den Sommer. aber es war noch lang bis zur Sommerzeit, Wolken verbargen die Sonne, scharfe Winde bliesen über sie hin.


    "Du bist ein bißchen zu zeitig gekommen", sagten Wind und Wetter. "Wir haben noch die Macht. Die bekommst du zu fühlen und mußt dich dreinfinden. Du hättest zu Hause bleiben und nicht ausgehen sollen, um Staat zu machen; dazu ist es noch nicht die Zeit.


    Es war schneidend kalt. Die Tage, die nun kamen, brachten nicht einen enzigen Sonnenstrahl; es war ein Wetter, um in Stücke zu frieren, besonders für eine so zarte, kleine Blume. Aber sie trug mehr Stärke in sich, als sie selber wußte. Freude und Glauben an den Sommer machten sie stark, er mußte ja kommen; er war ihr von ihrer tiefen Sehnsucht verkündet und von dem warmen Sonnenlichte bestätigt worden. So stand sie voller Hoffnung in ihrer weißen Pracht, in dem weißen Schnee und beugte ihr Haupt, wenn die Schneeflocken herabfielen, während die eisigen Winde über sie dahinfuhren.


    "Du brichst entzwei!" sagten sie. "Verwelke, Erfriere! Was willst du hier draußen! Weshalb ließest du dich verlocken! Die Sonnenstrahlen haben dich genarrt! Nun sollst du es gut haben, du Sommernarr!"


    "Sommernarr!" schallte es durch den kalten Morgen, den "Sommernarr" heißt im Dänischen das Schneeglöckchen. "Sommernarr" jubelten ein paar Kinder, die in den Garten hinabkamen. "Da steht einer, so lieblich, so schön, der erste, der einzige!"


    Und die Worte taten der Blume so wohl, es waren Worte wie warme Sonnenstrahlen. Die Blume fühlte in ihrer Freude nicht einmal, daß sie gepflückt wurde. Sie lag in einer ´Kinderhand, wurde von einem Kindermund geküßt und hinein in die warme Stube gebracht, von milden Augen angeschaut, in Wasser gestellt, so stärkend, so belebend. Die Blume glaubte, daß sie mit einem Male mitten in den Sommer hineingekommen wäre.


    Die Tochter des Hauses, ein niedliches kleines Mädchen, war eben konfirmiert; sie hatte einen lieben kleinen Freund, der auch konfirmiert worden war; nun arbeitete er auf eine feste Stellung hin. " Es soll mein Sommernarr sein!" sagte Sie. Dann nahm sie die feine Blume, legte sie in ein duftendes Stück Papier, auf dem Verse geschrieben standen, Verse über die Blume, die mit "Sommernarr" anfingen und mit "Sommernarr" schlossen, das Ganze war eine zärtliche Neckerei. Nun wurde alles in den Umschlag gelegt, die Blume lag darin, und es war dunkel um sie her, dunkel wie damals, als die noch in der Zwiebel lag. So kam die Blume auf Reisen, lag im Postsack, wurde gedrückt und gestoßen; das war nicht behaglich. Aber es nahm ein Ende.


    Die Reise war vorbei, der Brief wurde geöffnet und von dem lieben Freunde gelesen. Er war so erfreut, daß er die Blume küßte, und dann wurde sie mit den Versen zusammen in einen Schubkasten gelegt, worin noch mehr solcher schönen Briefe lagen, aber alle ohne Blume; sie war die erste, die einzige, wie die Sonnenstrahlen sie genannt hatten, und darüber nachzudenken war schön.


    Sie durfte auch lange darüber nachdenken, sie dachte, während der Sommer verging und der lange Winter verging, und als es wieder Sommer wurde, wurde sie wieder hervorgenommen. Aber da war der junge Mann gar nicht froh. Er faßte das Papier hart an und warf die Verse hin, daß die Blume zu Boden fiel. Flachgepreßt und trocken war sie ja, aber deshalb hätte sie doch nicht auf den Boden geworfen werden müssen; doch dort lag sie besser als im Feuer, wo die Ferse und Briefe aufloderten. Was war gesehen? - Was so oft geschieht. Die Blume hatte ihn genarrt, es war ein Scherz; die Jungfrau hatte ihn genarrt; das war kein Scherz, sie hatte sich einen anderen Freund im schönen Sommer erkoren.


    Am Morgen schien die Sonne auf den flachgedrückten keinen Sommernarren herab, der aussah, als sei er auf den Boden gemalt. Das Mädchen, das auskehrte, nahm ihn auf und legte ihn in eins der Bücher auf dem Tische, weil sie glaubte, daß er dort herausgefallen sei, als die aufräumte und das Zimmer in Ordnung brachte. Und die Blume lag wieder zwischen Versen, gedruckten Versen und die sind viel vornehmen als die geschriebenen. wenigsten haben sie mehr gekostet.


    So vergingen Jahre. Das Buch stand auf dem Bücherbrett. Nun wurde es hervorgeholt, geöffnet und gelesen. Es war ein gutes Buch, Verse und Lieder, die er wert sind, gekannt zu werden. Und der Mann, der das Buch las, wandte das Blatt um. "Da liegt ja eine Blume", sagte er, "ein Sommernarr! Es hat wohl seine Bedeutung, daß er gerade hierhergelegt worden ist. Ja, liege als Zeichen hier im Buche, kleiner Sommernarr!"


    Und so wurde das Schneeglöckchen wieder ins Buch gelegt und fühlte sich beehrt und erfreut, daß es als Zeichen von Bedeutung im Buche liegenbleiben sollte.


    Das ist das Märchen vom Schneeglöckchen, dem Sommernarren.



    Hans Christian Andersen

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Eine Rose für den Prinzen 



    Es lebte einmal in einem fernen Land ein Prinz. Doch dieser lebte nicht in einem schönen Schloss, sondern in einer armen, alten morschen Hütte im Wald, denn er war von einer Hexe verflucht wor-den, als er sieben Jahre alt war.


    Aber eines Tages brach er auf. Er hatte dieses armselige Leben satt. So packte er seine Sachen, um zu der Stadt zu gehen, wo seine Mutter und sein Vater, der Kaiser und die Kaiserin, lebten. Er war festen Willens, und so dauerte es nur ein paar Wochen, bis er ankam. Als er jedoch die Stadt erreichte und das Stadttor betreten wollte, erstarrte er, er wurde zu Gold. Plötzlich kam die Hexe auf ihrem Besen ange-flogen. Sie hielt in ihrer einen Hand triumphierend eine Rose. Sie rief: "Du musst jemanden finden, der für dich die Rose des Lebens holt! Sonst bist du für immer und ewig verloren!" Dann flog sie weg und ließ ihn stehen.
    Als seine Eltern ihn sahen, wussten sie, was geschehen war. Sie konnten ihm jedoch nicht helfen, denn sie konnten die Rose erstens nicht finden und zweitens konnten sie es niemandem sagen, denn immer fehlten ihnen die Worte und beim Schreiben immer die Tinte.


    Es kamen und gingen die Jahre. Eines Tages kam ein junges Mädchen, das sich besonders für den Prinzen interessierte. In der Nacht träumte sie von dem Prinz. Er sagte: "Du, hole für mich die Rose von der bösen Hexe!" Und dann flog sie über Wiesen und Wälder. Sie wurde langsamer, landete und fand sich in einem efeuüberzogenen Turm wieder. Eine Hexe tanzte mit Sieges-gewissheit um einen Ständer herum, worauf eine Rose in einem verschlossenen Glasbehälter stand. Sie schien das Mädchen nicht zu sehen und rief: "Bald ist die Zeit um und der Prinz hat immer noch niemanden, der für ihn die Rose holt, und dann bin ich Kaiserin!"


    Ein Gewirr von Farben, ....alles drehte sich im Kreis, ....das Mädchen schien schnell zurück-zureisen, ....sie verlor den Boden unter den Füßen .... und dann landete sie in ihrem Bett. Sie richtete sich auf, nahm ihre Schuhe, zog sie an, kämmte ihr Haar, wusch sich, zog sich an und packte ihre sieben Sachen, auch nahm sie etwas Brot als Proviant mit. Als sie dann das Haus verließ, machte sie das Tor nicht zu, denn jemand könnte dadurch geweckt werden. Am Stadttor strich sie dem Prinzen zart übers Gesicht.


    Sie ging hinaus in die Welt, um den efeuüberzogenen Turm mit der Hexe zu finden. Viele Wochen und Monate wanderte sie über Wiesen und durch dichte Wälder, hielt dabei immer Ausschau nach dem Turm. Schließlich entdeckte sie ihn. Er hatte drei Stockwerke. Die Tür quietschte, als sie sie öffnete. Im ersten Stock waren Feen. Sie ließen das Mädchen nicht so schnell entwischen, sie rieten ihr: "Bleibe bei uns, wir wollen nicht, dass du von der bösen Hexe getötet wirst!" "Das kann ich nicht!", sagte das Mädchen und ging weiter. In dem zweiten Stockwerk war ein schreckliches Monster. Da nahm das Mädchen sein Brot und warf es in die hinterste Ecke. Das Monster stürzte sich auf das Brot, und das Mädchen lief weiter. Im dritten Stockwerk jedoch stand die Rose. Um sie herum waren drei Bannkreise gezogen. Sie trat in den ersten, plötzlich war dort eine Schlucht. Doch sie ging auf die Schlucht zu und erinnerte sich daran, dass da vorhin noch Boden gewesen war. Der erste Bann war gebrochen, nun kam sie zu dem zweiten Bannkreis. Es war, als ob Tausende von Händen sie packten, doch sie ging weiter. Der zweite Bann war gebrochen. Der dritte Bannkreis kam nun, und plötzlich stand sie vor einem großen Spiegel. Sie nahm Anlauf, sprang durch den Spiegel. Wie durch ein Wunder verletzten sie die Glasscherben nicht. Sie hatte es geschafft! Hastig packte sie die Rose. Da, ein Besen! Ohne zu überlegen nahm sie den Besen der Hexe, klemmte ihn sich zwischen die Beine und flog zu dem Stadttor, wo der Prinz wartete. Dabei musste sie den Flammenstößen der Hexe auswei-chen, die sich in einen Drachen verwandelt hatte.


    Am Tor angekommen, drückte sie dem Prinz die Rose in die Hand und er wurde lebendig. Das Mädchen und der Prinz heirateten und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • Das häßliche junge Entlein



    Es war so herrlich draußen auf dem Lande. Es war Sommer, das Korn stand gelb, der Hafer grün, das Heu war unten auf den grünen Wiesen in Schobern aufgesetzt, und der Storch ging auf seinen langen, roten Beinen und plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Frau Mutter gelernt. Rings um die Äcker und die Wiesen gab es große Wälder und mitten in den Wäldern tiefe Seen. Ja, es war wirklich herrlich da draußen auf dem Lande! Mitten im Sonnenschein lag dort ein altes Landgut, von tiefen Kanälen umgeben; und von der Mauer bis zum Wasser herunter wuchsen große Klettenblätter, die so hoch waren, daß kleine Kinder unter den höchsten aufrecht stehen konnten; es war ebenso wild darin wie im tiefsten Walde. Hier saß eine Ente auf ihrem Nest, welche ihre Jungen ausbrüten mußte; aber es wurde ihr fast zu langweilig, bis die Jungen kamen. Dazu erhielt sie selten Besuch; die andern Enten schwammen lieber in den Kanälen umher, als daß sie hinaufliefen, sich unter ein Klettenblatt zu setzen, um mit ihr zu schnattern.


    Endlich platzte ein Ei nach dem anderen; "Piep! piep!" sagte es, und alle Eidotter waren lebendig geworden und steckten die Köpfe heraus. "Rapp! rapp!" sagte sie; und so rappelten sich alle, was sie konnten, und sahen nach allen Seiten unter den grünen Blättern; und die Mutter ließ sie sehen, so viel sie wollten, denn das Grüne ist gut für die Augen.


    "Wie groß ist doch die Welt!" sagten alle Jungen, denn nun hatten sie freilich viel mehr Platz, als wie sie noch drinnen im Ei lagen. "Glaubt ihr, daß dies die ganze Welt ist?" sagte die Mutter; "die erstreckt sich noch weit über die andere Seite des Gartens, gerade hinein in des Pfarrers Feld; aber da bin ich noch nie gewesen!" - "Ihr seid doch alle beisammen?" fuhr sie fort und stand auf. "Nein, ich habe nicht alle; das größte Ei liegt noch da; wie lange soll denn das dauern! jetzt bin ich es bald überdrüssig!" und so setzt sie sich wieder.


    "Nun, wie geht es?" fragte eine alte Ente, welche gekommen war, um ihr einen Besuch abzustatten. "Es währt recht lange mit dem einen Ei!" sagte die Ente, die da saß; es will nicht platzen; doch sieh nur die andern an; sind es nicht die niedlichsten Entlein, die man je gesehen? Sie gleichen allesamt ihrem Vater; der Bösewicht kommt nicht, mich zu besuchen."


    "Laß mich das Ei sehen, welches nicht platzen will!" sagte die Alte. "Glaube mir, es ist ein Kalekuten-Ei! Ich bin auch einmal so angeführt worden und hatte meine große Sorge und Not mit den Jungen, denn ihnen ist bange vor dem Wasser! Ich konnte sie nicht hineinbringen; ich rappte und schnappte, aber es half nicht. Laß mich das Ei sehen! Ja, das ist ein Kalekuten-Ei! Laß das liegen und lehre lieber die andern Kinder schwimmen."


    "Ich will doch noch ein bißchen darauf sitzen", sagte die Ente; "habe ich nun so lange gesessen, so kann ich auch noch einige Tage sitzen. "Nach Belieben", sagte die alte Ente und ging von dannen.


    Endlich platze das Ei. "Piep! piep!" sagte das Junge und kroch heraus. Es war sehr groß und häßlich! Die Ente betrachtete es: "Es ist doch ein gewaltig großes Entlein das", sagte sie; "keins von den andern sieht so aus; sollte es wohl ein kalikultisches Küchlein sein? Nun, wir wollen bald dahinterkommen; in das Wasser muß es, sollte ich es auch selbst hineinstoßen."


    Am nächsten Tage war schönes, herrliches Wetter; die Sonne schien auf alle grünen Kletten. Die Entleinmutter ging mit ihrer ganzen Familie zu dem Kanal hinunter. Platsch! da sprang sie ins Wasser. "Rapp! rapp!" sagte sie, und ein Entlein nach dem andern plumpste hinein; das Wasser schlug ihnen über dem Kopf zusammen, aber sie kamen gleich wieder empor und schwammen ganz prächtig; die Beine gingen von selbst, und alle waren sie im Wasser; selbst das häßliche, graue Junge schwamm mit.


    "Nein, es ist kein Kalekut", sagte sie; "Sieh, wie herrlich es die Beine gebraucht, wie gerade es sich hält; es ist mein eigenes Kind! Im Grunde ist es doch ganz hübsch, wenn man es nur recht betrachtet. Rapp! rapp! Kommt nur mit mir, ich werde euch in die große Welt führen, euch im Entenhofe präsentieren; aber haltet euch immer nahe zu mir, damit euch niemand tritt, und nehmt euch vor den Katzen in acht!"


    Und so kamen sie in den Entenhof hinein. Drinnen war ein schrecklicher Lärm, denn da waren zwei Familien, die sich um einen Aalkopf bissen, und am Ende bekam ihn doch die Katze.


    "Seht, so geht es in der Welt zu!" sagte die Entleinmutter und wetzte ihren Schnaubel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben. "Braucht nun die Beine!" sagte sie; "seht, daß ihr euch rappeln könnt, und neigt euren Hals vor der alten Ente dort; die ist die vornehmste von allen hier; sie ist aus spanischem Geblüt, deshalb ist sie do dick, und seht ihr: sie hat einen roten Lappen um das Bein; das ist etwas außerordentlich Schönes und die größte Auszeichnung ,welche einer Ente zuteil werden kann. Das bedeutet so viel, daß man sie nicht verlieren will und daß sie von Tier und Menschen erkannt werden soll! Rappelt euch! Setzt die Füße nicht einwärts; ein wohlerzogenes Entlein setzt die Füße weit auswärts, gerade wie Vater und Mutter; seht: so! Nun neigt euren Hals und sagt: Rapp."


    Und das taten sie; aber die andern Enten ringsumher betrachteten sie und sagten ganz laut: "Sieh da! Nun sollen wir noch den Anhang haben; als ob wir nicht schon so genug wären! Und pfui! Wie das eine Entlein aussieht, das wollen wir nicht dulden!" und sogleich flog eine Ente hin und biß es in den Nacken. "Laß es gehen!" sagte die Mutter; "es tut ja niemandem etwas." "Ja, aber es ist zu groß und ungewöhnlich", sagte die beißende Ente; "und deshalb muß es gepufft werden."


    "Es sind hübsche Kinder, welche die Mutter hat", sagte die alte Ente mit dem Lappen um das Bein; "alle schön, bis auf das eine; das ist nicht geglückt; ich möchte, daß sie es umarbeiten könnte." "Das geht nicht, Ihro Gnaden", sagte die Entleinmutter; "es ist nicht hübsch, aber es hat ein innerlich gutes Gemüt und schwimmt so herrlich wie eins von den andern, ja, ich darf sagen, noch etwas besser. Ich denke, es wird hübsch heranwachsen und mit der Zeit etwas kleiner werden; es hat zu lange in dem Ei gelegen und deshalb nicht die rechte Gestalt bekommen!" Und so zupfte sie es im Nacken und glättete das Gefieder. "Es ist überdies ein Enterich", sagte sie; "und darum nacht es nicht so viel aus. Ich denke, er wird gute Kräfte bekommen; er schlägt sich schon durch."


    "Die anderen Entlein sind niedlich", sagte die Alte; "tut nun, als ob ihr zu Hause wäret, und findet ihr einen Aalkopf, so könnt ihr ihn mir bringen." Und nun waren sie zu Hause.


    Aber das arme Entleich, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen war und so häßlich aussah, wurde gebissen, gestoßen und ausgelacht, und das sowohl von den Enten wie von den Hühnern. "Es ist zu groß!" sagten alle, und der kalikultische Hahn, welcher mit Sporen zur Welt gekommen war und deshalb glaubte, daß er Kaiser sei, blies sich auf wie ein Fahrzeug mit vollen Segeln und ging gerade auf dasselbe los; dann kollerte er und wurde ganz rot am Kopf. Das arme Entlein wußte nicht, wo es stehen oder gehen sollte; es war so betrübt, weil es häßlich aussah und vom ganzen Entenhof verspottet wurde.


    So ging es den ersten Tag, und später wurde es schlimmer und schlimmer. Das arme Entlein wurde von allen gejagt; selbst seine Schwestern waren ganz böse gegen dasselbe und sagten immer: "Wenn die Katze dich nur fangen möchte, du häßliches Geschöpf!" Und die Mutter sagte: "Wenn du nur weilt fort wärst!" Und die Enten bissen es, und die Hühner schlugen es, und das Mädchen, welches die Tiere füttern sollte, stieß mit den Füßen noch ihm.


    Da lief es und flog über den Zaun, die kleinen Vögel in den Büschen flogen erschrocken auf. "Das geschieht, weil ich so häßlich bin", dachte das Entlein und schloß die Augen, lief aber gleichwohl weiter; so kam es hinaus zu dem großen Moor, wo die wilden Enten wohnten. Hier lag es die ganze Nacht; es war so müde und kummervoll.


    Gegen Morgen flogen die wilden Enten auf, und sie betrachteten den neuen Kameraden. "Was bist du für einer?" fragten sie; und das Entlein wendete sich nach allen Seiten und grüßte, so gut es konnte.


    "Du bist außerordentlich häßlich!" sagten die wilden Enten; "Aber das kann uns gleich sein, wenn du nur nicht in unsere Familie hineinheiratest." Das Arme! Es dachte wahrlich nicht daran, sich zu verheiraten, wenn es nur die Erlaubnis erhalten konnte, im Schilf zu liegen und etwas Moorwasser zu trinken.


    So lag es zwei ganze Tage, da kamen zwei wilde Gänse oder richtiger wilde Gänseriche dorthin; es war noch nicht lange her, daß sie aus dem Ei gekrochen waren, und deshalb waren sie auch so keck.


    "Höre, Kamerad!" sagten sie; "du bist so häßlich, daß ich dich gut leiden mag; willst du mitziehen und Zugvogel werden? Hier nahebei in einem andern Moor gibt es einige süße, liebliche wilde Gänse, nämlich Fräuleins, die alle "Rapp!" sagen können. Du bist imstande, dein Glück dort zu machen, so häßlich du auch bist!"


    "Piff! Paff!" ertönte es eben, und beide wilde Gänseriche fielen tot in das Schilf nieder, und das Wasser wurde blutrot. "Piff! Paff - erscholl es wieder und ganze Scharen wilder Gänse flogen aus dem Schilf auf. Und dann knallte es abermals. Es war große Jagd, die Jäger lagen rings um das Moor herum; ja, einige saßen oben in den Baumzweigen, welche sich weit über das Schilfrohr hinstreckten. Der blaue Dampf zog gleich Wolken in die dunkeln Bäume hinein und weit über das Wasser hin; zum Moore kamen die Jagdhunde. Platsch, Platsch, das Schilf und das Rohr neigte sich nach allen Seiten. Das war ein Schreck für das arme Entlein. Es wendete den Kopf, um ihn unter den Flügel zu stecken, aber in demselben Augenblick stand ein fürchterlich großer Hund dicht bei dem Entlein; die Zunge hing ihm lang aus dem Halse heraus, und die Augen leuchteten greulich häßlich; er steckte seine Schnauze dem Entlein gerade entgegen, zeigte ihm die scharfen Zähne und - - Platsch, Platsch! ging er wieder, ohne es zu packen.


    "O Gott sei Dank!" seufzte das Entlein; "ich bin so häßlich, daß mich selbst der Hund nicht beißen mag!" Und so lag es ganz still, während die Schrotkugeln durch das Schild sausten und Schuß auf Schuß knallte.


    Erst spät am Tage wurde es ruhig; aber das arme Junge wagte noch nicht, sich zu erheben; es wartete noch mehrere Stunden, bevor es sich umsah, und dann eilte es fort aus dem Moor, so schnell es konnte. Es lief über Feld und Wiese; da tobte ein solcher Sturm, daß es ihm schwer wurde, von der Stelle zu kommen.


    Gegen Abend erreichte es eine kleine armselige Bauernhütte; die war so baufällig, daß sie selbst nicht wußte, noch welcher Seite sie fallen sollte, und darum blieb sie stehen. der Sturm umsauste das Entlein so, daß es sich niedersetzen mußte, um sich dagegenzustemmen, und es wurde schlimmer und schlimmer. Da bemerkte es, daß die Tür aus der einen Angel gegangen war und so schief hing, daß es durch die Spalte in die Stube hineinschlüpfen konnte, und das tat es.


    Hier wohnte eine Frau mit ihrem Kater und ihrer Henne. Und der Kater, welchen sie "Söhnchen" nannte, konnte einen Buckel machen und schnurren; er sprühte sogar Funken aber dann mußte man ihn gegen die Haare streichen. Die Henne hatte ganz kleine niedrige Beine, und deshalb wurde sie "Küchelchen-Kurzbein" genannt; sie legte gute Eier, und die Frau liebte sie wie ihr eigenen Kind. Am Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein; und der Kater begann zu schnurren und die Henne zu glucken.


    "Was ist das?" sagte die Frau und sah sich rings um; aber sie sah nicht gut, und so glaubte sie, daß das Entlein eine fette Ente sei, die sich verirrt habe. "Das ist ja ein seltener Fang!" sagte sie." Nun kann ich Enteneier bekommen. Wenn es nur kein Enterich ist! Das müssen wir erproben."


    Und so wurde das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen; aber es kamen keine Eier. Und der Kater war Herr im Hause, und die Henne war die Dame, und immer sagte sie: "Wir und die Welt!" Denn sie glaubte, daß sie die Hälfte seien, und zwar bei weitem die beste Hälfte. Das Entlein glaubte, daß man auch eine andere Meinung haben könne; aber das litt die Henne nicht. "Kannst du Eier legen?" fragte sie. "Nein!" "Nun, kann wirst du die Güte haben, zu schweigen!"


    Und der Kater sagte; "Kannst du einen krummen Buckel machen, schnurren und Funken sprühen?" "Nein!" "So darfst du auch keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute reden!" Und das Entlein saß im Winkel und war bei schlechter Laune. Da fiel die frische Luft und der Sonnenschein herein; es bekam solch sonderbare Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, daß es nicht unterlassen konnte, dies der Henne zu sagen.


    "Was fällt dir ein?" fragte die. "Du hast nichts zu tun, deshalb fängst du Grillen! Lege Eier oder schnurre, so gehen sie vorüber." "Aber es ist so schön, auf dem Wasser zu schwimmen!" sagte das Entlein; "So herrlich, es über dem Kopfe zusammenschlagen zu lassen und auf den Grund zu tauchen!"


    "Ja, das ist ein großes Vergnügen!" sagte die Henne. "Du bist wohl verrückt geworden! Frage den Kater danach - er ist das klügste Geschöpf, das ich kenne - ob er es liebt, auf dem Wasser zu schwimmen oder unterzutauchen? Ich will nicht vor mir sprechen. Frage selbst unsere Herrschaft, die alte Frau; klüger als sie ist niemand auf der Welt! Glaubst du, daß die Lust hat, zu schwimmen und das Wasser über dem Kopfe zusammenschlagen zu lassen?"


    "Ihr versteht mich nicht!" sagte das Entlein. "Wir verstehen dich nicht? Wer soll dich denn verstehen können! Du wirst doch wohl nicht klüger sein wollen als der Kater oder die Frau - von mir will ich nicht reden! Bilde dir nichts ein, Kind! Und danke deinem Schöpfer für all das Gute, was man dir erwiesen! Bist du nicht in eine warme Stube gekommen und hast du nicht eine Gesellschaft, von der du etwas profitieren kannst? Aber du bist ein Schwätzer, und es ist nicht erfreulich, mit dir umzugehen! Mir kannst du glauben! Ich meine es gut mit dir. Ich sage die Unannehmlichkeiten, und daran kann man seine wahren Freunde erkennen! Sieh nur zu, daß du Eier legst oder schnurren und Funken sprühen lernst!"


    "Ich glaube, ich gehe hinaus in die weite Welt!" sagte das Entlein. "Ja, tue das!" sagte die Henne. Und das Entlein ging; es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter, aber von allen Tieren wurde es wegen seiner Häßlichkeit übersehen.


    Nun trat der Herbst ein; die Blätter im Walde wurden gelb und braun; der Wind faßte sie, so daß sie umhertanzten; und oben in der Luft war es sehr kalt; die Wolken hingen schwer von Hagel und Schneeflocken; und auf dem Zaun stand der Rabe und schrie: "Au! Au!" vor lauter Kälte, ja, es fror einen schon, wenn man nur daran dachte. Das arme Entlein hatte es wahrlich nicht gut! Eines Abends - die Sonne ging so schön unter! - kam ein ganzer Schwarm herrlicher großer Vögel aus dem Busch; das Entlein hatte solche nie so schön gesehen; sie waren ganz blendend weiß, mit langen, geschmeidigen Hälsen; es waren Schwäne. Sie stießen einen ganz eigentümlichen Ton aus, breiteten ihre prächtigen langen Flügel aus und flogen aus der kalten Gegend fort nach wärmeren Ländern, nach offenen Seen! Sie stiegen so hoch, so hoch, und dem häßlichen jungen Entlein wurde gar sonderbar zumute. Es drehte sich im Wasser wie ein Rad, rundherum, streckte den Hals hoch in die Luft nach ihnen und stieß einen so lauten und sonderbaren Schrei aus, daß es sich selbst davor fürchtete. Oh es konnte die schönen, glücklichen Vögel nicht vergessen; und sobald es sie nicht mehr erblickte, tauchte es unter bis auf den Grund, und als es wieder heraufkam, war es wie außer sich. Es wußte nicht, wie die Vögel hießen, auch nicht, wohin sie flogen; aber doch war es ihnen gut, wie es nie jemandem gewesen. Es beneidete sie durchaus nicht. Wie konnte es ihm einfallen, sich solche Lieblichkeit zu wünschen? Es wäre schon froh gewesen, wenn die Enten es nur unter sich geduldet hätten - das arme häßliche Tier!


    Und der Winter wurde so kalt, so kalt! Das Entlein mußte im Wasser herumschwimmen, um das völlige Zufrieren desselben zu verhindern; aber in jeder Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, kleiner und kleiner. es fror so, daß es in der Eisdecke knackte; das Entlein mußte fortwährend die Beine gebrauchen, damit das Loch sich nicht schloß. Zuletzt wurde es matt, lag ganz still und fror endlich im Eise fest.


    Des Morgens früh kam ein Bauer; da er dies sah, ging er hin, schlug mit seinem Holzschuh das Eis in Stücke und trug das Entlein heim zu seiner Frau. Da kam es wieder zu sich.


    Die Kinder wollten mit ihm spielen; aber das Entlein glaubte, sie wollten ihm etwas zuleide tun, und fuhr in der Angst gerade in den Milchnapf hinein, so daß die Milch in die Stube spritzte. Die Frau schlug die Hände zusammen, worauf es in das Butterfaß, dann hinunter in die Mehltonne und wieder herausflog. Wie sah es da aus! Die Frau schrie und schlug mit der Feuerzange danach; die Kinder rannten einander über den Haufen, um das Entlein zu fangen; sie lachten und schrien; Gut war es, daß die Tür offenstand und es zwischen die Reiser in den frischgefallenen Schnee schlüpfen konnte; dort lag es ganz ermattet.


    Aber all die Not und das Elend, welches das Entlein in dem harten Winter erdulden mußte, zu erzählen, würde zu trübe sein. Es lag im Moor zwischen dem Schild, als die Sonne wieder warm zu seinen begann. Die Lerchen sangen; es war herrlicher Frühling.


    Da konnte auf einmal das Entlein seine Flügel schwingen; sie schlugen stärker als früher und trugen es kräftig davon; und ehe dasselbe es recht wußte, befand es sich in einem großen Garten, wo die Äpfelbäume in der Blüte standen, wo der Flieder duftete und seine langen, grünen Zweige bis zu den gekrümmten Kanälen hinunterneigte. Oh, hier war es so schön, so frühlingsfrisch! Und vorn aus dem Dickicht kamen drei prächtige weiße Schwäne; sie brausten mit den Federn und schwimmen so leicht auf dem Wasser. Das Entlein kannte die prächtigen Tiere und wurde von einer eigentümlichen Traurigkeit befangen.


    "Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln! Und sie werden mich totschlagen, weil ich, der ich so häßlich bin, mich ihnen zu nähern wage. Aber das ist einerlei! Besser, von ihnen getötet als von den Enten gezwackt, von den Hühnern geschlagen, von dem Mädchen, welches den Hühnerhof hütete, gestoßen zu werden und im Winter zu hungern und zu frieren!" Und es flog hinaus in das Wasser und schwamm den prächtigen Schwänen entgegen; diese erblickten es und schossen mit emporegesträubtem Gefieder auf dasselbe los. "Tötet mich nur!" sagte das arme Tier, neigte seinen Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. Aber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein plumper schwarzgrauer Vogel mehr, häßlich und garstig, sondern selbst ein Schwan war. Es schadet nichts, in einem Entenhof geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat!


    Es fühlte sich ordentlich erfreut über all die Not und die Drangsal, welche es erduldet. Nun erkannte es erst recht sein Glück an all der Herzlichkeit, die es begrüßte. Und die großen Schwäne umschwammen es und streichelten es mit dem Schnabel.


    In den Garten kamen einige kleine Kinder, die warfen Brot und Korn in das Wasser; und das kleinste rief: "Da ist ein neuer!" Und die andern Kinder jubelten mit: "Je, es ist ein neuer angekommen!" Und sie klatschten mit den Händen und tanzten umher, liefen zu dem Vater und der Mutter, und es wurde Brot und Kuchen in das Wasser geworfen, und sie sagten alle: "Der neue ist der Schönste: So jung und so prächtig!" Und die alten Schwäne neigten sich vor ihm.


    Da fühlte er sich so beschämt und steckte den Kopf unter seine Flügel; er wußte selbst nicht, was er beginnen sollte, er war allzu glücklich, aber durchaus nicht stolz, denn ein gutes Herz wird nie stolz! Er dachte daran, wie er verfolgt und verhöhnt worden war, und hörte nun alle sagen, daß er der schönste aller schönen Vögel sei. Selbst der Flieder bog sich mit den Zweigen gerade zu ihm in das Wasser hinunter, und die Sonne schien so war und so mild! Da brausten seine Federn, der schlanke Hals hob sich, und aus vollem Herzen jubelte er: "Soviel Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das häßliche Entlein war!"




    H.CH.Andersen

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Der Wind erzählt von Waldemar Daa und seinen Töchtern 


    Wenn der Wind über das Gras dahinläuft, kräuselt es sich wie ein Gewässer, läuft er über die Saaten hin, dann wogen und wallen sie wie die hohe See; dies ist des Windes Tanz; doch der Wind tanzt nicht nur, er erzählt auch, und wie singt er dann alles so recht aus voller Brust heraus, und wie klingt es gar verschieden in des Waldes Wipfeln, durch die Schallöcher und Ritzen und Sprünge der Mauer! Siehst du, wie der Wind dort oben die Wolken jagt, als seien sie eine verängstigte Lämmerherde! Hörst du, wie der Wind hier unten durch das offene Tor heult, als sei er ein Wächter und blase in sein Horn! Mit wunderlichen Tönen saust und pfeift er die Esse herab, in den Kamin hinein; das Feuer flammt und knistert dabei und leuchtet weit in das Zimmer, und warm und gemütlich ist das Stübchen, gar schön sitzt sich's dort, dem Spuk lauschend.


    Lasset den Wind nur erzählen, weiß er doch in Hülle und Fülle Märchen und Geschichten, viel mehr als wir alle insgesamt. Hört einmal zu, wie der Wind erzählt: Huh-uh-usch! Dahingebraust! Das ist der Refrain des Liedes.


    "An den Ufern des Großen Belts, einer der großen Wasserstraßen, die das Kattegatt mit der Ostsee verbinden, liegt ein alter Herrensitz mit dicken, roten Mauern", sagt der Wind; "ich kenne jeden Stein darin, ich habe sie schon damals gesehen, als sie noch zu der Burg des Marks Stig auf der Landzunge gehörten; aber dort mußte der herunter! Die Steine kamen wieder hinaus und wurden zu einer neuen Mauer, einem neuen Herrensitz an einem anderen Ort, sie wurden zum Herrensitz Borreby, wie er jetzt noch steht an der Küste.


    Ich habe sie gekannt, die hochadeligen Herren und Frauen, die wechselnden Geschlechter, die darinnen gehaust haben; jetzt erzähle ich von Waldemar Daa und seinen Töchtern. Wie stolz trug er die Stirn, war er doch von königlichem Geblüt! Er konnte mehr als bloß den Hirsch jagen und den Humpen leeren; das wird sich schon machen", pflegte er zu sagen.


    Seine Gemahlin schritt stolz in goldgewirkten Gewändern über den blanken, getäfelten Fußboden dahin; die Tapeten waren prächtig, die Möbel teuer gekauft, sie waren kunstvoll geschnitzt. Gold- und Silberzeug hatte sie ins Haus gebracht, deutsches Bier lagerte im Keller; schwarze, mutige Hengste wieherten im Stall; reich sah es drinnen im Herrenhause von Borreby aus, damals als der Reichtum noch herrschte.


    Und Kinder waren auch dort: drei feine Jungfräulein, Ida, Johanna und Anna Dorothea; die Namen sind mir noch immer geblieben. Reiche Leute waren es, vornehme Leute, in Herrlichkeit geboren, in Herrlichkeit erzogen! - "Huh-uh-usch! Dahingebraust" sang der Wind, und dann erzählte er weiter:


    "Hier sah ich nicht, wie auf anderen alten Herrensitzen, die hochgeborene Frau unter ihren Mägden im Saale und mit ihnen den Spinnrocken drehen; die schlug die klingenden Saiten der Zither und sag dazu, aber nicht immer die alten dänischen Weisen, sondern Lieder in fremder Sprache. Hier war ein Leben und Lebenlassen, fremde Gäste kamen, herangezogen von nah und fern, die Musik klang, die Becher klangen, ich vermochte nicht, diese Klänge zu übertönen! " sprach der Wind. "Hochmut und Hoffart mit Prunk und Pracht, Herrschaft war da, aber der Herrgott war nicht da!


    Es war gerade am Abend des ersten Maientages", sprach der Wind, "ich kam aus dem Westen, hatte gesehen, wie die Schiffe mit Mann und ´Maus von den Meereswellen zermalmt und an die Westküste Jütlands geworfen wurden, ich war über die Heide und über Jütlands waldumsäumte östliche Küste, über die Insel Fünen dahingejagt und fuhr nun über den Großen Belt, ächzend und pustend.


    Da legte ich mich zum Ruh auf den Strand von Seeland, in der Nähe vom Herrensitz Borreby, wo damals noch der herrlichen Eichenwald prangte.


    Die jungen Knechte aus der Gegend lasen Reisig und Äste unter den Eichen auf; die größten und dürrsten, die sie fanden, trugen sie in das Dorf, türmten sie zu einem Haufen auf, zündeten diesen an, und Knechte und Mägde tanzten singend im Kreise um den flammenden Scheiterhaufen.


    Ich lag ganz ruhig", sagte der Wind, "allein ich berührte leise einen Ast, der von dem schönsten Knecht hinzugetragen worden war, und sein Holz flammte am höchsten, er war der Auserkorene und trug von Stund an den Ehrennamen "Der Maienbock"; er als erster wählte unter den Mägden sein "Maienlämmchen" aus, es war eine Freude, ein Jubel, größer als je da drinnen in den Sälen des reichen Herrensitzes.


    Und auf den Herrensitz zu fuhren die hohe Frau und ihre drei Töchter, sechsspännig in vergoldeter Karosse; und die Töchter waren zart und jung, drei reizende Blumen: Rose, Lilie und die blasse Hyazinthe. Die Mutter war eine prahlende Tulpe, sie dankte nicht einem aus der ganzen Schar der Knechte und Mägde, die im Spiel innehielten und nickend grüßten; man hätte glauben können, die gnädige Frau sei etwas steif im Stengel.


    Rose, Lilie und die blasse Hyazinthe, ja, ich sah sie alle drei! Wessen Maienlämmchen würden sie wohl einst werden, dachte ich; ihr Maienbock wird ein stattlicher Ritter sein, ein Prinz vielleicht! - Huh-uh-usch! Dahingebraust! Hingebraust?


    Ja, die Karosse brauste dahin mit Ihnen, und die Bauersleute brausten im Tanze dahin. Sie ritten den Sommer ein in alle Dörfer der Gegend.


    Aber nachts, als ich mich erhob", sprach der Wind, "legte die hochfürnehme Frau sich nieder, um sich nimmermehr zu erheben, es überkam sie das, was alle Menschen überkommt, das ist nichts Neues.


    Waldemar Daa stand ernst und gedankenschwer eine Weile; der stolzeste Baum kann gebeugt, aber nicht geknickt werden, sprach es in seinem Innern; die Töchter weinten, und alle Leute auf dem Herrensitz trockneten sich die Augen, aber die Frau Daa war dahingefahren - und ich fuhr auch dahin, brauste dahin! Huh-uh-usch!" sprach der Wind.


    Ich kehrte wieder, ich kehrte oft wieder über Fünenland und des Beltes Strand, ließ mich nieder bei Borreby an dem prächtigen Eichenwald; dort nisteten die Fischreiher, die Waldtauben, die blauen Raben und gar der schwarze Storch. Es war Frühjahr, einige hatten noch Eier und brüteten, andere hatten schon die Jungen ausgebrütet. Nein, wie sie aufflogen, wie sie schrieen! Die Axt erklang Schlag auf Schlag, der Wald sollte gefällt werden, Waldemar Daa wollte ein prächtiges Schiff, ein Kriegsschiff, einen Dreidecker bauen, welchen der König sicher kaufen würde, deshalb fiel der Wald, das Wahrzeichen der Seefahrt, der Vögel Obdach. Der Habicht schreckte auf und flog davon, sein Nest wurde zerstört; der Fischreiher und alle Vogel des Waldes wurden heimatlos, sie flogen irrend umher in Ängsten und Zorn, ich verstand es wohl, wie ihnen zumute war. Krähen und Dohlen, schrieen laut wie zum Spott: Krach! Krach! Das Nest kracht! Krah, Krah!


    Weit drinnen im Walde, wo die Schar der Arbeiter tobte, standen Waldemar Daa und seine Töchter; und alle lachten sie bei dem wilden Geschrei der Vögel; nur einer, der jüngsten der Töchter, Anna Dorothea, tat es im Herzen weh, und als man darangehen wollte, auch einen schon fast eingegangenen Baum zu fällen, auf dessen nacktem Gezweig der schwarze Storch sein Nest gebaut hatte und die kleinen jungen Störche die Köpfe hervorstreckten, bat sie um Schonung für die Kleinen und tat es mit nassem Auge, und deshalb ließ man den Baum mit dem Nest des schwarzen Storches stehen. Der Baum war nicht der Rede wert.


    Es wurde gehauen und gesägt, ein Schiff mit drei Verdecken wurde gebaut. Der Baumeister selber war von geringem Holz, aber von bestem Stolz; Augen und Stirn sprachen davon, wie klug er sei, und Waldemar Daa hörte ihn gern erzählen, und auch sein Töchterklein Ida, die älteste, fünfzehnjährige, hörte ihm gern zu, und während er dem Vater ein Schiff baute, baute er sich selber ein Luftschloß, in das er und Ida als Mann und Frau einzögen, was auch geschehen wäre, wenn das Schloß nur aus steinernen Mauern mit Wällen und Gräben und Wald und Park gewesen wäre. Aber seines klugen Kopfes ungeachtet blieb der Meister doch nur ein armer Vogel, und was will überhaupt ein Spatz beim Pfauentanz? Huh-uh-usch! - Ich fuhr davon und er auch, denn bleiben durfte er doch nicht und Idalein verschmerzte es, weil sie es verschmerzen mußte!


    Im Stalle wieherten die stolzen Rappen, sie waren das Anschauen wert, und sie wurden auch angeschaut. Der Admiral, der vom König selber gesandt war, um das neue Kriegsschiff zu besichtigen und dessen Kauf einzuleiten, sprach in lauter Bewunderung von den schönen Pferden; ich hörte das Alles!" sagte der Wind, "ich begleitete die Herren durch die offenen Tür und streute Strohhalme gleich Goldbarren vor ihre Füße. Gold wollte Waldemar Daa, der Admiral wollte die stolzen Rappen, deshalb lobte er sie auch so sehr; allein das wurde nicht verstanden, und darum wurde das Schiff auch nicht gekauft; es blieb auf dem Strande liegen, überdeckt mit Brettern, eine Arche Noah, die nie ins Wasser gelangte. Huh-uh-usch, dahingebraust! Hin! Und das war kläglich!


    Zur Winterzeit, wenn die Felder mit Schnee bedeckt und die Gewässer voll Treibeis waren, das ich auf die Küste hinaufschob", sprach der Wind, "kamen Krähen und Raben, einer schwärzer als der andere, große Scharen, und sie ließen sich auf das Öde, tote, vereinsamte Schiff am Strand nieder und schrieen in heiseren Tönen vom Wald, der dahin war, von den vielen prächtigen Vogelnestern, den heimatlosen Kleinen und alles, alles um des großen Gerümpels, des stolzen Fahrzeugs willen, das nie hinaussegelte.


    Ich machte das Schneegestöber wirbeln, und der Schnee lag wie große Brecher hoch um das Schiff herum, über das Schiff hin! Ich ließ es meine Stimme vernehmen, damit er lerne, was ein Sturm zu sagen hat; gewiß, ich tat das meinige, daß es Schiffskenntnisse bekam. Huh-uh-usch! Fahr dahin!


    Und der Winter fuhr dahin; Winter und Sommer, sie fuhren und fahren, wie ich dahinfahre, wie der Schnee stiebt, die Apfelblüten stieben, das Laub fällt! Dahin, dahin, dahin fahren auch die Menschen!


    Doch die Töchter waren noch jung. Idalein eine Rose, schön zu schauen wie damals, als der Schiffsbaumeister sie sah. Oft faßte ich in ihr langes, braunes Haar, wenn sie im Garten am Apfelbaum stand, sinnend und nicht achtend, daß ich ihr Blüten übers Haar streute und es löste, während sie die rote Sonne und den goldenen Himmelsgrund durch das dunkle Gebüsch und die Bäume des Gartens hindurch anblickte.


    Ihre Schwester war wie die Lilie, glänzend und schlank, Johanna hatte Haltung und Gestalt, wie die Mutter, etwas steif im Stengel. Gar gern durchwandelte sie den großen Saal, wo die Ahnenbilder hingen; die Frauen waren in Sammet und Seide gemalt, ein kleines perlengesticktes, winziges Hütchen auf die Haarflechten gedrückt; da waren schöne Frauen! Die Herren erblickte man dort in Stahl oder in kostbaren Mänteln, die mit Eichhörnchenfell gefüttert waren, sie trugen kleine Halskrausen, und das Schwert war ihnen um die Lende, nicht um die Hüfte geschnallt. Wo würde wohl einst das Bild Johannas dort an der Wand hängen, und wie würde wohl er, der adelige Herr und Gemahl aussehen? Ja, daran dachte sie, davon sprach sie leise in sich hinein, ich hörte es, wenn ich durch den langen Gang in den Saal hineinfuhr und drinnen wieder umkehrte!


    Anna Dorothea, die blasse Hyazinthe, ein vierzehnjähriges Kind nur, war still und versonnen, die großen wasserblauen Augen schauten gedankenschwer drein, aber das Lächeln eines Kindes umspielte noch ihre Lippen, ich konnte es nicht hinwegblasen, und ich wollte es auch nicht.


    Wir begegneten und im Garten, im Hohlweg, auf Feld und Flur; sie sammelte Kräuter und Blumen von denen sie wußte, daß ihr Vater sie zu den Getränken und Tropfen gebrauchte, die er zu destillieren wußte; Waldemar Daa war hochmütig und stolz, aber auch kenntnisreich, und er wußte gar vielen; das war kein Geheimnis, es wurde auch viel davon gemunkelt; das Feuer brannte selbst zur Sommerzeit in seinem Kamin; er schloß die Kammertür ab, während das Feuer Tage und Nächte lang geschürt wurde, aber davon sprach er nicht viel; die Naturkräfte muß man schweigend bannen, er würde schon bald das Beste ausfindig machen - das rote Gold.


    Deshalb rauchte es aus dem Kamin, deshalb knistete und flammte es! Ja, ich war dabei!" erzählte der Wind, "laß fahren! laß fahren! sang ich durch den Schornstein hinab; es wird zu Rauch, Schmauch, Kohle und Asche! Du wirst dich selbst verbrennen! Huh-uh-usch, fahr dahin, fahr dahin! Aber Waldemar Daa ließ es nicht fahren.


    Die prächtigen Rappem im Stall - wo blieben die? Die alten silbernen und goldenen Gefäße in Schränken und Kisten, die Kühe auf dem Feld, Haus und Hof? Ja, die können schmelzen, in dem goldenen Tiegel schmelzen, und geben doch kein Gold.


    Es wurde leer in der Scheune und in der Vorratskammer, im Keller und auf dem Boden. Die Leute nahmen ab, die Mäuse nahmen zu. Eine Fensterscheibe zersprang, eine andere barst, ich brauchte nicht durch die Tür hineinzugehen!" sagte der Wind. "Wo der Schornstein raucht, wird die Mahlzeit gebraten, der Schornstein rauchte, er, der alle Mahlzeiten verschlang, um des roten Goldes willen.


    Ich blies durch das Hoftor, als sei es ein Wächter, der ins Horn blase, aber kein Wächter war da!" sprach der Wind; "ich drehte den Wetterhahn an der Turmspitze, er schnarrte, als wenn der Turmwächter schnarche, aber es war kein Wächter da, Ratten und Mäuse waren da; Armut deckte den Tisch, Armut saß dort im Kleiderschrank und im Küchenschrank; die Tür ging aus den Angeln, Risse und Sprünge kamen zum Vorschein, ich ging dort aus, ich ging dort ein", sprach der Wind, "deshalb weiß ich auch Bescheid über alles!


    In Rauch und Asche, in Kummer und in schlafloser Nacht ergraute das Haar im Bart und um die Schläfen, die Haut erblaßte und vergilbte, die Augen schauten gierig nach Gold, nach dem ersehnten Gold.


    Ich blies ihm Rauch und Asche in Gesicht und Bart, Schulden statt Gulden, kamen heraus. Ich sang durch die zersprungenen Fensterscheiben und die klaffenden Mauerritzen hindurch, ich blies hinein in die Truhen der Töchter, in welchen die Kleider verblaßt, fadenscheinig dalagen, weil sie immer und immer wieder getragen werden mußten. Dies Lied war den Kindern nicht an der Wiege gesungen! Aus dem Herrenleben wurde ein Kummerleben! Ich allein jubelte laut im Schloß", sprach der Wind. "Ich schneite sie ein, das macht warm, sagt man; Holz hatten sie nicht, der Wald war umgehauen, aus dem sie es hätten herbeiholen können. Es war schneidender Frost; ich schwang mich durch Schallöcher und Gänge, über Giebel und Mauern, damit ich flink bliebe. Drinnen lagen sie im Bett, der Kälte wegen, die adeligen Töchter, der Papa kroch unter das lederne Deckbett. Nichts zu beißen, nichts zu brechen, kein Feuer im Kamin, das ist ein Herrenleben! Huh-uh-usch! Laß fahren! Doch das konnte Herr Daa nicht, er konnte es nicht lassen!


    Nach dem Winter kommt der Frühling!", sagte er, "nach der Not kommen die guten Zeiten, man muß nur nicht die Geduld verlieren, man muß sie erwarten können! Jetzt ist Haus und Hof verpfändet, jetzt ist es die äußerste Zeit - und alsdann wird das Gold schon kommen! Zu Ostern!"


    Ich hörte, wie er in das Gewebe der Spinne hineinsprach: "Du flinker kleiner Weber! Du lehrst mich ausharren! Zerreißt man dein Gespinst, so beginnst du wieder von neuem und vollendest es! wieder zerrissen - und unverdrossen gehst du wieder an die Arbeit, von neuem! von neuem! Das ist es, war wir tun müssen, und das wird belohnt."


    Es war am Ostermorgen, die Glocken klangen herüber von der nahen Kirche, die Sonne tanzte am Himmel. In Fieberwallung hatte er die Nacht durchwacht, hatte geschmolzen und abgekühlt, gemischt und destilliert. Ich hörte ihn seufzen wie eine verzweifelte Seele, ich hörte ihn beten, ich vernahm, wie er seinen Atem anhielt. Die Lampe war ausgebrannt, er bemerkte es nicht; ich blies das Kohlenfeuer an, es warf den roten Schein in sein kreideweißes Antlitz, das dadurch Farbe bekam, die Augen starrten zusammengekniffen aus ihren tiefen Höhlen heraus - doch nun wurden sie größer und größer -, als wollten sie zerspringen."


    "Seht das alchimistische Glas! Es glänzt in dem Glas, glühend, pur und schwer!" Er hob es mit zitternder Hand, er rief mit zitternder Zunge: "Gold! Gold!"


    Ihm schwindelte dabei, ich hätte ihn umblasen können", erzählte der Wind, "allein ich fachte nur die glühenden Kohlen an, begleitete ihn durch die Tür hinein, wo die Töchter saßen und froren. Sein Rock war mit Asche bestreut, Asche hin in seinem Bart, in seinem verworrenen Haar. Er richtete sich hoch auf, hob seinen reichen Schatz in dem zerbrechlichen Glas empor: "Gefunden! Gewonnen! - Gold!" rief er und hielt das Glas hoch in die Höhe, daß es in den Sonnenstrahlen blitzte; uns seine Hand zitterte, und das alchimistische Glas fiel klingend zu Boden und zersprang in tausend Stücke, zerplatzt war die letzte Blase seines Glückes. Huh-uh-usch! Dahingefahren! Und ich fuhr davon vom Herrenhof des Goldmachers.


    Im Spätherbst, in den kurzen Tagen, wenn der Nebel kommt und nasse Tropfen auf die roten Beeren und die entblätterten Zweige setzt, kehrte ich zurück in frischer Stimmung, jagte durch die Luft, fegte den Himmel rein und knickte die dürren Zweige, was freilich keine große Arbeit ist, aber es muß getan werden. Da wurde auch in anderer Weise reingefegt auf dem Herrensitz Borreby bei Waldemar Daa. Sein Feind, Owe Ramel von Basnäs war dort, in der Tasche den Schuldbrief über Haus und Hof und alles, was sich im Hause befand. Ich trommelte an die zersprungenen Fensterscheiben, schlug mit den alten morschen Türen, pfiff durch Ritzen und Spalten: Huh-ih! - Herr Owe sollte nicht gerade Lust verspüren, dazubleiben. Ida und Anna Dorothea weinten bitterlich; Johanna stand stolz und blaß da, biß sich in den Daumen, daß er blutete, das sollte was helfen! Owe Ramel gestattete Herrn Daas bis ans Ende seines Lebens auf dem Herrenhof zu bleiben, aber man dankte ihm nicht für sein Anerbieten; ich lauschte genau darauf; ich sah den obdachlosen Herrn seinen Kopf stolzer erheben und empor werfen, und ich warf mich dermaßen gegen das Haus und die alten Linden, daß einer der dicksten Zweige bracht, der nicht verdorrt war; der Zweig blieb an der Einfahrt liegen, ein Reisigbesen, wenn jemand auskehren wollte, und ausgekehrt wurde dort; ich dachte es mir wohl.


    Es war ein harter Tag, um Haltung zu bewahren, aber der Sinn war hart. Nichts konnten sie ihr Eigentum nennen, außer was sie an Kleidern am Leib trugen; und doch etwas; das alchimistische Glas, ein neues, das kürzlich gekauft und mit dem angefüllt worden war, was man als verschüttet vom Boden wieder aufgelesen hatte, dem Schatz, der viel versprach, aber sein Versprechen nicht hielt. Waldemar Daa verbarg des Glas an seiner Brust, nahm darauf seinen Stock zur Hand, und der einst so reiche Herr wanderte mit seinen drei Töchtern aus dem Herrensitz Borreby. Ich blies kalt auf seine heißen Wangen, ich strich seinen grauen Bart, sein langes weißes Haar, ich sang,, wie ich es eben verstand: Huh-uh-usch! Dahingefahren! Dahingefahren! Fahren! Das war das Ende der reichen Herrlichkeit.


    Ida schritt an der einen Seite, Anna Dorothea an der anderen Seite des alten Mannes dahin: Johanna wandte sich an der Einfahrt um - wozu? Das Glück wollte sich doch nicht wenden. Sie blickte auf das rote Gemäuer der alten Burg des Marsk Stig, dachte sie vielleicht an dessen Töchter?



    Die Älteste reicht der Jüngsten die Hand,
    und weit sie fuhren ins fremde Land.



    Dachte sie an dieses alte Lied? Hier waren sie ihrer drei, und auch der Vater war dabei. Sie schritten den Weg entlang, wo sie einst dahingefahren waren in der reichen Karosse; sie gingen den Bettlergang mit dem Vater, wanderten hinaus auf das offenen Feld, auf die Heide in die Lehmhütte, die sie für anderthalb Taler jährlich Mietzins erstanden hatten, in den neuen Herrensitz mit leeren Wänden und leeren Gefäßen, Krähen und Dohlen flogen über die dahin und schrieen wie zum Spott: "Krah, krah, aus dem Nest! Krah, krah!" wie sie es geschrieen im Wald bei Borreby, als die Bäume gefällt wurden.


    Herr Daa und seine Töchter hörten es schon; ich strich ihnen um die Ohren, was sollten sie auch viel noch horchen!


    Und sie zogen hinein in die Lehmhütte auf dem offenen Feld, und ich fuhr dahin über Moor und Feld, durch nacktes Gebüsch und entblätterte Wälder, den offenen Gewässern zu, freien Stranden, anderen Landen, huh-uh-usch! Dahingefahren! Fahren! Jahraus, jahrein!"


    Wie erging es Waldemar Daa? Wie erging es seinen Töchtern? Der Wind erzählt es:


    "Die, welche ich zuletzt sah, ja zum letztenmal, war Anne Dorothea, die blasse Hyazinthe, damals war sie alt und gebeugt, es war ein halbes Jahrhundert später. Sie blieb länger am Leben als die anderen, sie wußte alles.


    Drüben auf der Heide, bei der alten jütländischen Kreisstadt Wiborg, lag das neue schöne Haus des Dompropstes aus roten Mauersteinen mit gezacktem Giebel; der Rauch quoll dicht aus dem Schornstein heraus. Die sanfte Frau Propstin und die holden Töchter saßen im Erker und schauten über das hängende Hagedorngebüsch des Gartens hinaus in die braune Heide. Wonach schauten sie? Ihre Blicke blieben an dem Storchennest draußen auf der baufälligen Hütte haften; das Dach bestand aus Moos und Laub, soweit überhaupt ein Dach da war, am meisten deckte das Nest des Storches, und das allein wurde auch instand gehalten, der Storch hielt es instand.


    Das war ein Haus zum Anschauen, nicht zum Anfassen, ich mußte behutsam damit umgehen!" sagte der Wind. "Um des Storchennestes willen ließ man das Häuschen noch stehen, es verunstaltete sonst die Heidelandschaft. den Storch wollte man nicht wegjagen, deshalb ließ man die Hütte stehen, und die Arme, die darin wohnte, konnte denn auch da wohnen bleiben; das hatte sie dem ägyptischen Vogel zu verdanken, oder war es vielleicht Vergeltung, weil sie einst Fürbitte für das Nest seines schwarzen Bruders im Wald bei Borreby getan hatte? Damals war sie, die Arme, ein junges Kind, eine zarte, blasse Hyazinthe in dem adeligen Garten. Sie erinnerte sich alles dessen, Anna Dorothea."


    "Oh! oh!" - - "Ja, die Menschen können seufzen, wie es der Wind tut im Schilf und im Röhricht. Oh! - keine Glocken läuteten bei deinem Begräbnis, Waldemar Daa! Die armen Schulknaben sangen nicht, als der ehemalige Herr zu Borreby in die Erde gebettet ward! - Oh! Alles hat doch ein Ende, auch das Elend! - Schwester Ida wurde das Weib eines Bauern! Das war unserem Vater die härteste Prüfung! Der Mann der Tochter ein elender Leibeigener, der vom Gutsherrn aufs hölzerne Pferd gebracht werden konnte! Jetzt ist er wohl unter der Erde? Und auch du, Ida? - O ja! O ja! Es ist doch noch nicht zu Ende, ich Arme! Vergönne mir zu sterben, reicher Christ!"


    Das war Anna Dorotheas Gebet in der elenden Hütte, die man noch des Storches wegen stehen ließ.


    Der flinksten der Schwestern nahm ich mich an!" sprach der Wind, mannhaft war ihr Sinn, und in Manneskleidern, als Knecht, verdingte sie sich an Bord eines Schiffes; wie war karg mit Worten, finster von Gesicht, aber willig bei ihrer Arbeit; doch das Klettern verstand sie nicht - so blies ich sie denn über Bord, ehe noch jemand erfuhr, daß sie ein Weib war, und das war meiner Ansicht nach gut gemacht!" sagte der Wind.


    "An einem Ostermorgen wie damals, als Waldemar Daa wähnte, er habe das rote Gold gefunden, vernahm ich Psalmenklänge unter dem Strochennest, zwischen den mörschen Wänden, es war Anna Dorotheas letztes Lied.


    Ein Fenster war nicht da, nur ein Loch in der Wand. Die Sonne kam herauf, einem Goldklumpen gleich, und setzte sich hinein. Das war ein Glanz! Ihre Augen brachen, ihr Herz brach! Das hätten sie auch getan, wenn die Sonne an jedem Morgen nicht auf Anna Dorothea geschienen hätte.


    Der Storch deckte ihre Hütte bis zu ihrem Tod! Ich sang an ihrem Grab!" sprach der Wind, "ich sang am Grab ihres Vaters, ich weiß, wo sein Grab und auch wo das ihrige ist, das weiß sonst niemand.


    Neue Zeiten, andere Zeiten! Die alte Heerstraße führt in das umzäunte Feld; wo die gehegten Gräber lagen, schlängelt sich die Landstraße, und bald kommt der Dampf mit seiner Wagenreihe und braust über die Gräber hin, die vergessen sind wie die Namen, huh-uh-usch! Dahingefahren!


    Das ist die Geschichte von Waldemar Daa und seinen Töchtern. Erzählt sie besser, ihr anderen, wenn ihr könnt!" sprach der Wind und drehte sich. Dahin war er.


    H.CH.ANDERSEN

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • Der silberne Schilling



    Es war einmal ein Schilling, blank ging er aus der Münze hervor, sprang und klang. "Hurra! Jetzt geht's in die weite Welt hinaus!" Und er kam freilich in die weite Welt hinaus.


    Das Kind hielt ihn mit warmen Händen, der Geizige mit kalten, krampfhaften Händen; der Ältere wendete und drehte ihn Gott weiß wie viele Male, während die Jugend ihn gleich wieder rollen ließ. Der Schilling war aus Silber, hatte sehr wenig Kupfer an sich und befand sich bereits ein ganzes Jahr in der Welt, das heißt in dem Land, in dem er geprägt worden war. Eines Tages aber ging er auf Reisen ins Ausland; er war die letzte Landesmünze im Geldbeutel, den ein reisender Herr bei sich hatte, der Herr wußte selber nicht, daß er den Schilling noch hatte, bis er ihm unter die Finger kam. "Hier habe ich ja noch einen Schilling aus der Heimat!" sagte er, "nun, der kann die Reise mitmachen!" und der Schilling klang und sprang vor Freude, als er ihn wieder in den Beutel steckte. Hier lag er nun bei fremden Kameraden, die kamen und gingen, einer machte dem anderen Platz, aber der Schilling aus der Heimat blieb immer im Beutel, das war eine Auszeichnung.


    Mehrere Wochen waren schon verstrichen, und der Schilling war weit in die Welt hinausgelangt, ohne daß er doch eigentlich wußte, wo er sich befand; zwar erfuhr er von den anderen Münzen, daß sie französische und italienische seien. Eine sagte, sie seien jetzt in dieser Stadt, eine andere sagte, in jener, allein der Schilling konnte sich keine Vorstellung von alledem machen; man sieht nichts von der Welt, wenn man immer im Sack steckt, und das war ja sein Los. Doch eines Tages, wie er so dalag, bemerkte er, daß der Geldbeutel nicht zugemacht war, und so schlich er sich bis an die Öffnung vor, um ein wenig hinauszuschauen; das hätte er nun freilich nicht tun sollen, er war aber neugierig und das rächt sich; er glitt hinaus in die Hosentasche, und als abends der Geldbeutel herausgenommen wurde, lag der Schilling noch da, wo er hingerutscht war, und kam mit den Kleidern auf den Vorplatz hinaus; dort fiel er sogleich auf den Fußboden, niemand hörte das, niemand sah das.


    Am anderen Morgen wurden die Kleider wieder in das Zimmer getragen, der Herr zog sie an, reiste weiter, und der Schilling blieb zurück, er wurde gefunden, sollte wieder Dienste tun, und ging mit drei anderen Münzen aus. "Es ist doch angenehm, sich in der Welt umzuschauen", dachte der Schilling, "Andere Menschen, andere Sitten kennenzulernen."


    "Was ist das für ein Schilling!" hieß es in demselben Augenblick. "Das ist keine Landesmünze! Der ist falsch! Der taugt nichts!"


    Ja, nun beginnt die Geschichte des Schillings, wie er sie später selber erzählte. "Falsch! Taugt nichts! - Dies ging mir durch und durch", erzählte der Schilling. "Ich wußte, ich war von gutem Klang und hatte ein echtes Gepräge. Die Leute mußten sich jedenfalls irren, mich konnten sie nicht meinen, aber sie meinten mich doch! Ich war es, den sie falsch nannten; ich taugte nichts.


    "Den muß ich im Dunkeln ausgeben!" sagte der Mann, der mich erhalten hatte, und ich wurde im Dunkeln ausgegeben und am hellen Tag wieder ausgeschimpft. "Falsch, taugt nichts! Wir müssen machen, daß wir ihn los werden!"


    Und der Schilling zitterte zwischen den Fingern der Leute jedesmal, wenn er heimlich fortgeschafft wurde und als Landesmünze gelten sollte. "Ich elender Schilling! Was hilft mir mein Silber, mein Wert, mein Gepräge, wenn das alles keine Geltung hat! In den Augen der Welt ist man eben das, was die Welt von einem hält! Es muß entsetzlich sein, ein böses Gewissen zu haben, sich auf bösen Wegen umherzuschleichen, wenn mir, der ich doch ganz unschuldig bin, schon so zumute sein kann, weil ich bloß das Aussehen habe! Jedesmal, wenn man mich hervorsuchte, schauderte ich vor den Augen, die mich ansehen würden, wußte ich doch, daß ich zurückgestoßen, auf den Tisch hingeworden werden würde, als sei ich Lug und Trug. Einmal kam ich zu einer alten, armen Frau, sie erhielt mich als Tagelohn für harte Arbeit, allein sie konnte mich nun gar nicht wieder los werden. Niemand wollte mich annehmen, ich war der Frau ein wahres Unglück. "Ich bin wahrhaftig gezwungen, jemanden mit dem Schilling anzuführen", sagte sie, "ich kann mit dem besten Willen einen falschen Schilling nicht aufheben; der reiche Bäcker soll ihn haben, er kann es am besten verschmerzen - aber unrecht ist es trotzdem, daß ich's tue".


    "Auch das Gewissen der Frau muß ich noch obendrein belasten!" seufzte es in dem Schilling. "Habe ich mich denn auf meine alten Tage wirklich so verändert?"


    "Und die Frau begab sich zu dem reichen Bäcker, aber der kannte gar zu gut die gängigen Schillinge, als daß er mich hätte behalten wollen, er warf mich der Frau gerade ins Gesicht, Brot bekam sie für mich nicht, und ich fühlte mich so recht von Herzen betrübt, daß ich solchergestalt zu anderer Ungemach geprägt worden war, ich, der ich in meinen jungen Tagen so freudig und sicher mir meines Wertes und echten Gepräges bewußt gewesen war! So recht traurig wurde ich, wie es ein armer Schilling werden kann, wenn niemand ihn haben will. Die Frau nahm mich aber wieder mit nach Hause, sie betrachtete mich mit einem herrlichen, freundlichen Blick und sagte: "Nein, ich will niemanden mit dir anführen! Ich will ein Loch durch dich schlagen, damit jedermann sehen kann, daß du ein falsches Ding bist, und doch - das fällt mir jetzt so ein - du bist vielleicht gar ein Glücksschilling, kommt mir doch der Gedanke so ganz von selber, so daß ich daran glauben muß! Ich werde ein Loch durch den Schilling schlagen und eine Schnur durch das Loch ziehen und dem Kleinen der Nachbarsfrau den Schilling um den Hals als Glücksschilling hängen." Und sie schlug ein Loch durch mich; angenehm ist es freilich nicht, wenn ein Loch durch einen geschlagen wird, allein wenn es in guter Absicht geschieht, läßt sich vieles ertragen! Eine Schnur wurde auch durchgezogen, ich wurde eine Art Medaillon zum Tragen, man hing mich um den Hals des kleinen Kindes, und das Kind lächelte mich an, küßte mich, und ich ruhte eine ganze Nacht an der warmen, unschuldigen Brust des Kindes.


    Als es Morgen ward, nahm die Mutter mich zwischen ihre Finger, sah mich an und hatte so ihre eigenen Gedanken dabei, das fühlte ich bald heraus. Sie suchte eine Schere hervor und schnitt die Schnur durch.


    "Glücksschilling!" sagte sie. "Ja, das werden wir jetzt erfahren!" Und sie legte mich in Essig, bis ich ganz grün wurde, darauf kittete sie das Loch zu, rieb mich ein wenig und ging nun in der Dämmerstunde zum Lotterieeinnehmer, um sich ein Los zu kaufen, das Glück bringen sollte.


    Wie war mir übel zumute! Es zwickte in mir, als müßte ich zerknicken, ich wußte, daß ich falsch genannt und hingeworfen werden würde, und zwar gerade vor die Menge von Schillingen und Münzen, die mit Inschrift und Gesicht dalagen, auf welche sie stolz sein konnten; aber ich entging der Schande; beim Einnehmer waren viele Menschen, er hatte gar viel zu tun, und ich fuhr klingend in den Kasten unter die anderen Münzen ob später das Los gewann, weiß ich nicht, das aber weiß ich, daß ich schon am andern Morgen als ein falscher Schilling erkannt, auf die Seite gelegt und ausgesandt wurde, um zu betrügen und immer zu betrügen. Es ist nicht auszuhalten, wenn man einen redlichen Charakter hat, und den kann ich mir selber nicht absprechen.


    Jahr und Tag ging ich in solcher Weise von Hand zu Hand, von Haus zu Haus, immer ausgeschimpft, immer ungern gesehen; niemand traute mir, und ich traute mir selber, traute der Welt nicht, das war eine schwere Zeit! Da kam eines Tages ein Reisender, ein Fremder an, bei dem wurde ich angebracht, und er war treuherzig genug, mich für gängige Münze anzunehmen; aber nun wollte er mich abermals ausgeben, und ich vernahm wieder die Ausrufe: "Taugt nichts" Falsch!"


    "Ich habe ihn für echt erhalten", sagte der Mann und betrachtete mich dabei recht genau; plötzlich lächelte er über sein ganzes Gesicht, das geschah sonst bei keinem Gesicht, wenn man mich betrachtete. "Nein, was ist doch das!" sagte er. "Das ist ja eine unserer Landesmünzen, ein guter, ehrlicher Schilling aus der Heimat, durch den man ein Loch geschlagen hat, den man falsch nennt. Das ist in der Tat kurios! Dich werde ich mit nach Hause nehmen!"


    Die Freude durchrieselte mich, man hieß mich einen guten, ehrlichen Schilling, und in die Heimat sollte ich zurückkehren, wo jedermann mich erkennen und wissen würde, daß ich aus gutem Silber war und echtes Gepräge hatte. Ich hätte vor Freude Funken schlagen können, aber es liegt nun einmal nicht in meiner Natur, zu sprühen, das kann wohl der Stahl, nicht aber das Silber.


    Ich wurde in feines, weißes Papier eingewickelt, damit ich nicht mit den anderen Münzen verwechselt werden und abhanden kommen konnte, und bei festlichen Gelegenheiten, wenn Landsleute sich begegneten, wurde ich vorgezeigt, und es wurde sehr gut von mir gesprochen; sie sagten, ich sei interessant; es ist freilich merkwürdig, daß man interessant sein kann, ohne ein einziges Wort zu sagen.


    Und endlich kam ich in die Heimat an! All meine Not hatte ein Ende, die Freude kehrte wieder bei mir ein, war ich doch aus gutem Silber, hatte das echte Gepräge! Und gar keine Widerwärtigkeiten hatte ich mehr auszustehen, obgleich man das Loch durch mich geschlagen hatte, weil ich als falsch galt, doch das tut nichts, wenn man es nur nicht ist! Man muß ausharren, alles kommt schließlich mit der Zeit zu seinem Recht! Das ist mein Glaube", sagte der Schilling.



    H.CH.ANDERSEN

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • Rosenblüthchen und Hyacinth


    [Blockierte Grafik: http://camassia.info/images/bilder/rosenbl.jpg][Blockierte Grafik: http://camassia.info/images/bilder/hyaz.jpg]


    Unter den Mädchen war Eine, ein köstliches, bildschönes Kind,
    sah aus wie Wachs, Haare wie goldne Seide, kirschrothe Lippen,
    wie ein Püppchen gewachsen, brandrabenschwarze Augen.
    Wer sie sah, hätte mögen vergehn, so lieblich war sie.
    Damals war Rosenblüthe, so hieß sie, dem bildschönen Hyacinth, so hieß er,
    von Herzen gut, und er hatte sie lieb zum Sterben.
    Die andern Kinder wußtens nicht.
    Ein Veilchen hatte es ihnen zuerst gesagt,
    die Hauskätzchen hatten es wohl gemerkt,
    die Häuser ihrer Eltern lagen nahe beisammen.
    Wenn nun Hyacinth die Nacht an seinem Fenster stand
    und Rosenblüthe an ihrem,
    und die Kätzchen auf dem Mäusefang da vorbeyliefen,
    da sahen sie die Beiden stehn,
    und lachten und kickerten oft so laut,
    daß sie es hörten und böse wurden.
    Das Veilchen hatte es der Erdbeere im Vertrauen gesagt,
    die sagte es ihrer Freundinn der Stachelbeere,
    die ließ nun das Sticheln nicht, wenn Hyacinth gegangen kam;
    so erfuhrs denn bald der ganze Garten und der Wald,
    und wenn Hyacinth ausging, so riefs von allen Seiten:
    Rosenblüthchen ist mein Schätzchen!"


    Nun ärgerte sich Hyacinth, und mußte doch auch wieder
    aus Herzensgrunde lachen, wenn das Eidexchen geschlüpft kam,
    sich auf einen warmen Stein setzte, mit dem Schwänzchen wedelte und sang:



    "Rosenblüthchen, das gute Kind,
    Ist geworden auf einmal blind,
    Denkt, die Mutter sey Hyacinth,
    Fällt ihm um den Hals geschwind;
    Merkt sie aber das fremde Gesicht,
    Denkt nur an, da erschrickt sie nicht,
    Fährt, als merkte sie kein Wort,
    Immer nur mit Küssen fort".


    Ach! Wie bald war die Herrlichkeit vorbey.
    Es kam ein Mann aus fremden Landen gegangen, der war erstaunlich weit gereist,
    hatte einen langen Bart, tiefe Augen, entsetzliche Augenbrauen,
    ein wunderliches Kleid mit vielen Falten und seltsame Figuren hineingewebt.
    Er setzte sich vor das Haus, das Hyacinths Eltern gehörte.
    Nun war Hyacinth sehr neugierig, und setzte sich zu ihm und holte ihm Brod und Wein.
    Da that er seinen weißen Bart von einander und erzählte bis tief in die Nacht, und Hyacinth wich und wankte nicht, und wurde auch nicht müde zuzuhören. So viel man nachher vernahm, so hat er viel von fremden Ländem, unbekannten Gegenden, von erstaunlich wunderbaren Sachen erzählt,
    und ist drey Tage dageblieben,
    und mit Hyacinth in tiefe Schachten hinuntergekrochen.



    Rosenblüthchen hat genug den alten Hexenmeister verwünscht,
    denn Hyacinth ist ganz versessen auf seine Gespräche gewesen,
    und hat sich um nichts bekümmert;
    kaum daß er ein wenig Speise zu sich genommen.
    Endlich hat jener sich fortgemacht, doch dem Hyacinth ein Büchelchen dagelassen, das kein Mensch lesen konnte.
    Dieser hat ihm noch Früchte, Brod und Wein mitgegeben,
    und ihn weit weg begleitet. Und dann ist er tiefsinnig zurückgekommen,
    und hat einen ganz neuen Lebenswandel begonnen.
    Rosenblüthchen hat recht zum Erbarmen um ihn gethan,
    denn von der Zeit an hat er sich wenig aus ihr gemacht
    und ist immer für sich geblieben.


    Nun begab sichs, daß er einmal nach Hause kam und war wie neugeboren.
    Er fiel seinen Eltern um den Hals, und weinte.
    "Ich muß fort in fremde Lande, sagte er, die alte wunderliche Frau im Walde hat mir erzählt, wie ich gesund werden müßte, das Buch hat sie ins Feuer geworfen, und hat mich getrieben, zu euch zu gehn
    und euch um euren Segen zu bitten.
    Vielleicht komme ich bald, vielleicht nie wieder.
    Grüßt Rosenblüthchen. Ich hätte sie gern gesprochen, ich weiß nicht, wie mir ist, es drängt mich fort; wenn ich an die alten Zeiten zurück denken will,
    so kommen gleich mächtigere Gedanken dazwischen, die Ruhe ist fort,
    Herz und Liebe mit, ich muß sie suchen gehn.
    Ich wollt‘ euch gern sagen, wohin, ich weiß selbst nicht,
    dahin wo die Mutter der Dinge wohnt, die verschleyerte Jungfrau.
    Nach der ist mein Gemüth entzündet. Lebt wohl".
    Er riß sich los und ging fort.
    Seine Eltern wehklagten und vergossen Thränen.



    Rosenblüthchen blieb in ihrer Kammer und weinte bitterlich.


    Hyacinth lief nun was er konnte, durch Thäler und Wildnisse,
    über Berge und Ströme, dem geheimnissvollen Lande zu. Er fragte überall nach der heiligen Göttin (Isis), Menschen und Thiere, Felsen und Bäume. Manche lachten manche schwiegen, nirgends erhielt er Bescheid.
    Im Anfange kam er durch rauhes, wildes Land,
    Nebel und Wolken warfen sich ihm in den Weg, es stürmte immerfort;
    dann fand er unabsehliche Sandwüsten, glühenden Staub,
    und wie er wandelte, so veränderte sich auch sein Gemüth,
    die Zeit wurde ihm lang und die innre Unruhe legte sich,
    er wurde sanfter und das gewaltige Treiben in ihm allgemach
    zu einem leisen, aber starken Zuge,
    in den sein ganzes Gemüth sich auflöste.
    Es lag wie viele Jahre hinter ihm.
    Nun wurde die Gegend auch wieder reicher und mannigfaltiger,
    die Luft lau und blau, der Weg ebener,
    grüne Büsche lockten ihn mit anmuthigem Schatten,
    aber er verstand ihre Sprache nicht, sie schienen auch nicht zu sprechen,
    und doch erfüllten sie auch sein Herz mit grünen Farben und kühlem, stillem Wesen.
    Immer höher wuchs jene süße Sehnsucht in ihm,
    und immer breiter und saftiger wurden die Blätter,
    immer lauter und lustiger die Vögel und Thiere,
    balsamischer die Früchte, dunkler der Himmel,
    wärmer die Luft, und heißer seine Liebe, die Zeit ging immer schneller,
    als sähe sie sich nahe am Ziele.



    Eines Tages begegnete er einem krystallnen Quell und einer Menge Blumen,
    die kamen in ein Thal herunter zwischen schwarzen himmelhohen Säulen.
    Sie grüßten ihn freundlich mit bekannten Worten.
    "Liebe Landsleute", sagte er,
    "wo find‘ ich wohl den geheiligten Wohnsitz der Isis?
    Hier herum muß er seyn, und ihr seid vielleicht hier bekannter, als ich".
    "Wir gehn auch nur hier durch", antworteten die Blumen;
    "eine Geisterfamilie ist auf der Reise und wir bereiten ihr Weg und Quartier,
    indeß sind wir vor kurzem durch eine Gegend gekommen,
    da hörten wir ihren Namen nennen.
    Gehe nur aufwärts, wo wir herkommen, so wirst du schon mehr erfahren".
    Die Blumen und die Quelle lächelten, wie sie das sagten,
    boten ihm einen frischen Trunk und gingen weiter.


    Hyacinth folgte ihrem Rath, frug und frug und kam endlich zu jener längst gesuchten Wohnung,
    die unter Palmen und anderen köstlichen Gewächsen versteckt lag.
    Sein Herz klopfte in unendlicher Sehnsucht,
    und die süßeste Bangigkeit durchdrang ihn in dieser Behausung der ewigen Jahreszeiten.
    Unter himmlischen Wohlgedüften entschlummerte er,
    weil ihn nur der Traum in das Allerheiligste führen durfte.
    Wunderlich führte ihn der Traum durch unendliche Gemächer voll seltsamer Sachen auf lauter reitzenden Klängen und in abwechselnden Accorden.
    Es dünkte ihm alles so bekannt und doch in niegesehener Herrlichkeit,
    da schwand auch der letzte irdische Anflug, wie in Luft verzehrt,
    und er stand vor der himmlischen Jungfrau,
    da hob er den leichten, glänzenden Schleyer,
    und Rosenblüthchen sank in seine Arme.




    Novalis

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

    Einmal editiert, zuletzt von Abbi ()

  • Der selbstsüchtige Riese


    Wenn die Kinder am Nachmittag aus der Schule kamen,
    gingen sie für gewöhnlich in den Garten des Riesen, um dort zu spielen.
    Es war ein großer, wunderschöner Garten mit weichem grünen Gras.
    Hier und da standen prächtige Blumen sternengleich auf der Wiese, außerdem zwölf Pfirsichbäume, die im Frühjahr zarte Blüten in rosa und perlweiß hervorbrachten
    und im Herbst reiche Frucht trugen. Die Vögel saßen in den Bäumen und sangen so lieblich,
    daß die Kinder im Spiel innehielten, um ihnen zuzuhören.
    "Wie glücklich sind wir doch hier!",
    riefen sie einander zu. Eines Tages kam der Riese zurück.
    Er hatte seinen Freund besucht, den Menschenfresser von Cornwall,
    und er war sieben Jahre lang bei ihm geblieben.
    Nachdem die sieben Jahre vergangen waren,
    hatte der Riese all das gesagt, was zu sagen war; seine Gesprächsbereitschaft war nämlich begrenzt, und so entschied er sich dafür, in sein eigenes Schloss zurückzukehren.
    Als er dort ankam, sah er die Kinder in seinem Garten spielen.
    "Was macht ihr hier?",
    schrie er mit äußerst mürrischer Stimme und die Kinder liefen verängstigt davon.
    "Mein eigener Garten ist immer noch mein eigener Garten",
    sagte der Riese, "das muss jeder einsehen,
    und ich werde niemals jemandem außer mir selbst erlauben, darin zu spielen".
    Und so errichtete er eine hohe Mauer rings um den Garten
    und stellte ein Warnschild mit den folgenden Worten auf:
    "Unbefugten ist der Zutritt bei Strafe verboten!"
    Er war wirklich ein sehr selbstsüchtiger Riese.
    Die armen Kinder hatten von nun an keinen Ort mehr, wo sie spielen konnten.
    Sie versuchten auf der Straße zu spielen, aber diese war sehr staubig und voll mit spitzen Steinen,
    und das gefiel den Kindern nicht.
    Immer wieder schlenderten sie nach dem Unterricht um die hohe Mauer herum
    und sprachen von dem herrlichen Garten, der dahinter verborgen lag. "
    Wie glücklich waren wir doch dort", sagten sie zueinander.



    Dann kam der Frühling und überall - landauf, landab -
    waren kleine Blüten zu sehen, und junge Vögel zwitscherten vergnügt.
    Nur im Garten des selbstsüchtigen Riesen war immer noch Winter.
    Die Vögel wollten dort nicht singen und die Bäume vergaßen zu blühen,
    weil keine Kinder mehr da waren.
    Einmal streckte eine wunderschöne Blume ihren Kopf aus dem Gras heraus,
    aber als sie das Hinweisschild sah, hatte sie so großes Mitleid mit den Kindern,
    daß sie sich sofort wieder in den Boden zum Schlafen zurückzog.
    Die einzigen, denen der Garten noch gefiel, waren der Schnee und der Frost.
    "Der Frühling hat diesen Garten vergessen", riefen sie erfreut,
    "wir werden das ganze Jahr über hier bleiben".
    Der Schnee bedeckte das Gras mit seinem dicken weißen Mantel
    und der Frost ließ alle Bäume silbern erscheinen.
    Dann luden sie den Nordwind ein, ihnen Gesellschaft zu leisten - und er kam.
    Er war in warme Felle gehüllt,
    brüllte unaufhörlich durch den Garten und blies die Schornsteinbleche hinunter.
    "Welch ein herrlicher Platz", schwärmte er,
    "wir sollten den Hagel bitten, uns zu besuchen". Und der Hagel kam.
    Jeden Tag prasselte er drei Stunden lang auf das Dach des Schlosses,
    bis er fast alle Ziegel zerstört hatte, und danach sauste er, so schnell er konnte,
    quer durch den Garten. Er war ganz in grau gekleidet und sein Atem war so kalt wie Eis.
    "Ich kann nicht verstehen, warum der Frühling in diesem Jahr so spät kommt",
    sagte der selbstsüchtige Riese, als er an dem Fenster saß und in seinen kalten weißen Garten blickte; "ich hoffe, dass sich das Wetter bald ändert".




    Aber es kamen weder Frühling noch Sommer.
    Der Herbst beschenkte jeden Garten mit goldenen Früchten,
    nur den Garten des Riesen sparte er aus.
    "Er ist zu selbstsüchtig", sagte der Herbst.
    So war anhaltender Winter im Garten; und der Nordwind,
    der Hagel, der Frost und der Schnee tanzten im Wechsel zwischen den Bäumen herum.
    Eines Morgens lag der Riese wach in seinem Bett, als er eine wunderschöne Musik hörte.
    Sie klang so lieblich in seinen Ohren, daß er dachte,
    es könnten nur die Musiker des Königs sein, die vorbeizögen.
    In Wirklichkeit aber war es nur ein kleiner Hänfling, der draußen vor seinem Fenster sang;
    aber es war so lange her, seit er einen Vogel in seinem Garten hatte singen hören,
    daß er das Gefühl hatte, die schönste Musik der Welt zu vernehmen.
    In diesem Moment hörte der Hagel auf, über seinem Kopf herumzutanzen,
    der Nordwind stellte sein Gebrüll ein
    und ein köstlicher Duft strömte ihm durch das geöffnete Fenster entgegen.
    "Ich glaube, nun kommt der Frühling wohl doch noch", sagte der Riese,
    sprang aus dem Bett und guckte nach draußen. Und was sah er da?
    Es war der wundervollste Anblick, den man sich denken konnte.
    Die Kinder waren durch ein kleines Loch in der Mauer in den Garten gekrochen
    und saßen nun auf den Zweigen der Bäume - in jedem Baum, den er sehen konnte, ein kleines Kind. Und die Bäume waren so froh, die Kinder endlich wieder bei sich zu haben,
    daß sie sich mit Blüten schmückten und ihre Zweige gleich schützenden Händen
    über den Köpfen der Kinder auf und ab bewegten.
    Die Vögel flogen umher und zwitscherten vor Vergnügen
    und die Blumen schauten lachend aus dem frischen grünen Gras heraus.
    Es war ein anmutiges Bild, nur in einer Ecke des Gartens war noch immer Winter.
    Dort, in dem entferntesten Winkel, stand ein kleiner Junge.
    Er war so klein, dass er nicht an die Zweige des Baumes heranreichen konnte;
    immer wieder ging er um ihn herum und weinte bitterlich.
    Der arme Baum war immer noch über und über mit Eis und Schnee bedeckt
    und der Nordwind blies und heulte über ihn hinweg.
    "Klettere nur hinauf, kleiner Junge!", sagte der Baum freundlich,
    und beugte seine Zweige so tief herunter, wie er konnte, aber der Junge war einfach zu klein.
    Als der Riese das sah, wurde es ihm ganz warm um das Herz.




    "Wie selbstsüchtig bin ich gewesen!", sprach er reumütig zu sich selbst,
    "jetzt verstehe ich, warum der Frühling nicht in meinen Garten kommen wollte.
    Ich werde den kleinen Jungen auf die Spitze des Baumes setzen und danach die Mauer niederreißen. Von nun an soll der Garten auf ewig der Spielplatz der Kinder sein".
    Er bedauerte aufrichtig, was er getan hatte.
    Der Riese schlich nach unten, öffnete ganz leise die Haustür und trat in den Garten.
    Aber als die Kinder ihn sahen, hatten sie solche Angst, dass sie alle davonrannten
    - und augenblicklich wurde es wieder Winter im Garten.
    Nur der kleine Junge lief nicht fort; denn er hatte, da seine Augen ganz mit Tränen gefüllt waren,
    den Riesen nicht kommen sehen. Dieser näherte sich dem Jungen ganz vorsichtig von hinten,
    nahm ihn sanft in seine Hand und setzte ihn in den Baum.
    Unverzüglich erstrahlte der Baum in üppiger Blütenpracht und die Vögel kamen,
    setzten sich hinein und sangen; und der kleine Junge streckte seine Arme aus,
    schlang sie dem Riesen um den Hals und küsste ihn.
    Und als all die anderen Kinder sahen, dass der Riese nicht länger böse war,
    kamen sie eilig zurück - und mit ihnen kam der Frühling.
    "Von nun an, Kinder, ist dies euer Garten",
    sagte der Riese, nahm eine riesige Axt und riss die Mauer nieder.
    Und als die Menschen um die Mittagszeit zum Markt gingen,
    sahen sie den Riesen mit den Kindern im Garten spielen, dem schönsten Garten,
    den sie jemals gesehen hatten.
    Sie spielten den ganzen Tag lang, und am Abend gingen sie auf den Riesen zu,
    um sich von ihm zu verabschieden.
    "Aber wo ist denn euer kleiner Spielgefährte, der Junge, den ich auf den Baum gesetzt habe?",
    fragte der Riese. Den kleinen Jungen liebte er nämlich am meisten, weil dieser ihn geküsst hatte.
    "Das wissen wir nicht", antworteten die Kinder, "er ist fortgegangen".
    "Ihr müsst ihm sagen, dass er morgen unbedingt wiederkommen soll", sagte der Riese.
    Aber die Kinder entgegneten, dasß sie nicht wüssten, wo er wohne,
    und daß sie ihn auch niemals zuvor gesehen hätten.
    Daraufhin wurde der Riese sehr traurig.
    Jeden Nachmittag, wenn die Schule zu Ende war,
    kamen die Kinder und spielten mit dem Riesen.
    Aber den kleinen Jungen, den der Riese besonders liebte, sah man nie mehr.




    Der Riese war sehr freundlich zu all den Kindern
    und dennoch blieb in ihm die Sehnsucht nach seinem ersten kleinen Freund;
    immer wieder sprach er von dem Jungen.
    "Wie gerne würde ich ihn wiedersehen",
    pflegte der Riese dann zu sagen. Jahre vergingen und der Riese wurde ganz alt und schwach.
    Er konnte nicht mehr im Garten spielen, und so saß er in einem riesigen Lehnstuhl,
    sah den Kindern beim Spielen zu und erfreute sich an seinem Garten.
    "Ich habe zwar viele herrliche Blumen, aber die Kinder sind die schönsten von allen",
    sagte er zu sich selbst. An einem Wintermorgen schaute er, während er sich anzog,
    aus dem Fenster. Jetzt haßte er den Winter nicht mehr, denn er wußte,
    daß dies nur die Zeit des schlafenden Frühlings und der sich ausruhenden Blumen war.


    Plötzlich rieb er sich verwundert die Augen - und schaute und schaute.
    Es war in der Tat ein wundervoller Anblick.
    In der entlegensten Ecke des Gartens war ein Baum
    über und über mit herrlichen weißen Blüten bedeckt.
    Seine Zweige waren vergoldet und silberne Früchte hingen von ihnen herab.
    Und unter dem Baum stand der kleine Junge, den der Riese so sehr in sein Herz geschlossen hatte. Hocherfreut rannte der Riese nach unten und hinaus in den Garten.
    Er hastete über die Wiese und näherte sich dem Kind.
    Und als er ganz nah herangekommen war, wurde sein Gesicht rot vor Zorn, und er fragte:
    "Wer hat es gewagt, dich zu verletzen?"
    Auf den Handflächen des Kindes waren nämlich die Male von zwei Nägeln zu erkennen,
    und die Male von zwei Nägeln waren auch an seinen kleinen Füßen.
    "Wer hat es gewagt, dich zu verletzen?", schrie der Riese noch einmal,
    "sag es mir, damit ich mein mächtiges Schwert ziehen und ihn erschlagen kann".
    "Nein!", antwortete das Kind, "denn dies sind die Wunden der Liebe".
    "Wer bist du?", fragte der Riese; eine seltsame Ehrfurcht überkam ihn
    und er kniete vor dem kleinen Jungen nieder.
    Daraufhin lächelte das Kind den Riesen an und sagte zu ihm.
    "Du hast mich einst in deinem Garten spielen lassen,
    heute sollst du mit mir in meinen Garten kommen - in das Paradies eingehen".
    Und als die Kinder an diesem Nachmittag in den Garten gelaufen kamen,
    fanden sie den Riesen tot auf -
    er lag unter dem Baum und war über und über mit weißen Blüten bedeckt.



    Oscar Wild

    ==============================================
    Alles, was ich tue und was ich nicht tue, ist Öffentlichkeitsarbeit.
    ==============================================

  • "Die Spindel, das Webschiffchen und die Nadel"


    Es war einmal ein kleines Waisenmädchen, dessen Eltern sehr früh verstorben waren. In dem Dorf gab es noch kein Waisenhaus und die einzige noch lebende Verwandte des Mädchens war ihre einstige Taufpatin. So kam es, das die alte Patentante das junge Mädchen zu sich, in ihr kleines Haus holte und zu Rechtschaffenheit, Fleiß und Ehrlichkeit erzog. Die Patentante lebte von dem Erlös ihrer Arbeit die aus Spinnen, Weben und Nähen bestand, und so war es auch nicht weiter verwunderlich, das sie auch dem Mädchen bereits sehr früh und in jungen Jahren alles beibrachte und zur Arbeit und zu Gottes ehrlichen Glauben erzog. Eines Tages erkrankte plötzlich die Patentante sehr schwer und rief das Mädchen zu sich, an ihr Bett. Die Patentante ahnte bereits den näher kommenden Tot und sagte zu dem Mädchen: "Du warst mir wie eine eigene Tochter, lieb und wertvoll. Deshalb werde ich dir mein Häuschen vermachen, damit du immer ein schützendes Dach über dem Kopf hast, und auch die Spindel, das Weberschiffchen und mein ganzes Nähwerkzeug werde ich dir hinterlassen, damit du dir immer ein ehrliches Brot verdienen kannst, und weder Hunger noch Obdachlosigkeit spüren musst. Vertraue auf Gott und behalte die Menschlichkeit in deinem Herzen und es wird dir immer wohl ergehen!" Kaum hatte die alte Frau die Worte zuende gesprochen, legte sie noch einmal liebevoll ihre Hände auf den Kopf des Mädchen, strich ihr über das Haar und schlief schließlich für immer ein. Da musste das Mädchen bitterlich weinen, denn auch sie hatte die Patentante sehr lieb gewonnen. Nachdem sie die Beerdigung organisiert hatte, gab sie ihr das letzte Ehrengeleit und begleitete ihre Tante auf deren letzten Weg, indem sie hinter dem Sarg herging.


    Von jetzt an lebte das junge Mädchen ganz alleine in dem kleinen Haus, und arbeitete von früh bis spät. Sie hatte den Fleiß und die Rechtschaffenheit ihrer verstorbenen Patentante und wie durch ein Wunder gelang ihr alles was sie anfasste. Welches Hemd sie auch nähte, was für einen Teppich sie webte und was für Tücher sie auch herstellte, für alles fanden sich Käufer, kaum das sie die Teile hergestellt hatte. Aber nicht nur das, denn ihre Kunden waren so von ihrer guten Arbeit begeistert, das sie dem Mädchen immer einen guten Preis bezahlten und sie nie Not leiden musste. Denn sie war so fleißig und erfolgreich, das sich selbst der Flachs von alleine zu vermehren schien und auf all ihrer Arbeit ruhte der Segen ihrer verstorbenen Patentante.


    Eines Tages begab es sich, das sich der Sohn des Königreich auf den Weg machte, um in seinem Land nach einer Braut fürs Leben zu suchen. Da er aber weder ein armes Mädchen noch eine überhebliche reiche Frau wollte, sagte er zu sich selbst: "Ich werde die zur Frau nehmen, die sowohl die Ärmste und zugleich auch die Reichste unter den Jungfrauen meines Landes ist!"


    Einige Tage später kam der Königssohn auch in das Dorf des jungen Mädchens, das inzwischen eine hübsche junge Frau geworden war. Im Dorf angekommen, stieg er von seinem Pferd und fragte die Bürger nach dem reichsten und auch dem ärmsten Mädchen im ganzen Dorf. Nachdem man dem Prinz die gewünschte Auskunft erteilt hatte, machte sich dieser zuerst auf den Weg zum reichsten Fräulein. Diese saß gerade in ihrem schönsten Kleid und mit glitzerndem Schmuck auf einer Bank vor ihrem Haus und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Als sie den Königssohn erkannte, ging sie ihm einige Schritte entgegen, verneigte sich vor ihm und grüßte höfflich. Der Königssohn grüßte zurück, schaute sie einige Momente lang an, und ritt dann wieder davon.


    Jetzt wollte er sich die Ärmste des Dorfes ansehen. Man hatte ihm als ärmstes Mädchen jene inzwischen hübsche junge Frau genannt, die nun schon seit einigen Jahren im Haus ihrer verstorbenen Patentante immer noch alleine und fleißig am Rand des Dorfes lebte. Nach einiger Zeit hatte er das kleine Haus erreicht. Niemand saß auf der Bank neben der Eingangstür und der Prinz stieg von seinem Pferd. Neugierig näherte er sich dem Haus und blickte durch das Fenster in den Licht durchfluteten Raum hinein. Dort saß das Mädchen und war fleißig am arbeiten. Alles war sauber und adrett, fertiges Tuch war aufgestapelt, neue Teppiche lagen schön zusammengelegt in einer Ecke des Raumes und genau in der Mitte saß die hübsche Frau vor ihrem Spinnrad und sang zu ihrer Arbeit leise ein fröhliches Lied.


    Plötzlich hielt sie für einen Moment inne, blickte zu dem dunklen Schatten im Fensterrahmen und erschrak. Sie hatte das Gesicht des Königssohn erkannt, und er gefiel ihr wohl. Peinlich berührt wurde sie rot und senkte verschämt ihren Blick um weiter zu arbeiten.


    Kaum hatte der Prinz den Blick des Mädchens wahrgenommen, ward auch er freudig berührt, setzte sich eilig auf sein Pferd und ritt wieder davon, während das Mädchen aufstand, zum Fenster ging, es öffnete und sprach: "Mir ist plötzlich so warm geworden? Was mag das nur sein?" und blickte dabei nachdenklich dem Königssohn auf seinem Pferd hinterher, und zwar solange, bis dieser schließlich hinter dem Horizont verschwand. Dann begab sie sich wieder an ihre Arbeit, setzte sich nachdenklich vor ihr Spinnrad und arbeitete weiter. Während sie weiter ihrer Arbeit nachging, fiel ihr plötzlich eine der vielen Liederstrophen ihrer verstorbenen Patentante ein und sie sang plötzlich mit feiner und lieblicher Stimme:


    "Liebe Spindel, Spindel fein, bring den Freier mir ins Heim."


    Kaum hatte sie das kleine Lied gesungen, sprang plötzlich die Spindel aus ihrer Hand und verschwand durch die offene Haustür über die Felder und Wiesen hinweg, bis sie dem erstaunten Mädchen mit fröhlichen Tanzbewegungen aus dem Blickfeld entschwand, und nur noch ein goldener Faden zu sehen war. Voll Verwunderung blickte das Mädchen der Spindel noch eine Weile nach, und staunte über den goldenen Faden der sich den ganzen langen Weg entlang zog. Da das Mädchen aber weiter arbeiten wollte und jetzt keine Spindel mehr hatte, nahm es das Weberschiffchen aus dem Regal, setzte sich vor den Webstuhl und arbeitete schließlich an einem feinen Kaufmannstuch weiter.


    Während das Mädchen webte, hatte die Spindel just in jenem Moment den Königssohn auf dessen Pferd eingeholt, als der goldene Faden zur Neige ging. Voll Verwunderung hielt der Prinz sein Pferd an, und betrachtete die immer noch wie ein Kreisel um sich selbst tanzende Spindel. Als er den goldenen Faden sah, schaute er den Faden entlang, den die Spindel wie eine goldene Spur hinter sich herzog, und fragte sich nachdenklich geworden, ob die Spindel ihm damit vielleicht etwas sagen wollte? Eilig wendete er sein Pferd und ritt den Weg wieder zurück. Immer der Spur des goldenen Faden hinterher. Das Mädchen aber war inzwischen längst wieder voller Freude und so in ihre Arbeit vertieft, das sie vor lauter Eifer ein weiteres Liedchen anfing zu trällern.


    "Liebes Schiffchen, Schiffchen fein, web und bring den Freier heim."


    Kaum hatte sie diese Strophe gesungen, sprang auch das Webschiffchen aus ihrer Hand und tanzte zur offenen Haustür. An der Türschwelle angekommen, blieb es plötzlich stehen, und fing einen herrlichen Teppich an zu weben. So schön, wie ihn zuvor noch keiner gesehen hatte. Er war so schön und mit so viele Figuren, Muster und Ornamente versehen, als würde der Himmel und die Natur gemeinsam ihm weben. Die schönsten Blumen, Hasen, Hirsche, Engel und liebliche Herzen waren darauf zu erkennen. Farbenfroh blühende Bäume und Äste an den Rändern. Blühende Sträucher und herrliche Rosenstöcke mit bunt gefiederte Vögel waren ebenso zu sehen, wie eine wunderschöne Landschaft. Doch je schöner und größer der Teppich wurde, umso weiter entfernte sich das Webschiffchen auch vom Haus des Mädchens und der offen stehenden Haustür und webte dabei ein schöneres Muster nach dem anderen, in den immer länger werdenden Teppich. Jetzt blieb dem Mädchen nur noch die Nähnadel für ihre Arbeit übrig. Also setzte sie sich auf ihren Stuhl an den Tisch und begann ein Hemd zu nähen. Während sie freudig und fleißig die Nähnadel mit dem Zwirn führte, war sie alsbald so in ihre Arbeit vertieft, das es nicht lange dauerte und sie voller Glück eine weitere, fröhliche Melodie begann und zu ihrer Arbeit ein Lied anstimmte:


    "Liebe Nadel, Nadel fein, mach das Heim dem Freier fein."


    Kaum hatte das Mädchen die Strophe beendet, sprang die Nadel aus ihren Fingern und wuselte wie der Blitz quer durch das Haus. Es war fast wie bei den unsichtbaren Heinzelmännchen. Jeden Moment änderte sich der Raum. Neue Vorhänge aus herrlicher Seide hingen plötzlich vor den Fenstern. Der Tisch war frisch mit einer schönen Decke bezogen und die Sitzmöbel strahlten in einem neuen Samtbezug. Kein Staubkörnchen war mehr in dem kleinen Häuschen zu erblicken und es strahlte eine wohnliche Behaglichkeit aus, wie man sie schöner nie empfand. Ohne Arbeitswerkzeug schaute das Mädchen jetzt voller Staunen dem Treiben der Nadel zu, als sie plötzlich das Hufgetrappel des königlichen Pferd vernahm. Der goldene Faden der Spindel hatte den Königssohn auf seinem Pferd zu ihrem Haus zurück geführt.


    Der Prinz stieg von seinem Pferd, ging über den herrlichen Teppich durch die immer noch offen stehende Tür ins Haus, wo mitten im Raum das fleißige Mädchen in ihrer ärmlichen Kleidung stand. Arm, fleißig und wunderschön, während die zarten Wangen ihres lieblichen Gesichtes voll freudiger Erwartung wie eine Wärme spendende, liebliche Rose glühten. Da sprach der Prinz zu ihr und sagte: "Du bist das ärmste und doch zugleich auch reichste Mädchen in meinem Reich. Dich werde ich zur Frau nehmen!" Da wurde die hübsche Frau vor lauter Verlegenheit rot, blickte verschämt zu Boden und reichte ihm ihre Hand. Der Prinz nahm sie, zog sie zu sich heran und gab ihr einen langen zärtlichen Kuss, was das Mädchen leicht zierend geschehen ließ. Kurz darauf setzte er sich mit der jungen bezaubernden Frau auf sein Pferd und ritt mit ihr zum elterlichen Schloss, wo alsbald eine herrliche Hochzeit gefeiert wurde und das ganze Königreich sich mit dem jungen Paar freute. Die Spindel, das Webschiffchen und die Nadel aber bekamen in der königlichen Schatzkammer einen Ehrenplatz, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie auch noch heute zufrieden und glücklich vor sich hin........


    Gebrüder Grimm

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • "Der Junge und der Teufel"


    Es war einmal ein Junge der schlenderte an einem schönen Sommertag den Weg entlang und knackte unterwegs Nüsse. Gerade als der Junge eine wurmstichige Nuss in seiner Hand gewahrte, begegnete ihm plötzlich der leibhaftige Teufel. Doch statt seine Angst zu zeigen, fragte er scheinbar arglos den Teufel: "Die Menschen im Dorf erzählen sich, das sich der Teufel so klein machen kann, wie er möchte? Einige behaupten sogar, der Teufel könne sich so klein machen, das er sogar durch jedes Nadelöhr passe?" Da antwortete ihm der Teufel: "Ja, du hast richtig gehört. Denn was die Menschen von mir erzählen ist tatsächlich wahr." Doch der Junge zeigte sich ungläubig und erwiderte dem Teufel schelmisch: "Oh, wenn das stimmt, dann mache mir das doch bitte einmal vor. Am besten du kriechst in diese Nuss," und hielt sie dem Teufel entgegen, wobei er auf das wurmstichige Loch zeigte. Gesagt getan. Doch kaum war der Teufel in der Nuss verschwunden, nahm der Junge einen hölzernen Stift und verstopfte das Loch und sagte laut: "Jetzt habe ich dich!" Fröhlich pfeifend steckte er die Nuss in seine Hosentasche und ging weiter seines Weges. Nach einiger Zeit erreichte er eine Dorfschmiede und blieb vor ihr stehen. Als er sah, das der Schmied gerade bei der Arbeit war, ging er zu ihm in die Schmiede und fragte den Schmied ob er ihm eine Nuss zerschlagen könne? "Klar kann ich das", sagte der Schmied und der Junge zog seine Nuss mit dem eingesperrten Teufel aus seiner Hosentasche und reichte sie dem Schmied. Dieser legte die Nuss auf den Amboss und schlug mit aller Kraft zu. Doch nichts geschah. Die Nuss blieb heil und der Schmied staunte. Doch so schnell gibt ein Schmied nicht auf er nahm einen größeren Hammer um zugleich wieder mit aller Kraft auf die widerspenstige Nuss zu schlagen. Doch auch diesmal blieb die Nuss heil. Jetzt wurde der Schmied wütend. Er wollte sich vor dem Jungen nicht plamieren. Während er schwitzend nach dem größten und schwersten Schmiedehammer griff, mußte der Junge schelmisch grinsen. Jetzt schlug der Schmied mit aller Kraft und voller Wucht den schweren Hammer auf die Nuss, die plötzlich mit einem lauten Knall zerbarst. Die Wucht der zerborstenen Nuss war so groß, das mit einem Ohren betäubenden Knall das halbe Schmiededach in die Luft flog. Fast hätte man meinen können, das halbe haus sei mit eingestürzt. Selbst der Schmied war über die große Wucht erschrocken und meinte zu dem immer noch grinsenden Jungen: "Ich glaube der Teufel war in der Nuss", und der Junge erwiderte schelmisch grinsend: "Natürlich war der Teufel in der Nuss" und ging lächelnd seines Weges weiter.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Das Silberglöckchen


    Ein Schäferjunge zu Patzig, eine halbe Meile von Bergen, wo es in den Hügeln auch viele Unterirdische hat, fand eines Morgens ein silbernes Glöckchen auf der grünen Heide zwischen den Hünengräbern und steckte es zu sich. Es war aber das Glöckchen von einer Mütze eines kleinen Braunen, der es da im Tanze verloren und nicht sogleich bemerkt hatte, daß es an dem Mützchen nicht mehr klingelte. Er war nun ohne das Glöckchen heruntergekommen und war sehr traurig über diesen Verlust. Denn das Schlimmste, was den Unterirdischen begegnen kann, ist, wenn sie die Mütze verlieren, dann die Schuhe. Aber auch das Glöckchen an der Mütze und das Spänglein am Gürtel ist nichts Geringes. Wer das Glöckchen verloren hat, der kann nicht schlafen, bis er es wiedergewinnt, und das ist doch etwas recht Betrübtes. Der kleine Unterirdische in dieser großen Not spähete und spürte umher; aber wie sollte er erfahren, wer das Glöcklein hatte? Denn nur wenige Tage im Jahr dürfen sie an das Tageslicht hinaus, und dann durften sie auch nicht in ihrer wahren Gestalt erscheinen. Er hatte sich schon oft verwandelt in allerlei Gestalten, in Vögel und Tiere, auch in Menschen, und hatte von seinem Glöckchen gesungen und geklungen und gestöhnt und gebrüllt und geklagt und gesprochen; aber keine kleinste Kunde oder nur Spur von einer Kunde war ihm bis jetzt zugekommen. Denn das war das Schlimmste, daß der Schäferjunge gerade den Tag, nachdem er das Glöckchen gefunden, von Patzig weggezogen war und jetzt zu Unrow bei Gingst die Schafe hütete. Da begab es sich erst nach manchem Tag durch ein Ungefähr, daß der arme kleine Unterirdische wieder zu seinem Glöckchen und zu seiner Ruhe kommen sollte.


    Er war nämlich auf den Einfall gekommen, ob auch ein Rabe oder Dohle oder Krähe oder Uglaster das Glöckchen gefunden und etwa bei seiner diebischen Natur, die sich in das Blanke vergafft, in sein Nest getragen habe. Und er hatte sich in einen angenehmen, kleinen bunten Vogel verwandelt und alle Nester auf der ganzen Insel durchflogen und den Vögeln allerlei vorgesungen, ob sie ihm verraten möchten, daß sie den Fund getan hätten, und er so wieder zu seinem Schlaf käme. Aber die Vögel hatten sich nichts merken lassen. Als er nun des Abends flog über das Wasser von Ralow her über das Unrower Feld hin, weidete der Schäferjunge, welcher Fritz Schlagenteuffel hieß, dort eben seine Schafe. Mehrere der Schafe trugen Glocken um den Hals und klingelten, wenn der Junge sie durch seinen Hund in den Trab brachte. Das Vögelein, das über sie hinflog, dachte an sein Glöcklein und sang in seinem traurigen Mut:


    Glöckelein, Glöckelein.
    Böckelein, Böckelein,
    Schäflein auch du,
    Trägst du mein Klingeli,
    Bist du das reichste Vieh,
    Trägst meine Ruh.


    Der Junge horchte nach oben auf diesen seltsamen Gesang, der aus den Lüften klang, und sah den bunten Vogel, der ihm noch viel seltsamer vorkam. Er sprach bei sich: »Potztausend, wer den Vogel hätte! Der singt ja, wie unsereiner kaum sprechen kann. Was mag er mit dem wunderlichen Gesange meinen? Am Ende ist es ein bunter Hexenmeister. Meine Böcke haben nur tonbackene Glocken, und er nennt sie reiches Vieh, aber ich habe ein silbernes Glöckchen, und von mir singt er nichts!« Und mit den Worten fing er an, in der Tasche zu fummeln, holte sein Glöckchen heraus und ließ es klingen. Der Vogel in der Luft sah sogleich, was es war, und freute sich über die Maßen; er verschwand aber in der Sekunde, flog hinter den nächsten Busch, setze sich, zog sein buntes Federkleid aus und verwandelte sich in ein altes Weib, das mit kümmerlichen Kleidern angetan war. Die alte Frau, mit einem ganzen Sack voll Seufzer und Ächzer versehen, stümperte sich quer über das Feld zu dem Schäferbuben hin, der noch mit seinem Glöcklein klingelte und sich wunderte, wo der schöne Vogel geblieben war, räusperte sich und tat einige Huster aus hohler Brust und bot ihm dann einen freundlichen guten Abend und fragte nach der Straße zu der Stadt Bergen. Dann tat sie, als ob sie das Glöcklein jetzt erst erblickte, und rief: »Herre je, welch ein niedliches, kleines Glöckchen! Hab' ich doch in meinem Leben nichts Feineres gesehen! Höre, mein Söhnchen, willst du die Glocke verkaufen? Und was soll sie kosten? Ich habe ein kleines Enkelchen, für den wäre sie mir eben ein bequemes Spielgerät.« - »Nein, die Glocke wird nicht verkauft!« antwortete der Schäferknabe kurz abgebissen; »das ist eine Glocke, so eine Glocke gibt's in der Welt nicht mehr: wenn ich nur damit anklingele, so laufen meine Schafe von selbst hin, wohin ich sie haben will; und welchen lieblichen Ton hat sie! Hört mal, Mutter«, (und er klingelte) »ist eine Langeweile in der Welt, die vor dieser Glocke aushalten kann? Dann kann ich mir die längste Zeit wegklingeln, daß sie in einem Hui fort ist.« Das alte Weib dachte: »Wollen sehen, ob er Blankes aushalten kann?« und hielt ihm Silber hin, wohl drei Taler; er sprach: »Ich verkaufe aber die Glocke nicht.« Sie hielt ihm fünf Dukaten hin; er sprach: »Das Glöckchen bleibt mein.« Sie hielt ihm die Hand voll Dukaten hin; er sprach zum drittenmal: »Gold ist Quark und gibt keinen Klang.« Da wandte die Alte sich und lenkte das Gespräch anderswohin und lockte ihn mit geheimen Künsten und Segenssprechungen, wodurch sein Vieh Gedeihen bekommen könnte, und erzählte ihm allerlei Wunder davon. Da ward er lüstern und horchte auf. Das Ende vom Liede war, daß sie ihm sagte: »Höre, mein Kind, gib mir die Glocke; siehe, hier ist ein weißer Stock« (und sie holte ein weißes Stäbchen hervor, worauf Adam und Eva sehr künstlich geschnitten waren, wie sie die paradiesischen Herden weideten, und wie die feistesten Böcke und Lämmer vor ihnen hintanzten; auch der Schäferknabe David, wie er ausholt mit der Schleuder gegen den Riesen Goliath), »diesen Stock will ich dir geben für das Glöckchen, und solange du das Vieh mit diesem Stäbchen treibst, wird es Gedeihen haben, und du wirst ein reicher Schäfer werden; deine Hämmel werden immer vier Wochen früher fett werden als die Hämmel aller andern Schäfer, und jedes deiner Schafe wird zwei Pfund Wolle mehr tragen, ohne daß man ihnen den Segen ansehen kann.« Die alte Frau reichte ihm den Stock mit einer so geheimnisvollen Gebärde und lächelte so leidig und zauberisch dazu, daß der Junge gleich in ihrer Gewalt war. Er griff gierig nach dem Stock und gab ihr die Hand und sagte: »Topp, schlag ein! Die Glocke ist dein für den Stock.« Und sie schlug ein und nahm die Glocke und fuhr wie ein leichter Wind über das Feld und die Heide hin. Und er sah sie verschwinden, und sie deuchte ihm wie ein Nebel hinzufließen und sanft fortzulaufen, und alle seine Haare richteten sich zu Berge.


    Der Unterirdische, der ihm die Glocke in der Verkleidung einer alten Frau abgeschwatzt, hatte ihn nicht betrogen. Denn die Unterirdischen dürfen nicht lügen, sondern das Wort, das sie von sich geben oder geloben, müssen sie halten; denn wenn sie lügen, werden sie stracks in die garstigsten Tiere verwandelt, in Kröten, Schlangen, Mistkäfer, Wölfe und Lüchse und Affen, und müssen wohl Jahrtausende in Abscheu und Schmach herumkriechen und herumstreichen, ehe sie erlöst werden. Darum haben sie ein Grauen davor. Fritz Schlagenteuffel gab genau acht und versuchte seinen neuen Schäferstab, und er fand bald, daß das alte Weib ihm die Wahrheit gesagt hatte, denn seine Herde und all sein Werk und seiner Hände Arbeit geriet ihm wohl und hatte ein wunderbares Glück, so daß alle Schafherren und Oberschäfermeister diesen Jungen begehrten. Er blieb aber nicht lange Junge, sondern schaffte sich, ehe er noch achtzehn Jahre alt war, seine eigene Schäferei und ward in wenigen Jahren der reichste Schäfer auf ganz Rügen, so daß er sich endlich ein Rittergut hat kaufen können: und das ist Grabitz gewesen hier bei Rambin, was jetzt den Herren vom Sunde gehört. Da hat mein Vater ihn noch gekannt, wie aus dem Schäferjungen ein Edelmann geworden war, und hat er sich auch da als ein rechter, kluger und frommer Mann aufgeführt, der bei allen Leuten ein gutes Lob hatte, und der hat seine Söhne wie Junker erziehen lassen und seine Töchter wie Fräulein, und es leben noch davon und dünken sich jetzt vornehme Leute. Und wenn man solche Geschichten hört, möchte man wünschen, daß man auch mal so etwas erlebte und ein silbernes Glöcklein fände, das die Unterirdischen verloren haben.


    Ernst Moritz Arndt

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Das winzige, winzige Männlein


    Es waren einmal drei lustige Gesellen, ein Schmied, ein Schneider und ein Jäger, die waren gute Freunde zueinander, kamen öfters zusammen und besprachen sich, mitsammen in die Fremde zu gehen, weil es ihnen in der Heimat nicht mehr so recht gefallen wollte. Wie sie nun ihren Entschluß ausführten und wanderten, führte sie ihr Weg in einen tiefen Wald, aber heraus führte er sie nicht; sie verirrten sich und liefen im Walde umher, bis die Nacht einbrach und sie weder Weg noch Steg sehen konnten. Endlich stieg der Schmied auf einen Baum und erblickte in einiger Entfernung ein Licht, merkte sich die Richtung, stieg vom Baume herab und ging nun mit seinen Gefährten auf das Licht zu. Sie kamen alle drei an ein Haus, welches offenstand, aber leer war, wenigstens ließ sich niemand blicken, aber das Licht stand darin und schien.


    »Wer hier wohnt, wird es uns nicht so sehr übelnehmen, wenn wir hier die Nacht verbringen, wir können nun einmal doch nicht weiter!« sprachen die drei einer zum andern und legten sich nieder, wo sich just für jeden ein geeignetes Plätzchen fand. Ohne alle Störung schliefen die drei Gesellen die ganze Nacht und erwachten, als der Morgen da war, fröhlich und wohlgemut.


    »Es ist hübsch in diesem Häuschen«, sprach der Schmied. »Ich dächte, wir verließen es nicht so schnell, damit wir dem Bewohner danken für die Gastfreundschaft, die wir uns angeeignet.«


    »Vielleicht kann ich ihm etwas flicken«, meinte der Schneider.


    »Ich bin auch nicht dagegen, hier zu rasten«, sprach der Jäger, »aber wenn wir das wollen, so müssen wir nun etwas zu essen haben, denn hier scheint Schmalhans Küchenmeister zu sein. Ich schlage daher vor, einer von uns bleibt hier und zweie gehen in den Wald und fangen oder schießen etwas, damit wir zu leben haben.«


    »Der Rat ist richtig«, sagte der Schmied. »Draußen springt ein Quellbrunnen; der daheim bleibt, macht indes ein Feuerlein an und setzt Wasser bei, daß wir uns hernach eine gute Suppe kochen können.«


    Der Schmied und der Jäger gingen, und der Schneider blieb im Häuschen, entzündete ein Feuer, setzte Wasser bei und sich daneben. Da erschien mit einem Male ein winzig, winzig kleines Männchen und sagte:


    »Schneider, Schneider, Schneiderlein,
    Ich blas dir aus dein Feuerlein.«


    »Ja, untersten dich!« rief der Schneider voller Mut, weil das Männlein so winzig war, aber das machte - ft! - und da war das Feuer aus und das Männlein verschwunden.


    Bald kamen der Jäger und der Schmied und brachten ein Stück Wild und gute Wurzeln, der Schneider erzählte, was ihm begegnet sei, und nun mußten sie von neuem Feuer anzünden und Wasser beisetzen.


    Als das Wild verzehrt war, gingen der Schmied und der Schneider in den Wald, und der Jäger hütete das Haus und machte ein schönes Feuer an, setzte Wasser bei und sich dazu. Da kam abermals das winzige, winzige Männchen, und wisperte:


    »Jäger, Jäger, Jägerlein!
    Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«


    »Probier es nur! Ich drehe dir den Hals um!« rief der Jäger, aber - ft! - und das Feuer erlosch, und das Männlein verschwand.


    Wie die Kameraden kamen, hatten sie kein Wild und kein Feuer; zwar rühmte sich der Schneider, dem der Jäger sein Gewehr geliehen, er habe bald einen Bock geschossen, aber nur bald, das Gewehr habe einen Fehler, die Kugel sei links gegangen.


    »Nun probiere ich's einmal!« rief der starke Schmied. »Habt acht, ich zahle den Knirps aus.« Nun blieb er zu Hause, und der Jäger ging mit dem Schneider auf die Jagd.


    Der Schmied saß noch gar nicht lange bei dem Feuer, das er angezündet, nachdem er einen Schraubstock hergerichtet, als das winzige, winzige Männlein zum dritten Male erschien und wisperte:


    »Schmied, Schmied, Schmiedelein!
    Ich lösch dir aus dein Feuerlein.«


    Aber anstatt zu antworten, griff der Schmied dem Männlein an den Kragen, schüttelte es tüchtig und klemmte es in dem Schraubstock fest, daß es erbärmlich zappelte und heulte. Das half ihm aber nichts, denn der Schmied bearbeitete es auch noch äußerst handgreiflich, und wie nun der Jäger und der Schneider kamen, so putzte der erstere das winzige Männchen auch noch aus, und der Schneider freute sich und flickte es ebenfalls gehörig durch.


    Das Zaubermännchen im Schraubstock tat aber gar erbärmlich und sagte: »Laßt mich los, und gehe einer mit mir! Einen kann und will ich glücklich machen. Schneiderlein, geh du mit mir!«


    »Männlein, ich geh nicht mit dir!« antwortete der Schneider. »Jäger, so gehe du mit mir!« bat das winzige, winzige Männlein. »Ei, der Kuckuck geh mit dir!« antwortete der Jäger.


    »Schmied, Schmied, gehe du mit mir!« bat gar zu kläglich das Männlein.


    Da sagte der Schmied: »Gut, ich will mit dir gehen, aber denke nicht, daß ich dich loslasse, denn du würdest mich sonst schön führen. Und die andern zwei müssen ein Stück hinter uns drein gehen.«


    »Meinetwegen, ich bin alles zufrieden!« winselte das winzige, winzige Männlein. »Macht mich nur aus dem Schraubstock los!«


    Das tat denn der Schmied, hielt aber das Männlein fest am Kragen, und nun ging es durch eine Türe in der Stube und durch einen Kellergang in ein großes, matt erhelltes Gewölbe. In diesem Gewölbe saß auf einem elfenbeinernen Stuhle der Menschenfresser, und hinter ihm stand seine Frau und kämmte ihm mit einem beinernen Kamme das lange, zottelige Wirrhaar.


    Jetzt sprach der Menschenfresser: »Hup, hup! Es riecht nach Menschenfleisch! Hup, hup - Menschenfleisch«, und schnappte behaglich.


    »Ach«, antwortete die Frau, »wer weiß was du riechst?«


    Doppelt fest hielt der Schmied das winzige Männlein Kragen, denn hätte er es losgelassen, so hätte dasselbe ihn und seine Gesellen dem Menschenfresser überliefert - aber so führte er den Schmied in einen Seitengang, und die andere folgten, und da kamen sie an ein Bergloch, davor lag ein großer Stein, und da sagte das Männlein: »Wälze diesen Stein hinweg, krieche dann durch die Öffnung hinaus und rufe: 'Vivat! Ich bin erlöst!' « »Zum Steinwälzen brauch ich aber zwei Arme«, sagte der Schmied, gab dem Jäger das zappelnde Männlein am Kragen festzuhalten, denn dem Schneider mocht er's nicht anvertrauen, der dünkte ihn nicht stark genug. Gleichwohl half auch der Schneider halten, er hielt das Männlein an beiden Beinchen fest. Jetzt wälzte der Schmied den Stein; da entstand im Gewölbe ein Poltern und Krachen, als wenn alles zusammenbreche, vor ihnen aber strahlte blendender Schimmer, Tageshelle, und vor aller Augen lag ein stattliches Schloß. Geschwinde krochen alle drei, eigentlich vier, heraus. Erst der Schmied, dann der Jäger mit dem Männlein, zuletzt der Schneider, der des winzigen Männleins Beine hielt, und jeder schrie: »Vivat, ich bin erlöst.«


    Und siehe, das winzige Männlein schrie auch mit und verschwand jenen unter den Händen. Aus dem Schlosse aber trat ein prächtig gekleidetes Musikkorps und spielte einen wunderschönen Tanz, dann kamen drei herrliche Prinzessinnen, die tanzten dem Schmied, dem Jäger und dem Schneider entgegen; dann ein kleiner Mann, aber angetan wie ein König, mit Krone und Szepter, im hermelinverbrämten Purpurmantel, und seine Züge waren die des winzigen Männleins. »Dank euch, die ihr uns erlöset habt!« sprach der kleine König mit gravitätischer Würde. »Dank und Lohn!«


    Hierauf erhob der König die drei muntren Gesellen in den Prinzenstand, jeder durfte eine von den drei wunderschönen Prinzessinnen heiraten, alle lebten glücklich beisammen in dem schönen Schlosse, bedient von zahlreichem Hofgesinde, und keinem wurde wieder sein Feuerlein ausgeblasen.


    Ludwig Bechstein

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Die verzauberte Prinzessin


    [Blockierte Grafik: http://www.engel-ohne-fluegel.info/LionsGate/bilder/prinzessin01.gif]


    Es war einmal ein armer Handwerksmann, der hatte zwei Söhne, einen guten, der hieß Hans, und einen bösen, der hieß Helmerich. Wie das aber wohl geht in der Welt, der Vater hatte den bösen mehr lieb als den guten.


    Nun begab es sich, daß das Jahr einmal ein mehr als gewöhnlich teures war und dem Meister der Beutel leer war. Ei! dachte er, man muß zu leben wissen. Sind die Kunden doch so oft zu dir gekommen, nun ist es an dir, höflich zu sein und dich zu ihnen zu bemühen. Gesagt, getan. Früh morgens zog er aus und klopfte an mancher stattlichen Tür; aber wie es sich denn so trifft, daß die stattlichsten Herren nicht die besten Zahler sind, die Rechnung zu bezahlen hatte niemand Lust. So kam der Handwerksmann müde und matt des Abends in seine Heimat, und trübselig setzte er sich vor die Türe der Schenke ganz allein, denn er hatte weder das Herz, mit den Zechgästen zu plaudern, noch freute er sich sehr auf das lange Gesicht seines Weibes. Aber wie er da saß in Gedanken versunken, konnte er doch nicht lassen hinzuhören auf das Gespräch, das drinnen geführt ward. Ein Fremder, der eben aus der Hauptstadt angelangt war, erzählte, daß die schöne Königstochter von einem bösen Zauberer gefangengesetzt sei und müsse im Kerker bleiben ihr Leben lang, wenn nicht jemand sich fände, der die drei Proben löse, die der Zauberer gesetzt hatte. Fände sich aber einer, so wäre die Prinzeß sein und ihr ganzes herrliches Schloß mit all seinen Schätzen. Das hörte der Meister an, zuerst mit halbem Ohr, dann mit dem ganzen und zuletzt mit allen beiden, denn er dachte: mein Sohn Heimerich ist ein aufgeweckter Kopf, der wohl den Ziegenbock barbieren möchte, so das einer von ihm heischte; was gilt's, er löst die Proben und wird der Gemahl der schönen Prinzeß und Herr über Land und Leute. Denn also hatte der König, ihr Vater, verkündigen lassen.


    Schleunig kehrte er nach Haus und vergaß seine Schulden und Kunden über der neuen Mär, die er eilig seiner Frau hinterbrachte. Des andern Morgens schon sprach er zum Heimerich, daß er ihn mit Roß und Wehr ausrüsten wolle zu der Fahrt, und wie schnell machte der sich auf die Reise! Als er Abschied nahm, versprach er seinen Eltern, er wolle sie samt dem dummen Bruder Hans gleich holen lassen in einem sechsspännigen Wagen; denn er meinte schon, er wäre König. Übermütig wie er dahinzog, ließ er seinen Mutwillen aus an allem, was ihm in den Weg kam. Die Vögel, die auf den Zweigen saßen und den Herrgott lobten mit Gesang, wie sie es verstanden, scheuchte er mit der Gerte von den Ästen, und kein Getier kam ihm in den Weg, daran er nicht seinen Schabernack ausgelassen hätte. Und zum ersten begegnete er einem Ameisenhaufen; den ließ er sein Roß zertreten, und die Ameisen, die erzürnt an sein Roß und an ihn selbst krochen und Pferd und Mann bissen, erschlug und erdrückte er alle. Weiter kam er an einen klaren Teich, in dem schwammen zwölf Enten. Helmerich lockte sie ans Ufer und tötete deren elf, nur die zwölfte entkam. Endlich traf er auch einen schönen Bienenstock; da machte er es den Bienen, wie er es den Ameisen gemacht. Und so war seine Freude, die unschuldige Kreatur nicht sich zum Nutzen, sondern aus bloßer Tücke zu plagen und zu zerstören.


    Als Helmerich nun bei sinkender Sonne das prächtige Schloß erreicht hatte, darin die Prinzessin verzaubert war, klopfte er gewaltig an die geschlossene Pforte. Alles war still; immer heftiger pochte der Reiter. Endlich tat sich ein Schiebefenster auf, und hervor sah ein altes Mütterlein mit spinnewebfarbigem Gesichte, die fragte verdrießlich, was er begehre. »Die Prinzeß will ich erlösen«, rief Helmerich, »geschwind macht mir auf. «


    »Eile mit Weile, mein Sohn«, sprach die Alte, »morgen ist auch ein Tag, um neun Uhr werde ich dich hier erwarten.« Damit schloß sie den Schalter.


    Am andern Morgen um neun Uhr, als Helmerich wieder erschien, stand das Mütterchen schon seiner gewärtig mit einem Fäßchen voll Leinsamen, den sie ausstreute auf eine schöne Wiese. »Lies die Körner zusammen«, sprach sie zu dem Reiter, »in einer Stunde komme ich wieder, da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich aber dachte, das sei ein alberner Spaß und es lohne nicht, sich darum zu bücken; er ging derweil spazieren, und als die Alte wiederkam, war das Fäßchen so leer wie vorher. »Das ist nicht gut«, sagte sie. Darauf nahm sie zwölf goldene Schlüsselchen aus der Tasche und warf sie einzeln in den tiefen, dunklen Schloßteich. »Hole die Schlüssel herauf«, sprach sie, »in einer Stunde komme ich wieder, da muß die Arbeit getan sein.« Helmerich lachte und tat wie vorher. Als die Alte wiederkam und auch diese Aufgabe nicht gelöst war, da rief sie zweimal: »Nicht gut! nicht gut!« Doch nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn die Treppe hinauf in den großen Saal des Schlosses; da saßen drei Frauenbilder, alle drei in dichte Schleier verhüllt. »Wähle, mein Sohn«, sprach die Alte, »aber sieh dich vor, daß du recht wählst. In einer Stunde komme ich wieder.«


    Helmerich war nicht klüger, da sie wiederkam, als da sie wegging; übermütig aber rief er aufs Geratewohl: »Die zur Rechten wähl ich.« Da warfen alle drei die Schleier zurück; in der Mitte saß die holdselige Prinzeß, rechts und links zwei scheußliche Drachen, und der zur Rechten packte den Helmerich in seine Krallen und warf ihn durch das Fenster in den tiefen Abgrund.


    Ein Jahr war verflossen, seit Helmerich ausgezogen, die Prinzeß zu erlösen, und noch immer war bei den Eltern kein sechsspänniger Wagen angelangt. »Ach!« sprach der Vater, »wäre nur der ungeschickte Hans ausgezogen statt unsres besten Buben, da wäre das Unglück doch geringer.«


    »Vater«, sagte Hans, »laß mich hinziehn, ich will's auch probieren.« Aber der Vater wollte nicht, denn was dem Klugen mißlingt, wie führte das der Ungeschickte zu Ende? Da der Vater ihm Roß und Wehr versagte, machte Hans sich heimlich auf und wanderte wohl drei Tage denselben Weg zu Fuß, den der Bruder an einem geritten war. Aber er fürchtete sich nicht und schlief des Nachts auf dem weichen Moos unter den grünen Zweigen so sanft wie unter dem Dach seiner Eltern; die Vögel des Waldes scheuten sich nicht vor ihm, sondern sangen ihn in den Schlaf mit ihren besten Weisen. Als er nun an die Ameisen kam, die beschäftigt waren, ihren neuen Bau zu vollenden, störte er sie nicht, sondern wollte ihnen helfen, und die Tierchen, die an ihm hinaufkrochen, las er ab, ohne sie zu töten, wenn sie ihn auch bissen. Die Enten lockte er auch ans Ufer, aber um sie mit Brosamen zu füttern; den Bienen warf er die frischen Blumen hin, die er am Wege gepflückt hatte. So kam er fröhlich an das Königsschloß und pochte bescheiden am Schalter. Gleich tat die Türe sich auf, und die Alte fragte nach seinem Begehr. »Wenn ich nicht zu gering bin, möchte ich es auch versuchen, die schöne Prinzeß zu erlösen«, sagte er.


    »Versuche es, mein Sohn«, sagte die Alte, »aber wenn du die drei Proben nicht bestehst, kostet es dein Leben.«


    »Wohlan, Mütterlein«, sprach Hans, »sage, was ich tun soll.«


    Jetzt gab die Alte ihm die Probe mit dem Leinsamen. Hans war nicht faul, sich zu bücken, doch schon schlug es drei Viertel, und das Fäßchen war noch nicht halb voll. Da wollte er schier verzagen; aber auf einmal kamen schwarze Ameisen mehr als genug, und in wenigen Minuten lag kein Körnlein mehr auf der Wiese.


    Als die Alte kam, sagte sie: »Das ist gut!« und warf die zwölf Schlüssel in den Teich, die sollte er in einer Stunde herausholen. Aber Hans brachte keinen Schlüssel aus der Tiefe; so tief er auch tauchte, er kam nicht an den Grund. Verzweifelnd setzte er sich ans Ufer; da kamen die zwölf Entchen herangeschwommen, jede mit einem goldenen Schlüsselchen im Schnabel, die warfen sie ins feuchte Gras.


    So war auch diese Probe gelöst, als die Alte wiederkam, um ihn nun in den Saal zu führen, wo die dritte und schwerste Probe seiner harrte. Verzagend sah Hans auf die drei gleichen Schleiergestalten; wer sollte ihm hier helfen? Da kam ein Bienenschwarm durchs offene Fenster geflogen, die kreisten durch den Saal und summten um den Mund der drei Verhüllten. Aber von rechts und links flogen sie schnell wieder zurück, denn die Drachen rochen nach Pech und Schwefel, wovon sie leben; die Gestalt in der Mitte umkreisten sie alle und surrten und schwirrten leise: »Die Mittle, die Mittle.« Denn da duftete ihnen der Geruch ihres eigenen Honigs entgegen, den die Königstochter so gern aß.


    Also, da die Alte wiederkam nach einer Stunde, sprach Hans ganz getrost: »Ich wähle die Mittle.« Und da fuhren die bösen Drachen zum Fenster hinaus, die schöne Königstochter aber warf ihren Schleier ab und freute sich der Erlösung und ihres schönen Bräutigams. Und Hans sandte dem Vater der Prinzeß den schnellsten Boten und zu seinen Eltern einen goldenen Wagen mit sechs Pferden bespannt, und sie alle lebten herrlich und in Freuden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie heute noch.


    Ludwig Bechstein

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Siebenschön


    Es waren einmal in einem Dorfe ein paar arme Leute, die hatten ein kleines Häuschen und nur eine einzige Tochter, die war wunderschön und gut über alle Maßen. Sie arbeitete, fegte, wusch, spann und nähte für sieben und war so schön wie sieben zusammen, darum ward sie Siebenschön geheißen. Aber weil sie ob ihrer Schönheit immer von den Leuten angestaunt wurde, schämte sie sich und nahm sonntags, wenn sie in die Kirche ging - denn Siebenschön war auch frömmer als sieben andre, und das war ihre größte Schönheit -, einen Schleier vor ihr Gesicht. So sah sie einstens der Königssohn und hatte seine Freude über ihre edle Gestalt, ihren herrlichen Wuchs, so schlank wie eine junge Tanne, aber es war ihm leid, daß er vor dem Schleier nicht auch ihr Gesicht sah, und fragte seiner Diener einen: »Wie kommt es, daß wir Siebenschöns Gesicht nicht sehen?«


    »Das kommt daher« antwortete der Diener, »weil Siebenschön so sittsam ist. «


    Darauf sagte der Königssohn: »Ist Siebenschön so sittsam zu ihrer Schönheit, so will ich sie lieben mein Leben lang und will sie heiraten. Gehe du hin und bringe ihr diesen goldnen Ring von mir und sage ihr, ich habe mit ihr zu reden, sie solle abends zu der großen Eiche kommen.«


    Der Diener tat, wie ihm befohlen war, und Siebenschön glaubte, der Königssohn wolle ein Stück Arbeit bei ihr bestellen, ging daher zur großen Eiche, und da sagte ihr der Prinz, daß er sie lieb habe um ihrer großen Sittsamkeit und Tugend willen und sie zur Frau nehmen wolle; Siebenschön aber sagte: »Ich bin ein armes Mädchen, und du bist ein reicher Prinz, dein Vater würde sehr böse werden, wenn du mich wolltest zur Frau nehmen.« Der Prinz drang aber noch mehr in sie, und da sagte sie endlich, sie wolle sich's bedenken, er solle ihr ein paar Tage Bedenkzeit gönnen. Der Königssohn konnte aber unmöglich ein paar Tage warten, er schickte schon am folgenden Tage Siebenschön ein Paar silberne Schuhe und ließ sie bitten, noch einmal unter die große Eiche zu kommen. Da sie nun kam, so fragte er schon, ob sie sich besonnen habe? Sie aber sagte, sie habe noch keine Zeit gehabt, sich zu besinnen, es gebe im Haushalt gar viel zu tun, und sie sei ja doch ein armes Mädchen und er ein reicher Prinz, und sein Vater werde sehr böse werden, wenn er, der Prinz, sie zur Frau nehmen wolle. Aber der Prinz bat von neuem und immermehr, bis Siebenschön versprach, sich gewiß zu bedenken und ihren Eltern zu sagen, was der Prinz im Wfflen habe. Als der folgende Tag kam, da schickte der Königssohn ihr ein Kleid, das war ganz von Goldstoff, und ließ sie abermals zu der Eiche bitten. Aber als nun Siebenschön dahin kam und der Prinz wieder fragte, da mußte sie wieder sagen und klagen, daß sie abermals gar zu viel und den ganzen Tag zu tun gehabt und keine Zeit zum Bedenken, und daß sie mit ihren Eltern von dieser Sache auch nicht habe reden können, und wiederholte auch noch einmal, was sie dem Prinzen schon zweimal gesagt hatte, daß sie arm, er aber reich sei und daß er seinen Vater nur erzürnen werde. Aber der Prinz sagte ihr, das alles habe nichts auf sich, sie solle nur seine Frau werden, so werde sie später auch Königin, und da sie sah, wie aufrichtig der Prinz es mit ihr meinte, so sagte sie endlich ja und kam nun jeden Abend zu der Eiche und zu dem Königssohne - auch sollte der König noch nichts davon erfahren. Aber da war am Hofe eine alte häßliche Hofmeisterin, die lauerte dem Königssohn auf, kam hinter sein Geheimnis und sagte es dem Könige an. Der König ergrimmte, sandte Diener aus und ließ das Häuschen, worin Siebenschöns Eltern wohnten, in Brand stecken, damit sie darin anbrenne. Sie tat dies aber nicht, sie sprang, als sie das Feuer merkte, heraus und alsbald in einen leeren Brunnen hinein, ihre Eltern aber, die armen alten Leute, verbrannten in dem Häuschen.


    Da saß nun Siebenschön drunten im Brunnen und grämte sich und weinte sehr, konnt's aber zuletzt doch nicht auf die Länge drunten im Brunnen aushalten, krabbelte herauf, fand im Schutt des Häuschens noch etwas Brauchbares, machte es zu Geld und kaufte dafür Mannskleider, ging als ein frischer Bub an des Königs Hof und bot sich zu einem Bedienten an. Der König fragte den jungen Diener nach dem Namen, da erhielt er die Antwort: »Unglück!« und dem König gefiel der junge Diener also wohl, daß er ihn gleich annahm und auch bald vor allen andern Dienern gut leiden konnte.


    Als der Königssohn erfuhr, daß Siebenschöns Häuschen verbrannt war, wurde er sehr traurig, glaubte nicht anders, als Siebenschön sei mit verbrannt, und der König glaubte das auch und wollte haben, daß sein Sohn nun endlich eine Prinzessin heirate, und mußte dieser nun eines benachbarten Königs Tochter freien. Da mußte auch der ganze Hof und die ganze Dienerschaft mit zur Hochzeit ziehen, und für Unglück war das am traurigsten, es lag ihm wie ein Stein auf dem Herzen. Er ritt auch mit hintennach als der Letzte im Zuge und sang wehklagend mit klarer Stimme:


    »Siebenschön war ich genannt,
    Unglück ist mir jetzt bekannt.«


    Das hörte der Prinz von weitem und fiel ihm auf und er hielt und fragte: »Ei, wer singt doch da so schön?«


    »Es wird wohl mein Bedienter, der Unglück, sein«, antwortete der König, »den ich zum Diener angenommen habe.« Da hörten sie noch einmal den Gesang:


    »Siebenschön war ich genannt,
    Unglück ist mir jetzt bekannt.«


    Da fragte der Prinz noch einmal, ob das wirklich niemand anders sei als des Königs Diener. Und der König sagte, er wisse es nicht anders.


    Als nun der Zug ganz nahe an das Schloß der neuen Braut kam, erklang noch einmal die schöne klare Stimme:


    »Siebenschön war ich genannt,
    Unglück ist mir jetzt bekannt.«


    Jetzt wartete der Prinz keinen Augenblick länger, er spornte sein Pferd und ritt wie ein Offizier längs des ganzen Zugs in gestrecktem Galopp hin, bis er an Unglück kam und Siebenschön erkannte. Da nickte er ihr freundlich zu und jagte wieder an die Spitze des Zuges und zog in das Schloß ein. Da nun alle Gäste und alles Gefolge im großen Saal versammelt waren und die Verlobung vor sich gehen sollte, so sagte der Prinz zu seinem künftigen Schwiegervater: »Herr König, ehe ich mit Eurer Prinzessin Tochter mich feierlich verlobe, wollet mir erst ein kleines Rätsel lösen. Ich besitze einen schönen Schrank, dazu verlor ich vor einiger Zeit den Schlüssel, kaufte mir also einen neuen; bald darauf fand ich den alten wieder, jetzt saget mir Herr König, wessen Schlüssel ich mich bedienen soll?«


    »Ei, natürlich des alten wieder!« antwortete der König, »das Alte soll man in Ehren halten und es über Neuem nicht hintansetzen.«


    »Ganz wohl, Herr König«, antwortete nun der Prinz, »so zürnt mir nicht, wenn ich Eure Prinzessin Tochter nicht freien kann, sie ist der neue Schlüssel und dort steht der alte.« Und nahm Siebenschön an der Hand und führte sie zu seinem Vater, indem er sagte: »Siehe Vater, das ist meine Braut.«


    Aber der alte König rief ganz erstaunt und erschrocken aus: »Ach lieber Sohn, das ist ja Unglück, und mein Diener!«


    Und viele Hofleute schrien: »Herr Gott, das ist ja ein Unglück!«


    »Nein!« sagte der Königssohn, »hier ist gar kein Unglück, sondern hier ist Siebenschön, meine liebe Braut.« Und nahm Urlaub von der Versammlung und führte Siebenschön als Herrin und Frau auf sein schönstes Schloß.


    Ludwig Bechstein

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

  • Was die Schicksalsgöttin sprach



    Es gab in irgendeiner Zeit einmal einen reichen Mann, dessen Frau kein Kind bekam. Die Frau machte der allerheiligsten Gottesmutter ein Weihgeschenk, um doch eins zu bekommen. Sie gebar dann ein kleines Mädchen, und sieben Tage nach der Geburt führte sie es vor.


    Da naht sich auch die Schicksalsfrau und sprach im Schlaf zu dem Vater: »Euer Kind wird eine Dirne und eine Diebin werden!«


    So kam es, dass er am Morgen zu seiner Frau sagte: »Unser Kind wird eine Diebin und Dirne werden. Du Frau, ich werfe dies Kind ins Meer!«


    Die Mutter erkrankte, als sie die Worte ihres Mannes hörte. Der Vater aber wurde - nachdem er das Kind schon an sich genommen hatte, um es ins Meer zu werfen und schon in die Umhängetasche gesetzt hatte - unterwegs anderen Sinnes, kehrte nach Hause zurück und sperrte es in eine abgelegene Kammer. Seine Frau jedoch war unterdessen gestorben.


    Als ein wenig Zeit darüber vergangen war, heiratete der Mann. Das Kind blieb ohne Nahrung und ohne Wasser in der verschlossenen Kammer. Wie sich der Mann wieder verheiratete, sagte er zu seiner Frau: »Du kannst alle Kammern öffnen - aber die Kammer da hinten aufzumachen, hast du kein Recht. Ich würde dir sonst den Kopf abschlagen!<~ Nachdem zwei, drei Jahre ihren Lauf genommen hatten, machte die Frau die Kammer doch aus Neugierde auf, um einmal zu sehen, was wohl darin ist. Und da erblickt sie ein sehr schönes kleines Mädchen! Sie fragt es: »Wer hat dich in die Kammer hier gebracht?« Das Kind konnte aber nicht antworten. Es tat der Stiefmutter leid, und sie führte es, ohne dass der Vater etwas davon wusste, auf den Hof hinaus, dass es Luft schöpfen konnte. Ganz, ganz langsam lernte das Kind auch sprechen.


    Die Stiefmutter fragte es, wie es denn in der verschlossenen Kammer so lange Zeit hätte leben können, und da sagte es: »Die Allerheiligste brachte mir zu essen, und so aß auch ich.«


    Eines Tages, als die Stiefmutter das Kind wieder herausgelassen hatte, sah es in der Nachbarschaft zwei Mädchen, die beim Sticken waren. Da lief das kleine Mädchen hin und setzte sich neben die Mädchen, stahl ihnen Fäden und brachte sie der Stiefmutter. Die Mutter zwang es aber, die Fäden den Mädchen zurückzugeben. Die Mädchen sagten zu der Kleinen: »Ach, nimm sie nur - wir haben ja noch mehr!«


    Die Mutter nahm dann das Kind und schloss es wieder in die Kammer ein.


    Am nächsten Tag ließ sie es wieder hinaus. Da erblickt das kleine Mädchen einen Dampfer- und rennt nur so hin. Seine Mutter läuft jedoch hinter ihm her. Wie das Mädchen die Seeleute sieht, geht es an sie heran. Die Mutter sagt aber den Seeleuten, sie sollten die Kleine wegjagen, denn sie sei noch viel zu klein, und wenn sie etwa hässliche Sachen machte, wär es eine Sünde. Die Seeleute jagten sie also weg.


    Danach nimmt die Mutter das kleine Mädchen und schließt es wieder in die Kammer.


    Mit der Zeit wuchs das Kind heran. Später lässt die Mutter es auch wieder hinaus. Und da bekommt es den Palast des Königs zu sehen, als der Königssohn gerade draußen ist. Die Mutter, die hinter dem Mädchen hergelaufen ist, spricht zu ihm: »Komm ins Haus, mein Kind, der, den du ansiehst, ist ja der Königssohn!« Das Mädchen sagt zur Mutter. »Mutter, das ist aber ein schöner stattlicher junger Mann!« Die Mutter schloss es wieder in die Kammer ein.


    In der Nacht öffnet aber das Mädchen selbst die Türe, geht hinaus und läuft zum Palast des Königs, ohne dass jemand es sieht, auch die Wache nicht. Es geht in den Palast und legt sich zu dem Königssohn ins Bett. Der Königssohn schenkt ihm dann seine Goldsachen, das Kreuz und die Krone.


    Nachts - während der Königssohn im Schlafe liegt - steht es heimlich auf und läuft fort. Es läuft in seine Kammer, schließt sich ein, nachdem es die Geschenke, die ihm der Königssohn gegeben, an sich genommen hat. Am nächsten Abend lief das Mädchen wieder zum Königssohn. Der Königssohn ließ es vor sich einschlafen, und da er neben dem Bett seine Truhe stehen hatte, hob er den Deckel, klemmte die Haare des Mädchens ein und schloss ganz sacht die Truhe wieder, damit es ihm nicht fortlaufen könnte. Und das machte der Königssohn, um nachher rauszubekommen, was für ein Mädchen das überhaupt ist. Dann schlief auch er ein.


    Als das Mädchen wach wird und merkt, dass seine Haare in die Truhe geklemmt sind, nimmt es die Schere, schneidet sie ab und läuft aus dem Palast, rennt heim und schließt sich wieder in die Kammer ein. Mittlerweile wurde aber das Mädchen schwanger. Als ein wenig Zeit verstrichen war, merkte die Mutter, dass sie eine Frucht im Schoße trüge, und sie fragte sie, wer in ihrem Schoß gezeugt hätte. Die Tochter sagte: »Der Königssohn.«


    Wie nun die Stunde, dass sie gebären sollte, näherrückte, rief die Mutter die Spielleute zum Musikmachen. Und das tat sie, damit der Vater bei der Geburt Schreie und Weinen nicht hörte. Als die Tochter geboren hatte, gingen die Spielleute wieder fort.


    Am nächsten Tage nahm die Mutter (die Großmutter) das Kind und tat es in einen Korb, legte auf das Kleine die Goldsachen des Königssohns und deckte es mit Rosen und Röslein zu. Und dann übergaben es die Frauen der Magd, damit sie auf den Markt ginge, um die Rosen zu verkaufen.


    Die Magd setzte den Korb auf den Kopf, ging aus dem Hause und fing mit dem Ausschreien an: »Hier sind schöne Rosen! ... « Das hörte der Königssohn, er rief die Magd in den Palast, um Rosen zu kaufen. Sobald die Magd in den Palast eingetreten war, ließ sie den Korb stehen und lief davon.


    Nun aber nimmt der Königssohn die Blumen und erblickt ein mit seinen Goldsachen bedecktes Kind. Da geht ihm auf, dass ist sein Kind. Er sagt seinem Vater, das wäre sein Kind. Da gebot der König den Wachleuten, alle Mägde der Stadt herbeizurufen, um sie zu fragen, welche von ihnen die Blumen gebracht hätte.


    So fand auch die Magd sich ein, die den Korb mit den Blumen dagelassen hatte. Der Königssohn fragte sie, wer ihr die Blumen gegeben hätte, und welche Frau es auch wäre, sie müsste sie in den Palast bringen. Nun ging die Magd heim und sagte es ihrer Herrin. Die Herrin machte sich auf den Weg, ging zum Königssohn, tat ihm alles kund, was vor sich gegangen war, und auch, dass ihr Mann von nichts gewusst hätte. Der Königssohn aber sagt darauf zu der Mutter: »Die Tochter will ich zur Frau nehmen!« Die Mutter erwiderte: »Wenn du die Tochter nimmst, geben wir dir unser ganzes Vermögen!«


    Mittlerweile kehrte die Mutter heim, und nun sagte sie ihrem Mann alle Einzelheiten. Der Mann begibt sich in den Palast, um sich zu vergewissern. Der Königssohn verspricht ihm, dass er die Tochter zur Frau nehmen würde. Der Vater sagt zu ihm: »Was sie getan hat, war ihr ins Schicksal geschrieben, und wenn du sie zur Frau nehmen willst, so kenne ihr Schicksal!« Der Königssohn nahm es hin, wie es war.


    Es wurde Hochzeit. Da haben sie getrunken und gegessen und, uns was zu geben, vergessen.

    Sprich nie ein hartes Wort, womit Du jemanden kränkst. Du triffst vielleicht sein Herz, viel tiefer als Du denkst .

Jetzt mitmachen!

Sie haben noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registrieren Sie sich kostenlos und nehmen Sie an unserer Community teil!