Wahre Geschichten

  • Luftwurzeln - Gedanken zum Thema Heimat




    Feierabend-Mitglied „Vandam“ weiß, wie schön es zuhause ist...




    Ich kam gerade von einem Besuch bei meinen Eltern und ging die fünf Kilometer über die Felder nach Hause. Es war nett gewesen: Mein Vater hatte mich die neuesten Briefe von Verwandten und Freunden aus Australien, Luxemburg und den USA lesen lassen und wir hatten wieder einmal nach Herzenslust die quer über den Globus verteilte Familie durchgetratscht. Und waren kaum boshaft dabei gewesen. Vielleicht ein ganz kleines bisschen...



    Als ich so nach Hause ging, an den Bauernhöfen vorbei, die ich seit meiner Kindheit hunderte von Malen passiert hatte, fiel mir wieder einmal auf, wie schön es hier ist. Ich mag die Gegend, in der ich aufgewachsen bin. Wenn ich an einem sonnigen Morgen mit der Stadtbahn durch die ländliche Ebene fahre, vorbei an Feldern und Wäldern, denke ich immer, jetzt sollte man aussteigen und das fotografieren. Oder besser gleich malen. Die Schönheit im Bild festhalten, denn wer weiß, wann den nächsten größenwahnsinnigen Städtebauer der Irrsinn beißt und er das platte Land mit einer hässlichen Siedlung oder einen ebenso hässlichen Industriegebiet zuklatscht. Dabei habe ich mir überlegt, ob ich eigentlich das Recht habe, diese Gegend als meine Heimat zu betrachten. Was für eine Beziehung habe ich eigentlich zum Begriff "Heimat"? Tatsache ist, dass ich immer völlig fasziniert bin, wenn jemand im Brustton der Überzeugung verkündet: "Meine Familie stammt ursprünglich aus Schleswig-Holstein." Oder woher auch immer. Alles, was man von meiner Familie mit Sicherheit sagen kann, ist, dass sie seit Jahrhunderten über den Globus zigeunert, freiwillig oder unfreiwillig, und dabei munter Namen, Sprachen und Nationalitäten wechselt.



    Dass meine Eltern sich in dieser Gegend niedergelassen haben, in der wir heute leben, ist der blanke Zufall. Dass sie irgendwann die deutsche Staatsangehörigkeit annahmen, auch. Es hätte auch drei oder vier andere Möglichkeiten gegeben. Ich kann mich noch an den verblüfften Blick eines Kollegen erinnern, als ich bei einer geschäftlichen Auslandsreise am Flughafen meinen Pass zückte. "Du bist ja Deutsche!" Bei einem Menschen mit einem ausgesprochen slawischen Gesichtsschnitt, einem immer wieder durchblitzenden alpenländischen Akzent und einer Familie, der etwas vage Orientalisches anhaftet, ist die deutsche Staatsbürgerschaft für viele Leute ein erstaunlicher Umstand. Ich kann nicht behaupten, dass ich mich jemals ausgegrenzt gefühlt habe. "Nicht wirklich", wie man heute so schön dämlich sagt. Ich bin aber auch niemandes Augen ein "Einheimischer". Nirgendwo. Es gibt, außer in meiner gleichermaßen wurzellosen Familie, nirgends ein "wir", immer nur ein "ihr". Mag sein, dass ich deswegen so an meiner Familie hänge. Sie sind die einzige richtige Heimat, die ich habe. Meine Kollegen schütteln nur den Kopf, weil ich stets bereit bin, für welchen Vetter oder welche Nichte auch immer, meine sämtlichen Beziehungen spielen zu lassen und mir sechs Beine für sie auszureißen. Und sie sagen, sie kennen ihre Verwandten zum großen Teil gar nicht. Und wenn, dann haben sie keinen Kontakt zu ihnen. Das ist wiederum etwas, was ich mir überhaupt nicht vorstellen kann. Ich bin hier aufgewachsen. Ich spreche die Sprache, mittlerweile sogar mit deutlicher Dialektfärbung. Ich liebe die Gegend. Reicht das, um diese Region zu meiner Heimat zu erklären?



    Sie würde mir fehlen, wenn ich wegziehen müsste. Wenn ich im Ausland bin und den hiesigen Zungenschlag höre, bekomme ich Heimweh. Ich schicke stolze Bilder "von hier" an meine ausländischen Freunde. Wenn jemand über unser Bundesland lästert und wir im Fernsehen wieder mal als die klein karierten hinterwäldlerischen Deppen dargestellt werden, rege ich mich auf und verteidige mit flammendem Zorn die Region, die laut Eigenwerbung alles kann "außer Hochdeutsch". Na ja, wenn’s denn nicht meine Heimat sein kann, weil ich keine generationenlange Zugehörigkeit zu dieser Region nachweisen kann, dann ist es wenigstens mein Zuhause. Einigen wir uns darauf. Das tut keinem weh. Vor einiger Zeit habe ich begonnen, meine Verwandten nach ihrem Verständnis von "Heimat" befragen. Für viele ist "Heimat" schlichtweg die Gegend, in der sie groß geworden sind, ganz egal, wohin es sie dann im Laufe ihres Lebens verschlagen hat. Besonders gespannt war ich auf die Antwort einer meiner Cousinen. Sie ist in Deutschland geboren, mit einem Nordafrikaner verheiratet und lebt nach diversen Zwischenstationen wie z.B. Südafrika, nun seit vielen Jahren in einem südamerikanischen Land. Ihre Kinder sprechen vier Sprachen ... gleich schlecht, wie ich immer vermute. "Wo ist deine Heimat?", habe ich sie gefragt. "Berlin", kam es wie aus der Pistole geschossen. "Und wenn du in Berlin bei deinen Eltern bist, was sagst du dann nach spätestens drei Wochen?" Sie grinste. "Ich freue mich auf zu Hause ... wo immer das gerade ist." Nach ein paar Wochen – sie war schon längst wieder mit Sack und Pack und Kind und Kegel in Südamerika, kam eine ihrer typischen atemlosen E-Mails: "Cousinchen, ich hab’s: Heimat ist da, wo die Familie ist!" Ich mailte zurück: "Glaub ich auch




    :gruebel:

  • „Vandam“ erinnert sich an ihre erste Lektion in Sachen Geld




    Es gibt Szenen, die man nie vergisst und die einen fürs Leben prägen. In einer meiner persönlichen Schüsselszenen spielen eine D-Mark und ein Zehnpfennigstück eine tragende Rolle. Es war irgendwann Mitte der 60-er Jahre. Ich kann nicht älter als 5 oder 6 gewesen sein. Obwohl in meinem kleinen Plastiksparschweinchen kein Groschen mehr Platz hatte, weigerte ich mich beharrlich, den Inhalt auf die Bank zu bringen.



    Ich wollte mir meine Spargroschen nicht wegnehmen lassen und verstand nicht, warum sie bei der Bank besser aufgehoben sein sollten als in meinem Kinderzimmer. Jetzt hätte mein Vater natürlich sagen können: „Die Bank sperrt das Geld in den Tresor, damit es dort sicher ist und es keiner klauen kann.“ Aber er war Kaufmann, und in Finanzdingen musste es bei ihm immer schon korrekt zugehen. Da waren solche Vereinfachungen einfach nicht drin. Er zückte also seinen Geldbeutel, nahm ein Markstück und ein Zehnpfennigstück heraus, und erklärte mir kleinem Murkel, was es mit dem lieben Geld so auf sich hat.


    „Schau“, sagte er, „es ist wichtig, dass du das Geld auf die Bank bringst. Damit hilfst du anderen Leuten, und außerdem wird dein Geld dabei mehr.“ Ich lauschte andächtig und fragte mich im Stillen, wie das wohl vor sich gehen sollte. „Jetzt stell dir vor“, sagte mein Vater, „eine deiner Freundinnen, die Elke oder die Bärbel, braucht plötzlich mehr Geld, als sie hat, weil sie irgend was ganz Teueres kaufen muss. Dann kann sie zur Bank gehen und sich dort Geld leihen. Der Mensch von der Bank borgt ihr dann ein bisschen was von dem, was du dort eingezahlt hast.“ Und er schob das Markstück über den Tisch.



    Ich war empört: „Mein Geld verborgt der?“ „Ja. Und das ist was Feines! Das hilft ja deiner Freundin. Und wenn sie wieder Geld hat, zahlt sie es der Bank zurück – mit Leihgebühren. Das ist so was wie Miete. Und das bekommst dann du.“ Und er legte das Zehnpfennigstück zu der Mark und schob mir beides hin. „So wird dein Geld mehr. Aber nur, wenn du’s zur Bank bringst. Im Kinderzimmer wird’s höchstens staubig.“ Das hat mich offenbar überzeugt, denn ich erinnere mich, wie wir gemeinsam die Groschen aus dem Schlitz des Plastiksparschweins puhlten, in ein Schulmäppchen umfüllten und alles zur örtlichen Bankfiliale trugen. Ich hab dieses Gespräch nie vergessen. Und vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass ich ein Interesse an dieser Thematik entwickelt habe. Heute schreibe ich unter anderem Texte zum Thema Finanzdienstleistungen, die in mehrere Sprachen übersetzt werden und in einigen europäischen Ländern Verbreitung finden. Bis zum heutigen Tag kann ich mir oft ein Grinsen nicht verkneifen, wenn das Wort „Zinsen“ fällt – eben weil ich an diese erste Lektion in Sachen Finanzen denken muss. Eine Lektion, die sich in vielerlei Hinsicht ausgezahlt hat

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