Der Angriff kam überraschend. Wie aus dem Nichts traten
die beiden Riesenaffen aus dem Wald. Ihre Schreie ließen
die Männer erstarren...
Mit allem hatten sie gerechnet, als sie sich 1917 in die an
der Grenze von Venezuela gelegene Sierra de Perijaa auf-
machten, um dort nach Öl zu suchen. Immerhin wimmelte
es in der Gegend von kriegerischen Indianer-Stämmen. Ihr
Expeditionsleiter, der Schweizer Geologe Francois de
Loys, hatte sie mehr als einmal gewarnt. Man war also auf
der Hut, als man sich in der Nähe des Flusses Tarra für
einige Stunden zur Ruhe setzte. Nun aber wagte es kei-
ner der aufgeschreckten Abenteurer, sich zu rühren: Wer
konnte schon ahnen, daß sich im Dschungel derart selt-
same Kreaturen aufhalten sollten?
Die beiden Wesen brüllten noch immer. Plötzlich griffen
sie sich einige Aste und schwenkten diese über ihren Köp-
fen drohend hin und her. Gleichzeitig begannen sie die
entgeisterten Expeditionsteilnehmer wütend mit Kot zu
bewerfen. De Loys nützte den Moment, um nach seinem
Gewehr zu greifen. Ein gezielter Schuß, und eine der bei-
den Kreaturen brach tot zusammen. Jetzt faßten sich auch
die Genossen des Schweizers ein Herz, doch ehe sie ihre
Gewehre anlegen konnten, hatte sich das zweite Wesen be-
reits in den Wald zurückgezogen.
Verdutzt betrachtete der Schweizer die tote Kreatur: Wel-
cher Gattung mochte sie wohl angehören? Und wie sollte
er den Körper nur unversehrt nach Europa zurückbrin-
gen. De Loys entschloß sich zu einem Kompromiß:
Ersetzte das Wesen auf eine Kiste, fixierte dessen Oberkörper
mit einem Stock und fotografierte es. Dann schnitt er ihm
den Kopf ab, schälte den Schädel aus der Haut und depo-
nierte die Körperteile in einer Kiste, die er mit Salz auffül-
len ließ.
Doch noch ehe de Loys seinen Fund außer Landes bringen
konnte, wurde sein Team erneut angegriffen. Diesmal
waren es tatsächlich Indianer, und sie machten kurzen
Prozeß: Nur mit Mühe gelang es dem durch einen Pfeil
verwundeten Schweizer, sein Leben zu retten. Die Kiste
mit dem Affen-Schädel mußte er zähneknirschend ihrem
Schicksal überlassen.
Jahre später, als er sich wieder in Europa befand, hatte
Francois de Loys sein Erlebnis längst verdrängt. Es war sein
Freund, der französische Anthropologe George Montan-
don, der beim Durchblättern von de Loys Notizbuch auf
die Fotografie der seltsamen Kreatur stieß. Erstaunt be-
fragte er de Loys nach deren Ursprung. Der Schweizer be-
richtete seinem Freund ausführlich über seine ungewöhnli-
che Begegnung: Knapp 1,60 Meter groß sei das Wesen ge-
wesen, erinnerte er sich. 32 Zähne habe es besessen.
Montandon war fasziniert. Hatte de Loys womöglich
einen bislang unbekannten menschlichen Vorläufer er-
schossen? »Hätte ich de Loys nicht erfolgreich dazu über-
redet, das Foto publizieren zu dürfen, wäre das unge-
wöhnliche Dokument wohl nie ans Licht der Öffentlich-
keit gelangt«, hielt Montandon 1929 im »Journal de la
Societe des Americanistes« fest. De Loys zog nach und er-
zählte seine Geschichte am 16. Juni 1929 in der »Illustrated
London News«.
Parallel dazu fand eine Anhörung vor der Academie des
Sciences in Paris statt. Doch anstatt den Fund dort ledig-
lich vorzustellen, interpretierte ihn Montandon als bislang
unbekannten Menschenaffen. Eine Behauptung, die von
der Presse dankbar aufgegriffen wurde - und von Montan-
dons Wissenschaftskollegen ebenso rasch verärgert gekon-
tert wurde. Während einige den Franzosen samt de Loys
des Betrug bezichtigten, interpretierten andere das Ge-
schöpf als bislang unbekannte Klammeraffen-Art. Die
Sache war damit vom Tisch, die Angelegenheit geriet in
Vergessenheit.
1996 rollte Loren Coleman von der University of
Southern Maine in Portland die Affäre zusammen mit
Michel Raynal in der amerikanischen Zeitschrift »The
Anomalist« wieder auf - um sie »endgültig zu begraben«.
Nach Meinung von Coleman und Raynal haftet dem
Wesen überhaupt nichts Mysteriöses an. Im Gegenteil:
»Bei dem von de Loys fotografierten Geschöpf handelt
es sich um einen simplen Klammeraffen«, sind die beiden
überzeugt.
Andere Forscher widersprechen ihnen. Für einen her-
kömmlichen Klammeraffen sei die Kreatur mit ihren
1,60 Metern ganz einfach zu groß, erklärte mir ein be-
freundeter Zoologe. »Dazu kommt, daß sie eindeutig
anomale Züge aufweist, welche Coleman und Raynal
schlicht ignorieren. So einfach darf man es sich nun wirk-
lich nicht machen.«